Wenn dieser Tage in Deutschland über Migration gesprochen wird, ist damit fast immer die Wanderung aus anderen Teilen der Welt nach Europa gemeint, derzeit vor allem aus Afrika und dem Nahen Osten.
Neben der Bewegung Richtung Norden gibt es aber auch die gen Süden. Und zwar nicht nur die durch Abschiebungen erzwungene oder die durch Entwicklungsgelder motivierte Bewegung, sondern auch den gewollten Umzug von Afrikanern aus den reichen Ländern des Nordens in die chancenreichen Länder des Südens wie Äthiopien, Ruanda, Ghana, Nigeria oder Südafrika. Inzwischen nehmen nämlich viele Afrikaner die Heimat als eine Region wahr, die persönliche Entwicklungsmöglichkeiten bietet, weil sie wirtschaftlich und gesellschaftlich im Aufbruch ist. Richtung Norden gezogen sind die heutigen Rückkehrer einst entweder auf der Flucht vor einem Krieg oder um im Ausland zu studieren, berufliche und Lebenserfahrung zu sammeln, Geld zu verdienen.
„Join the movement“ heißt das Motto, mit dem die Kenianerin Farah Samanani andere Kenianer im Ausland ermutigen will, nach Hause zurückzukehren – womit sie nebenbei Geld zu verdienen hofft, denn Samanani gründete in der kenianischen Hauptstadt Nairobi 2013 die Personalvermittlung „Kenyans come home“. In einigen anderen afrikanischen Ländern gibt es ähnliche Agenturen. In Samananis Kartei stehen hochqualifizierte Arbeitnehmer, darunter viele Führungskräfte, die neue Führungsaufgaben suchen. Sie haben in den USA, Kanada, Großbritannien und anderen europäischen Ländern, in Dubai oder afrikanischen Staaten gearbeitet. Die meisten haben laut Samanani ein bis zwei Studienabschlüsse und mehrere Jahre Berufserfahrung, wobei ihr Karriereweg beständig nach oben führte.
Die meisten von Samananis Kunden sind Kenianer, aber es sind auch einige „Expats“ darunter: internationale Experten, die den kenianischen und ostafrikanischen Markt so attraktiv finden, dass sie hier aktiv auf Arbeitssuche sind. In ihrer Statistik vermerkt Samanani Hautfarbe oder Nationalität nicht, so dass sie nicht beziffern kann, wie viele afrikanische Rückkehrer sie seit der Gründung ihrer Firma vermittelt hat, und wie viele Expats. Jedenfalls habe sie aber in den vergangenen Monaten rund 20 Führungskräfte auf neue Spitzenpositionen in Kenia gebracht. Angesichts des schmalen Marktsegments von Arbeitskräften in Managementpositionen findet es Samanani berechtigt, von einer „Bewegung“ zurück nach Süden zu sprechen. Zumal sie nur eine Agentur von mehreren sei und die meisten Rückkehrer keine Jobvermittlung in Anspruch nehmen, sondern sich selbst eine neue Aufgabe suchen.
Einer der Gründe für die Rückkehr ist der Wunsch, beim afrikanischen Aufbruch dabei zu sein.
Samanani ist Teil dieser Bewegung. Sie verließ Kenia im Alter von 15 Jahren, ermutigt von ihren Eltern und neugierig auf die Welt hinter dem Horizont. In ihrem Fall war die Entdeckung des Anderswo einfach, weil ein Teil ihrer erweiterten Verwandtschaft in Großbritannien und in Kanada lebt. Ein weit verzweigtes Familiennetz ist – nicht zuletzt wegen der schon seit Jahrzehnten währenden Mobilität vieler Afrikaner – unter Kenianern und überhaupt auf dem Kontinent nichts Ungewöhnliches. Mit dem Umzug nach Großbritannien im Teenageralter legte Samanani den Grundstock für eine berufliche und private Weltläufigkeit, die mittlerweile viele Afrikaner auszeichnet. Sie lernte, lebte und arbeitete rund 20 Jahre in Großbritannien, Kanada, den USA, Dubai und Indien, ehe sie 2007 nach Kenia zurückkehrte. Die Gründe für ihre Entscheidung zur Rückkehr seien dieselben gewesen, die ihre Kunden ebenfalls nennen würden: Erstens das Bedürfnis, sich wieder „zu Hause“ zu fühlen und im vertrauten kulturellen Umfeld zu leben. Samanani beispielsweise fand es damals an der Zeit, eine eigene Familie zu gründen und wollte ihren Kindern deren Großeltern nicht vorenthalten. Zweitens der Wunsch, beim afrikanischen Aufbruch dabei zu sein: viele Afrikaner finden das beachtliche wirtschaftliche Wachstum in einigen afrikanischen Ländern verlockend. Drittens das Gefühl, in einer sich entwickelnden Gesellschaft viel mehr bewirken und viel „nützlicher“ sein zu können, als in den gesättigten Märkten des Nordens.
