Nach drei amerikanischen Vorwahlen ist klar: Donald Trump ist kein bizarres Phänomen, das vorüber geht. Er ist keine Laune von Wählern, die ihre Radikalität austesten wollen. Trump wird bleiben. Er hat beste Chancen, republikanischer Spitzenkandidat zu werden. Und er könnte tatsächlich der nächste Präsident der USA sein.
Was eine Präsidentschaft Trump bedeuten würde, ist im Moment kaum abzusehen. Der Milliardär ist inhaltlich nicht zu greifen – entweder, weil er sich nicht festlegen will, oder, weil er dies mangels Substanz nicht kann. Trump ist alles zugleich: Mal Christ, mal Nihilist; mal Egoist, mal Mann mit Herz; mal tritt er für die Rechte von Homosexuellen ein, mal will er sie beschränken; mal will er Barack Obamas Gesundheitsreform wieder abschaffen, mal aber Teile davon behalten. Mal beschimpft er lateinamerikanische Einwanderer in übelster Weise, mal umgarnt er sie und verspricht, seine Mauer zu Mexiko werde viele Öffnungen haben. Mal umschmeichelt Trump Frauen, dann wieder beleidigt er sie – und dennoch bleiben sie ihm als Wählerinnen treu. Über die Hälfte seiner Unterstützer sind weiblich.
Diese Liste ließe sich noch lange fortsetzen; doch sie produziert kein konsistentes Bild, sie hilft nicht weiter. Sie zeigt einen Mann, der ganz offensichtlich ohne den herkömmlichen Kompass auskommt. Oder anders gesagt: Trumps Kompass ist nur er selbst. So, wie er in seinem Leben je nach Opportunität alle relevanten politischen Parteien und Bewegungen unterstützt hat, von den Demokraten über die Reformer, die Unabhängigen bis hin zu den Republikanern heute.
Dieses Irrlichtern ist es, was einen Großteil der Faszination von Donald Trump ausmacht. Wer sich öffentliche Auftritte von Trump ansieht, der kann sich dabei ertappen, dass er einfach nicht mehr umschalten will. Der 69-Jährige ist ganz und gar unberechenbar, unkontrolliert, selbstherrlich, arrogant, gönnerhaft, ein Macho und ein Bully. Oft aber ist Trump auch witzig, schlagfertig und auch durchaus entwaffnend ehrlich – etwa, als er kürzlich zum Entsetzen des republikanischen Establishments den Irak-Krieg von 2003 als „dicken Fehler“ bezeichnete. Trump kann sich das alles leisten, weil er sagenhaft reich und dadurch sagenhaft unabhängig ist – unabhängiger als jeder andere Kandidat.
Fehler eines amerikanischen Präsidenten können gravierend und irreversibel sein.
Nur ist der Präsident der Vereinigten Staaten weder ein Unternehmer, der allein auf eigene Rechnung arbeitet und nach einem finanziellen Desaster einfach wieder von vorn anfängt. Noch ist er im Weißen Haus Gastgeber einer Casting-Show wie bei „The Apprentice“, in der er nach Gusto Kandidaten feuerte. Ein amerikanischer Präsident entscheidet über die Besetzung von Verfassungsrichtern auf Lebenszeit und vereinbart Handelsverträge, von denen Millionen Jobs abhängen. Er muss vor den Vereinten Nationen sprechen und um Kompromisse werben. Er muss mit komplizierten ausländischen Partnern umgehen können. Aber vor allem kann ein amerikanischer Präsident mit seinem Handeln über Krieg und Frieden entscheiden. Und nicht zuletzt hat er seine Hand am Atomkoffer. Fehler eines amerikanischen Präsidenten können gravierend und irreversibel sein.
