US-Präsident Donald Trump erhielt kurz nach seiner Amtsübernahme Ende Januar einen Brief aus Phnom Penh. Darin bat ihn Kambodschas autokratischer Machthaber Hun Sen, seinem Land Schulden von 506 Millionen US-Dollar zu erlassen. Das berichtete kürzlich die New York Times. Demnach hatte Washington in der ersten Hälfte der 1970er Jahre dem damaligen kambodschanischen Regime von General Lon Nol im Rahmen eines Programms namens „Food for Peace“ 274 Millionen US-Dollar geliehen. Damit konnte seine Regierung in den USA Reis, Weizen und andere Lebensmittel kaufen, um eine Hungersnot zu verhindern. Mit Zins und Zinseszins hat sich der damalige Kredit inzwischen zu Ausständen von gut einer halben Milliarde Dollar summiert.
Seit 1990 pochen die USA auf Begleichung der Schulen. Doch die konnte seitdem weder eine US-Regierung von Phnom Penh eintreiben noch offiziell erlassen. Dazu sei auch nur der US-Kongress berechtigt, zitiert die New York Times einen Sprecher der US-Botschaft in Phnom Penh. Doch Washingtons Beharren auf Rückzahlung ermöglicht Hun Sen, sich als Verteidiger nationaler Interessen darzustellen und an historisches Unrecht der USA zu erinnern: „Wie kann das sein? Ihr habt uns angegriffen und verlangt, dass wir Geld zahlen?,“ sagte er einer lokalen Zeitung.
Anfang April fühlte sich Kambodschas Ministerpräsident stark genug, kurzerhand die seit knapp zehn Jahren in Kamboscha tätige Bautruppe der US-Navy, die sogenannten Seabees, aus dem Land zu weisen. Hun Sen reagierte damit auf Kritik der USA an einem Parlamentsbeschluss. Denn das von seiner Volkspartei dominierte kambodschanische Parlament hatte im März beschlossen, dass künftig Parteien aufgelöst werden können, sollten ihre Vorsitzenden Vorstrafen haben. Das zielt auf Oppositionsführer Sam Rainsy. Der Erzfeind Hun Sens war nach einer umstrittenen Verurteilung wegen angeblicher Verleumdung 2016 bereits zum wiederholten Male ins Pariser Exil geflohen. Rainsy hatte Hun Sens Regierung für die Ermordung des Regierungskritikers Kem Ley im Juli 2016 verantwortlich gemacht. Dieser wurde getötet, nachdem er kurz zuvor Hun Sens Familie für ihren unerklärten Reichtum kritisiert hatte. Inzwischen wurde ein Mann für die Tat verurteilt, der den angeblich von ihm verübten Mord mit Schulden begründete, die das Opfer bei ihm gehabt haben soll. Viele Kambodschaner halten die Verurteilung für ein Ablenkungsmanöver des Regimes.
Kambodschas Schulden, Amerikas Schuld?
Doch so berechtigt die Kritik der USA an Hun Sens zunehmend diktatorischem Regierungsstil in der Sache ist, so wenig sind die Amerikaner aufgrund ihrer eigenen verwerflichen Politik in dem südostasiatischen Land dazu moralisch berechtigt. Zumindest sind sie nicht sehr glaubwürdig. Auch darauf weist Hun Sen mit seinem Wunsch nach Schuldenstreichung hin. Denn viele Kambodschaner sind mit gutem Recht der Meinung, wenn jemand Schulden zurückzuzahlen hätte, müssten dies die USA an Kambodscha tun und nicht umgekehrt.
Zwar ist Kambodschas heutige Regierung zweifellos Rechtsnachfolgerin der Putschregierung von Lon Nol. Doch lassen sich die Schulden auch als illegitim bezeichnen. Denn die US-Kredite dienten zur Linderung eines Problems, das es ohne die Militärintervention der USA in dem Ausmaß gar nicht gegeben hätte.
Viele Kambodschaner sind der Meinung, wenn jemand Schulden zurückzuzahlen hätte, müssten dies die USA an Kambodscha tun und nicht umgekehrt.
Der amerikafreundliche Lon Nol hatte 1970 mit Washingtons Rückendeckung die Regierung von König Norodom Sihanouk aus dem Amt geputscht. Der hatte Kambodscha im Krieg im benachbarten Vietnam für neutral erklärt und sich gegen ein Eingreifen des US-Militärs in seinem Land ausgesprochen. Die USA wollten gegen den sogenannten Ho Chi Minh-Pfad vorgehen, mit dem Nordvietnam die südvietnamesischen Vietcong über kambodschanisches Gebiet mit Nachschub versorgte. Die USA flogen bereits geheime Bombenangriffe auf Ziele in Kambodscha.
Nach Sihanouks Sturz bekamen die USA von Lon Nol dafür dann offiziell freie Hand. Mit ihren Flächenbombardements töteten sie Schätzungen zufolge 200 000 bis 1,1 Millionen Menschen. Sie trieben hunderttausende kambodschanische Bauern in die Flucht, die fortan ihre Felder nicht mehr bestellen konnten. Die Versorgungslage der Bevölkerung wurde prekär. Der Kredit an Lon Nol half also gegen ein Problem, das vor allem die USA mit ihren massiven Bombardements verursacht hatten.
Desaströse US-Politik
Bekanntlich verhinderte der massive Kriegseinsatz der USA weder den Sieg der Kommunisten in Südvietnam noch die Machtübernahme der Roten Khmer in Kambodscha. Lon Nols von Washington unterstützter Putsch führte zum fatalen Bündnis König Sihanouks mit den Roten Khmer, die dadurch weiter gestärkt wurden. Auch dürften die massiven US-Bombardements den von China unterstützten Roten Khmer weitere Menschen zugetrieben zu haben.