Dieses Bedürfnis spielte auch für Samanani eine wichtige Rolle. Sie hat einen MBA und arbeitete vor ihrem Umzug nach Kenia in Boston für eine Consultingfirma, die Institutionen im Gesundheitswesen beriet. Während sie nach ihrer Darstellung in Boston schon Erfolge feierten, wenn ein Krankenhaus ein halbes Prozent mehr Gewinn erwirtschaftete, lockte in Kenia der Auftrag, das komplette Gesundheitswesen neu zu strukturieren. Sie nahm die Herausforderung gerne an und war einige Jahre lang von ihrer neuen Aufgabe fasziniert. 2013 gründete sie schließlich ihr eigenes Unternehmen, „Kenyans Come Home“.
Samananis Biographie ist deshalb so interessant, weil sie nicht nur von einer beeindruckenden Persönlichkeit zeugt, sondern Beispiel ist für einen Trend, der im Westen noch kaum bemerkt wird. Dabei wäre es wichtig, diesen Trend zur Kenntnis zu nehmen. Nicht zuletzt weil er helfen könnte, die verbreitete Panik angesichts des Zuzugs so vieler Migranten zu dämpfen: Sehr viele von ihnen gehen auch wieder zurück, um in ihren Herkunftsländern etwas aufzubauen und Chancen auch für diejenigen zu schaffen, die selbst nicht im Ausland lernen und leben können. Bis zu ihrer Rückkehr vergehen vielleicht ein paar Jahrzehnte, aber dazu sagt beispielsweise Samanani: Sie habe keinem der Staaten, in denen sie bis dahin lebte, auf der Tasche gelegen, sondern im Gegenteil überall eine Menge Steuern gezahlt.
Der Wunsch, für ihre Gesellschaft oder ihre Heimat nützlich zu sein, ist bei vielen erfolgreichen Afrikanern auffallend ausgeprägt. Nicht zuletzt deshalb kehren viele sogar in Länder zurück, die noch längst keine Erfolgsgeschichte geschrieben haben, sondern weiterhin hoch problematisch sind – zum Beispiel Somalia. Dort bekämpft die islamistische Shabaab-Miliz die Regierung und alles, was in ihren Augen unislamisch ist. Bei ihren regelmäßigen Anschlägen beladen die Terroristen mittlerweile nicht nur Autos, sondern auch Lastwagen mit Sprengstoff. Die lassen sie vor Hotels oder an anderen öffentlichen Plätzen explodieren– mit verheerenden Folgen und oft Dutzenden Toten.
Die Rückkehrer sind nicht nur die treibende Kraft hinter vielen Investitionen, sondern auch im politischen Leben allgegenwärtig.
Aber Hunderte oder sogar Tausende Rückkehrer aus aller Welt lassen sich davon nicht abschrecken. In den Straßen der somalischen Hauptstadt Mogadischu wird Englisch mit den unterschiedlichsten Akzenten gesprochen. Die genaue Zahl derer, die einen Neuanfang in der alten Heimat wagen, kennt niemand. Die schwache somalische Regierung hat andere Sorgen als die Statistik. Vor Ort ist die Rolle der Rückkehrer jedoch kaum zu übersehen. Sie sind nicht nur die treibende Kraft hinter vielen Investitionen, sondern auch im politischen Leben allgegenwärtig. Sie sind es, die dem kriegszerstörten Land neue Hoffnung geben – sofern man von Hoffnung für Somalia überhaupt reden kann. Viele von denen, die dort heute Unternehmen gründen und damit Arbeitsplätze schaffen, als Ärzte arbeiten oder auf andere Weise am Wiederaufbau ihrer Gesellschaft arbeiten, haben ihre Ausbildung als Flüchtlinge in Europa oder anderen entwickelten Regionen erhalten. Denn die staatlichen Strukturen in ihrer Heimat waren ein Viertel Jahrhundert lang kollabiert und werden gerade erst mühsam wieder neu geschaffen – mit Hilfe der Vereinten Nationen, der Afrikanischen und der Europäischen Union sowie mit Hilfe privater Initiativen und Investoren. Die Rückkehrer müssen viel Mut aufbringen, denn das Leben in Somalia ist immer noch höchst gefährlich. Und jede Investition ist ausgesprochen riskant, schon morgen kann eine LKW-Bombe alles vernichtet haben.
Europäern wäre geholfen, wenn sie angesichts solcher Biographien selbst mehr Mut fassen und gelassener würden im Umgang mit denen, die zu uns kommen. Wir sind hier nicht das Paradies und nicht jeder will auf immer bleiben. Die meisten haben irgendwo einen Ort, an den sie lieber heute als morgen zurückkehren möchten. Aber sie wollen etwas mitbringen können, Geld oder Wissen oder beides. So lange sie bei uns sind, können wir auch von ihnen lernen. Zum Beispiel Mut: den Mut zum Aufbruch, den Mut zur Rückkehr, den Mut etwas Neues zu wagen.