Möglicherweise würde sich auch ein Präsident Trump von jenem dröhnenden Kandidaten unterscheiden, den er gerade in den Vorwahlen gibt. Noch stets waren die Primaries die Spielwiese für Extreme, und vieles pendelte sich später wieder ein. Doch wie weit das am Ende auch tatsächlich auf Donald Trump zutrifft, ist bestenfalls eine offene Wette, eine Hoffnung – und damit ein Risiko, das sich die Supermacht USA nicht leisten kann.
Wer also sind diese Vereinigten Staaten im Jahr 2016, die bereit sind, so auf Risiko zu setzen, und den Unernst eines Kandidaten Trump über die Berechenbarkeit eines Chris Christie, John Kasich, einer Carly Fiorina oder eines Jeb Bush stellen? Dies sind allesamt Bewerber, die vielleicht ein bisschen langweilig, aber vor allem vernünftig sind. Aus der Riege der Moderaten ist einzig Marco Rubio noch im Rennen, auf dem nun alle Hoffnungen der konservativen Traditionalisten ruhen.
Dabei ist die Lust am Risiko nicht auf die Republikaner beschränkt. Die Demokraten erleben im Kern ähnliches: Mit Bernie Sanders erweist sich hier ein ebenso unwählbarer Kandidat als der große Spielverderber. Zwar spricht der selbsterklärte Sozialist Sanders mit seinem Kernthema soziale Ungleichheit das Herz der Demokraten an. Zudem hat Sanders programmatisch tatsächlich Substanz zu bieten. Doch als Präsident würde der Senator aus Vermont das Land mit seiner expansiven Wohlfahrtspolitik ebenso spalten wie Trump mit seinen erratischen und explosiven Ad-hoc-Entscheidungen. Immerhin dürfte sich im demokratischen Lager am Ende – wenngleich mehr schlecht als recht – Hillary Clinton durchsetzen und der Partei damit eine Zerreißprobe ersparen.
Die Aufstiege von Trump, dem Tea-Party-Ideologen Ted Cruz und auch Sanders sagen eine Menge über den Zustand der amerikanischen Gesellschaft aus.
Die Aufstiege von Trump, dem Tea-Party-Ideologen Ted Cruz und auch Sanders sagen indes eine Menge über den Zustand der amerikanischen Gesellschaft aus. Sie sind Ausdruck einer tiefen Unzufriedenheit mit der Regierung, mit der Verquickung von Macht und Geld und mit dem Grad der „political correctness“, den das Land erreicht hat. So war noch jeder Präsidentschaftskandidat der letzten zwei Jahrzehnte mit dem Versprechen angetreten, das dysfunktionale politische System in Washington reparieren zu wollen und zu können. Nicht zum System zu gehören, war Ausweis von Qualität – nicht zuletzt auch für Barack Obama. Dieser hatte vor seiner Präsidentschaft gerade einmal eine Wahlperiode als Senator aus Illinois hinter sich, und diesen Umstand hatte er stets als Vorteil für sich reklamiert. Doch gelungen ist die Reparatur niemandem. Vielmehr sind unter Obama die Konfrontation der politischen Lager und die Blockade des Apparats nur noch gewachsen. Das lag zwar nur zum Teil am Präsidenten, zugeschrieben wird sie ihm aber dennoch.
Gleiches gilt für den Einfluss der Wall Street auf die Politik, der trotz Finanzkrise und Bankenversagen enorm geblieben ist. Es gilt auch für das Gefühl der Menschen, dass sich kaum noch jemand in der erstarrten politischen Landschaft traut, die Wahrheit zu sagen. Die unabhängigen und unerschrockenen Trump und Sanders sind das scheinbare Antidot gegen diese Entwicklungen. So lange sie so wahrgenommen werden, wird großzügig über die gravierenden politischen Schwächen der Kandidaten hinweggesehen.
Mag sein, dass sich dieses Jahr im letzten Moment noch einmal eine Kandidatin oder ein Kandidat des alten Establishments durchsetzt. Doch deren Wahl würde nur eine letzte Frist bedeuten. Trump und Sanders sind Symptome eines Systemfehlers, der immer tiefer greift und die Menschen von der Politik entfremdet. Wenn sich das System aber nicht selbst repariert, dann wird so oder so ein Politiker vom Schlage eines Donald Trump kommen. Es ist nur eine Frage der Zeit.