Nach ihrem Sieg über das brutale und korrupte Lon Nol-Regime 1975 stürzten die Roten Khmer Kambodscha mit ihrem Völkermord vollends ins mörderische Chaos und Elend. Erst die vietnamesische Militärintervention beendete dies 1979. Doch danach verbündeten sich die USA, die Kambodscha stets durch die vietnamesische Brille sahen, mit den Roten Khmer und China gegen Vietnam. Das dauert bis 1990, nachdem die Truppen des Nachbarlands 1989 aus Kambodscha vollends abgezogen waren. Bis dahin waren die Menschenrechtsverbrechen der Roten Khmer für Washington kein Thema.
Ab 1990 begannen die USA, die Rückzahlung der an Lon Nol gezahlten Kredite einzufordern. Das wurde von Kambodscha zunächst mit Verweis auf die weitverbreitete Armut des kriegszerstörten Landes verweigert. Hätten die USA damals weitsichtig gehandelt, hätten sie eine Art Marshall-Plan für das Land aufgelegt und damit, statt Schulden einzufordern, stark in das Land investiert. Doch anders als Westeuropa nach dem Zweiten Weltkrieg hatte Kambodscha nach dem verlorenen Vietnam-Krieg für Washington keine große Bedeutung mehr.
Anders als Westeuropa nach dem Zweiten Weltkrieg hatte Kambodscha nach dem verlorenen Vietnam-Krieg für Washington keine große Bedeutung mehr.
Bereits 1985 wurde Hun Sen, ein ehemaliger Roter Khmer und damals erst 32 Jahre alt, Kambodschas Ministerpräsident, damals noch von Vietnams Gnaden. Heute ist er einer der am längsten amtierenden Regenten der Welt. Mit Hilfe von Manipulationen, Einschüchterungen, Patronage und geschickter Bündnispolitik hat er sich an der Macht gehalten und seine Familie massiv bereichert.
China statt USA
Noch 1988 hatte Hun Sen China als „Wurzel allen Übels bezeichnet“. Doch inzwischen nennt er China Kambodschas „vertrauenswürdigsten Freund“. China, einst größter Förderer der Roten Khmer, ist inzwischen Hun Sens wichtigster Verbündeter. Beide Seiten näherten sich an, nachdem Hun Sen 1997 gegen seinen damaligen Koalitionspartner geputscht hatte und westliche Regierungen ihre Hilfe einfroren. China dagegen hielt ihm die Treue.
Pekings inzwischen massive Hilfe ermöglicht Hun Sen, die Kritik der USA an sich abperlen zu lassen und jetzt einfach den Bautrupp der US-Marines des Landes zu verweisen. Bereits im Januar hatte Hun Sen das geplante Militärmanöver mit den USA abgesagt und dies mit den für Juni dieses Jahres geplanten Kommunalwahlen begründet, dem Testlauf für die Parlamentswahlen 2018. Bereits im letzten Jahr gab es erstmals ein gemeinsames kambodschanisch-chinesisches Seemanöver.
China gewährt Kambodscha heute nicht nur großzügige Kredite, sondern hat die Schulden der Roten Khmer längst erlassen. 2016 hat China weitere kambodschanische Schulden in Höhe von 89 Millionen US-Dollar abgeschrieben. Zudem enthält sich Peking jeglicher Kritik an Hun Sen.
Dabei knüpft auch China seine Unterstützung an Bedingungen. So wurde Kambodscha zum Sprachrohr Pekings innerhalb der südostasiatischen Staatengemeinschaft ASEAN. Mehrfach verhinderte Phnom Penh beim Konflikt um Inseln im Südchinesischen Meer, um die insbesondere Vietnam und die Philippinen mit China streiten, gemeinsame Stellungnahmen der ASEAN. Mit Kambodschas Hilfe konnte China die Solidarität dieser Staatengruppe untergraben.
Nach Ansicht vieler Kambodschaner ist die unter Hun Sen entstandene Abhängigkeit ihres Landes von China als größtem Investor und Kreditgeber inzwischen zu groß und zu gefährlich. Zwar hat sich Hun Sen damit gegenüber innenpolitischen Rivalen genauso wie gegenüber den USA durchgesetzt, doch könnte Kambodscha auf längere Sicht verlieren.
Das Dilemma der USA besteht inzwischen darin, dass eine Schuldenstreichung Hun Sen und die Position seiner chinesischen Freunde ebenso stärken würde wie das weitere Beharren auf Rückzahlung. Denn in beiden Fällen kann Kambodschas Ministerpräsident sich als Verteidiger der Interessen seines Landes inszenieren. Bei einer Schuldenstreichung wäre er ein erfolgreicher Kämpfer für Kambodscha. Bei einem fortgesetzten Beharren Washingtons auf Rückzahlung wäre er der moralische Verteidiger Kambodschas gegen die als unmoralisch empfundene Politik der USA. Zugleich würde dies Hun Sens neue Freunde, die zurzeit generösen Chinesen, im Vergleich mit den hartherzigen Amerikanern gut dastehen lassen und damit auch seinen Schmusekurs ihnen gegenüber.
Donald Trump kann also im Fall der kambodschanischen Schulden nur zwischen zwei schlechten Optionen wählen. Hun Sen hat ihn damit ausgetrickst. No fake, it's real.