Nicht nur Deutschland hat am Wochenende gewählt. Bei den Parlamentswahlen am 25. September in Island hat die Links-Rechts-Koalition von Katrín Jakobsdóttir ihre Mehrheit ausgebaut. Obwohl alle Wahlprognosen eine knappe Niederlage der Regierungskoalition vorhergesagt hatten, konnten die drei Regierungsparteien ihre Mehrheit deutlich ausbauen. Während sie vor der Wahl 33 von 63 Abgeordneten stellten, verfügen sie nun über 37 Sitze im neugewählten Parlament.

Wie ist das der Regierung gelungen? In den letzten Wochen zeigten Meinungsumfragen, dass gut ein Drittel der isländischen Wählerinnen und Wähler noch unentschieden waren. Wahlforscher sind zudem überzeugt, dass mit den Umfragen nur ein Teil der Wählerschaft erreicht wird. Sie nehmen auch an, dass die zentrale Rolle der sozialen Medien, die in Island sehr beliebt sind, bei solchen Umfragen nicht genügend berücksichtigt wird. Ein weiterer Grund für den unerwartet hohen Sieg des Links-Rechts-Bündnisses ist sicherlich darin zu sehen, dass die Wählerinnen der Regierung gute Arbeit bei der Bekämpfung der Pandemie zugutehielten. Die Regierung hatte die Entscheidung über Corona-Maßnahmen einem renommierten Immunologen übertragen.

Seit der Gründung der isländischen Republik 1944 hat die konservative Unabhängigkeitspartei die politische Lage im Inselstaat dominiert.

Trotz des Wahlsiegs der Regierungsparteien zeichnen sich innerhalb der Koalition, neue Machtverhältnisse ab. Die Links-Grüne Bewegung, die Partei der Ministerpräsidentin Jakobsdóttir, musste beachtliche Verluste hinnehmen und wird nun statt elf nur acht Abgeordnete haben. Die bäuerlich-liberale Fortschrittspartei unter der Führung von Sigurdur Ingi Jóhannsson ging dagegen als klare Siegerin hervor. Sie konnte die Zahl ihrer Abgeordneten von acht auf dreizehn erhöhen und wird damit im neuen Parlament zweitstärkste Kraft. Der dritte Koalitionspartner, die konservative Unabhängigkeitspartei unter der Führung von Bjarni Benediktsson, konnte ihre 16 Sitze verteidigen und wurde damit als stärkste Partei bestätigt. Zwar gilt es als sicher, dass die drei Regierungsparteien ihre Zusammenarbeit fortsetzen werden, es ist aber nicht auszuschließen, dass Jakobsdóttir ihrem Koalitionspartner Jóhannsson das Ministerpräsidentenamt überlassen muss.

Obwohl die genannten Gründe für das gute Abschneiden der konservativen Regierungsparteien zweifellos eine Rolle spielen, muss man etwas tiefer bohren, um das Wahlverhalten der Isländer verstehen zu können. Seit der Gründung der isländischen Republik 1944 hat die konservative Unabhängigkeitspartei die politische Lage im Inselstaat dominiert. Bei fast allen Regierungen in den vergangenen Jahrzehnten waren die Konservativen die treibende Kraft. Davon gab es nur wenige Ausnahmen, wie z.B. nach der schweren Finanzkrise 2009, als ein Linksbündnis von Sozialdemokraten und Links-Grünen für einige Jahre an die Macht kam.

Island hat im vergangenen Jahrhundert innerhalb von wenigen Jahrzehnten den Sprung von einer armen Bauerngesellschaft zu einem modernen Staat vollzogen.

Im Gegensatz zu den anderen nordischen Ländern hat die Sozialdemokratie in Island nie richtig Wurzeln geschlagen. Die Isländer haben in der Geschichte ihrer Republik fast immer eher konservativ gewählt. Dies dürfte zum Teil in der Geschichte des Landes begründet sein. Island hat im vergangenen Jahrhundert innerhalb von wenigen Jahrzehnten den Sprung von einer armen Bauerngesellschaft zu einem modernen Staat vollzogen. Es liegt auf der Hand, dass eine so rapide Transformation ihre Konsequenzen hat.

Island ist noch ein sehr „jungfräulicher“ Wohlfahrtsstaat. Der Umgang mit neu gewonnenem Wohlstand ist nicht immer einfach. Die Isländer haben nach ihrem schnellen Einzug in die Moderne einen großen Respekt vor Reichtum und Geld an den Tag gelegt. Man spricht in diesem Zusammenhang gelegentlich vom „Bjartur von Sommerhausen-Syndrom“, ein Verweis auf den Protagonisten im Roman „Sein eigener Herr“ des isländischen Nobelpreisträgers Halldór Laxness. Bjartur, der Bauer von Sommerhausen, träumte sein Leben lang davon, „frei“ zu werden, d.h. seinen Hof selbst zu besitzen und von seinen Mitmenschen wirtschaftlich unabhängig zu sein.

Der Glaube an die befreiende Wirkung des Eigentums ist in der isländischen Volksseele tief verwurzelt.

Der Glaube an die befreiende Wirkung des Eigentums ist in der isländischen Volksseele tief verwurzelt. Das kommt auch darin zum Ausdruck, dass weit über 80 Prozent der Isländer in Eigentumswohnungen leben. Der isländische Staat legt großen Wert darauf, Wohneigentum zu fördern. Mieter haben in Island dementsprechend einen schweren Stand. Das Programm der konservativen Unabhängigkeitspartei ist auf diese zentrale Rolle des Eigentums regelrecht zugeschnitten. Die Sozialdemokraten, deren Programm eher auf die Bedürfnisse der Geringverdiener gerichtet ist, haben es in dieser Hinsicht schwer. Das Gleiche gilt auch für andere Parteien, die links von der Mitte liegen, wie z.B. die Piraten. Hinzukommt, dass sich die Sozialdemokraten für einen Beitritt Islands zur Europäischen Union einsetzen. Das unterscheidet sie von den Linksgrünen, die dies strikt ablehnen. Auch das zählt zu den Gründen für die gelungene Zusammenarbeit der Links-Grünen mit den Konservativen und der bäuerlich-liberalen Fortschrittspartei: in der Ablehnung eines EU-Beitritt herrscht Einigkeit.

Bei einer umfassenden Betrachtung der Wahlergebnisse darf die Bürgerpartei unter der Führung von Inga Saeland nicht fehlen. Sie hat seit den letzten Wahlen ordentlich zugelegt und konnte die Zahl ihrer Mandate von vier auf sechs erhöhen. Zu ihren neuen Abgeordneten zählt auch der älteste Kandidat, der je ins isländische Parlament eingezogen ist: Der 72-jährige Tómas Tómasson, genannt „Tommi“. Er ist der Gründer der internationalen Hamburger-Kette „Tommi Burger“, die sogar zwei Filialen in Berlin hat.