8 Leserbriefe
Was ich dagegen nicht verstehen kann ist, wieso Sandern hier und anderswo als Beweis für die Radikalisierung einer Gesellschaft herhalten muss. Der Mann vertritt eigentlich klare Positionen der Mitte der Gesellschaft. Er möchte der Marktwirtschaft Regeln einziehen um Exzesse zu vermeiden, und ersetzt auch auf staatliche Sicherungssysteme.
Klären Sie mich auf: wo sind das radikale Programmpunkte? Das steht so seit ewigen Jahren in Wahlprogrammen der SPD und in entsprechend kastrierter Form auch in denen der CDU...
Da würde es mich schon interessieren, warum Sie uns - wie alle deutschen Leitmedien - mit der Analyse der Symptome langweilen, statt uns endlich einmal über das System und seine Fehler aufzuklären.
Meine Hypothesen: auch Sie wissen, dass der amerikanische Kapitalismus nicht mehr zu retten ist?! Auch Sie wissen, dass es in den USA in Wirklichkeit nur eine Partei gibt - die Partei der Oberen Zehntausend - die sich zur Volksbelustigung zwei Fraktionen - die mit dem Esel und die mit dem Elefanten - leistet?! Auch Sie wissen, dass es den Funktionseliten von Wall Street und Pentagon schnurzpiep egal ist, wen sie 2017 auf den Bildschirm hieven können?!
für was steht Frau Clinton ? Für die Fortsetzung des wirtschaftsliberalen Kurses der US-Eliten. Für eine Anheizung der Konfrontation gegen die BRICS-Staaten. Wie schlitterten die Großmächte 1914 in den I WK ? Die Konkurrenzen waren zu groß um sie noch friedlich beizulegen,sie mußten ausgefochten werden. Zuvor gab es als Vorboten die beiden Balkankriege….
Was ist mit dem US-Haushaltsdefizit ? Ist das ins Nachrichtenloch verschwunden ? Oder hat es sich aufgelöst ? Die Insolvenz ist abgeschafft, nur Griechenland kann pleite gehen.
Wer baut den riesigen Sicherheits- und Verteidigungsetat zurück ? Frau Clinton ?
Wer soll denn, wie der Autor selbst analysiert, das „ dysfunktionale pol. System“ wie und wodurch verändern ? Das geht nun einmal nur durch eine andere Politik die die Bedürfnisse der absoluten Mehrheit der US-Bürger berücksichtgt.
Sanders hat ein sozialliberales programm, es ist noch nicht einmal richtig sozialistisch, er lehnt sich eher an Kanada an als an Europa. Ihn deshalb als unwählbar zu bezeichnen ist von der programmatischen Einordnung etwa so als würde man PODEMOS als Kommunistische partei einschätzen.
Kowolski
Kürzlich hat sie den Unsinn eines Prof. Janusch veröffentlicht, die USA benutzten Internationale Hansdelsabkommen, um höhere Sozialstandards und verbesserte Arbeitnehmerrechte durchzusetzen und jetzt veröffentlicht sie hier einen Kommentar in dem Sanders als unwählbar und Spielverderber dargestellt wird.
Bernie Sanders ist seit langem einer der äußerst seltenen Hoffnungsträger im Widerstand gegen einen Wall Street Kapitalismus, der das Potential hat die menschliche Zivilisation, die Demokratien und die Umwelt zu zerstören.
Es wäre schön, wenn Sie sich einfach mal auf die Suche nach Stimmen auch in unserem Land oder Europa machen würden, die Ideen bieten, diesen "Raubtierkapitalismus" (Helmut Schmid) zu stoppen.
Heute muss man wohl sagen: leider.