In vielen Ländern lässt sich anhand des Wohnorts der Menschen gut vorhersagen, wen sie wählen werden. Besonders sichtbar war dies auf den wahlgeografischen Landkarten der Volksabstimmung vom Juni über den Austritt Großbritanniens aus der Europäischen Union. Ein ähnliches Muster kann bei der Stimmenverteilung der US-Präsidentschaftswahlen von 2012 oder der französischen Unterstützung für Marine Le Pens Nationale Front bei den Regionalwahlen von 2015 beobachtet werden. Und sehr wahrscheinlich wird dies auch auf die nächsten US-Präsidentschaftswahlen zutreffen. Viele Bürger leben an Orten, wo ein großer Teil ihrer Nachbarn ebenso wählt wie sie selbst.

Diese Wahlgeografie ist ein Zeichen für eine tiefe wirtschaftliche, soziale und bildungsmäßige Kluft. In wohlhabenden Städten, wo sich Akademiker sammeln, wird meist für international orientierte und oft der linken Mitte angehörige Kandidaten gestimmt, während in Bezirken der unteren Mittelklasse oder Arbeiterklasse handelskritische Kandidaten bevorzugt werden, die häufig nationalistisch und politisch rechts ausgerichtet sind. Dass Städte wie New York, London, Paris oder Berlin Bürgermeister der linken Mitte haben, während kleinere, wirtschaftlich schwache Städte rechte Politiker bevorzugen, ist kein Zufall.

Regionale oder lokale Wahlmuster sind so alt wie die Demokratie selbst. Neu ist allerdings eine wachsende Korrelation räumlicher, sozialer und politischer Polarisierung, die zu einer Entfremdung der Bürger untereinander führt. Wie Enrico Moretti von der Universität von Kalifornien in Berkeley in seinem Buch The New Geography of Jobs betont, ist diese neue Teilung unverkennbar: In den reichsten städtischen Gebieten der USA besteht die Hälfte der Bewohner aus Akademikern, während diese in schlechter gestellten Gegenden viermal weniger zahlreich sind.

Diese politische Spaltung wird durch wirtschaftliche Schocks noch verstärkt. Wer an traditionellen, von der Globalisierung betroffenen Produktionsstandorten lebt und arbeitet, gehört gleich mehrfach zu den Verlierern: Arbeitsplätze, Wohnqualität und das Schicksal der Kinder und Verwandten sind alle hochgradig miteinander verknüpft.

Wer an traditionellen, von der Globalisierung betroffenen Produktionsstandorten lebt und arbeitet, gehört gleich mehrfach zu den Verlierern.

In einer faszinierenden neuen Studie haben David Autor vom MIT und seine Mitverfasser die politischen Folgen dieser Entwicklung untersucht. Sie fanden heraus, dass US-Bezirke, deren Wirtschaft stark von chinesischen Exporten betroffen ist, darauf reagiert haben, indem sie moderate Volksvertreter durch radikalere – rechte oder linke – Politiker austauschten. Also hat die Globalisierung sowohl zu wirtschaftlicher als auch zu politischer Polarisierung geführt.

Diese Kluft wurde von den Regierungen zu lange ignoriert. Einige von ihnen haben ihr Vertrauen in eine Trickle-Down-Wirtschaftspolitik gesetzt, andere in eine geldpolitisch angetriebene Renaissance des Wachstums und der Beschäftigung, und wieder andere in haushaltspolitische Umverteilung. Aber all dies hat wenig zur Lösung beigetragen.

Die naive Hoffnung, der Wohlstand werde früher oder später alle Gebiete erreichen, wurde weitgehend widerlegt. Moderne wirtschaftliche Entwicklungen sind in erheblichem Maße von Interaktionen abhängig, die wiederum eine hohe Dichte von Unternehmen, Fähigkeiten und Innovatoren erfordern. Dies führt zu einer Bevorzugung von Agglomerationen, weshalb größere Städte eher Erfolg haben und kleinere Städte an den Rand gedrängt werden. Sobald ein Gebiet beginnt, Fähigkeiten und Unternehmen zu verlieren, gibt es wenig Hoffnung, dass sich dieser Trend von allein wieder umkehren wird. Keine Arbeit zu haben kann sich dann schnell zur neuen Normalität entwickeln.

Gegen diese Probleme bietet auch die Vergrößerung der Gesamtnachfrage kaum eine Lösung. Selbst wenn es wahr bleibt, dass eine Flut sämtliche Boote in die Höhe hebt, scheint sie dies jedoch nicht gleichmäßig zu tun. Stärkeres nationales Wachstum bedeutet oft sogar noch mehr Wohlstand und Dynamik für die wohlhabenderen Städte und nur wenige oder gar keine Vorteile für die Abgehängten – und damit eine tiefere und noch unerträglichere Kluft. Das Wachstum selbst bekommt dann eine spaltende Wirkung.

Stärkeres nationales Wachstum bedeutet oft sogar noch mehr Wohlstand und Dynamik für die wohlhabenderen Städte und nur wenige oder gar keine Vorteile für die Abgehängten.

Und ob Transferleistungen nun gegen Ungleichheit wirken und die Armut bekämpfen oder nicht: Auf jeden Fall tragen sie nur wenig dazu bei, das soziale Gefüge zu reparieren. Darüber hinaus wird ihre langfristige Nachhaltigkeit immer stärker angezweifelt.

In ihrer Antrittsrede kündigte die britische Premierministerin Theresa May einen „unionistischen“ Ansatz gegen die wirtschaftlichen und sozialen Nöte des Landes an. Und die US-Präsidentschaftskandidaten haben erneut den starken Drang nach nationalem und sozialem Zusammenhalt erkannt. Auch in der nächsten französischen Präsidentschaftskampagne werden zweifellos ähnliche Stimmen laut. Aber auch, wenn das Ziel klar ist, haben die Politiker doch oft keine Ahnung, welche Mittel sie anwenden können.

Im Rahmen der US-Präsidentschaftskampagne ist Handelsprotektionismus wieder modern. Aber auch wenn Importbeschränkungen die Nöte einiger Produktionsgebiete lindern, werden sie die Unternehmen nicht davon abhalten, dorthin umzuziehen, wo die Wachstumsaussichten am stärksten sind. Sie werden die Arbeiter auch nicht vor technologischen Veränderungen schützen. Und sie werden die Entwicklungsmuster von gestern nicht wieder zurückbringen.

Vor allem in Großbritannien, aber auch anderswo, wird die Wirtschaftsmigration immer stärker in Frage gestellt. Aber auch hier wird durch die Beschränkung der Einreise osteuropäischer Arbeiter vielleicht die Lohnkonkurrenz oder der Anstieg der Immobilienpreise gemildert, aber nicht das relative Schicksal kleiner oder großer Städte verändert.

Statt das Gegenteil zu behaupten, müssen die Politiker anerkennen, dass es gegen die ungleichmäßige Geografie moderner Wirtschaftsentwicklung keine Patentrezepte gibt. Auch wenn dies unbequem sein mag, ist der Aufstieg der Großstädte doch eine Tatsache – die übrigens nicht bekämpft werden sollte, da sie kein Nullsummenspiel ist: Große Städte erwirtschaften durchaus wirtschaftliche Vorteile für die Gesamtheit.

Was die öffentliche Politik tun muss, ist sicherzustellen, dass die wirtschaftliche Agglomeration nicht die Chancengleichheit bedroht. Regierungen können nicht bestimmen, wo sich Unternehmen ansiedeln. Aber auch wenn die Einkommen der Arbeitnehmer von ihrem Wohnort beeinflusst werden, liegt es doch in der Verantwortung der Politik, zu gewährleisten, dass das Schicksal der Menschen nicht von ihrem Geburtsort besiegelt wird. Mit anderen Worten, die öffentliche Hand ist dafür zuständig, die Korrelation zwischen Geografie und sozialer Mobilität zu begrenzen. Wie Raj Chetty aus Stanford und andere gezeigt haben, ist dies in den USA nicht gewährleistet, und ähnliche Muster können auch in anderen Ländern beobachtet werden.

Infrastruktur kann helfen. Effizienter Transport, gute Gesundheitssysteme und Breitbandinternetanschlüsse können dazu beitragen, dass kleinere Städte Investitionen in Sektoren anziehen, die nicht auf Agglomerationseffekte angewiesen sind. Backoffice-Dienstleistungen beispielsweise können dort einen Standortvorteil haben, wo Büro- und Wohnflächen billig sind.

Und schließlich gibt es Gründe dafür, den Egoismus der wohlhabenderen Gegenden zu begrenzen. Die bisherige Verteilung der Kompetenzen zwischen nationalen und subnationalen Ebenen sowie die heutigen Besteuerungsstrukturen wurden unter völlig anderen Voraussetzungen entworfen. Um die geo-ökonomische Kluft zu verringern, müssen sie vielleicht grundlegend überdacht werden.

(c) Project Syndicate