Das britische Volk hat dafür gestimmt, die Europäische Union zu verlassen, und der Volkswille sollte maßgeblich sein. Doch haben die Menschen in Unkenntnis der wahren Bedingungen des Brexits abgestimmt. Nun, da diese Bedingungen klarer werden, ist es ihr Recht, ihre Meinung zu ändern.

Was sich vor dem Brexit-Referendum leider nur vage abzeichnete, ist nun klar erkennbar: Der Weg, den Großbritannien eingeschlagen hat, ist nicht bloß ein „harter Brexit“. Es ist ein „Brexit um jeden Preis“.

Die Herausforderung, vor der wir stehen, besteht darin, diesen Preis offenzulegen, deutlich zu machen, inwiefern die Entscheidung auf unvollständigem Wissen beruhte, und in leicht verständlicher Weise aufzuzeigen, wieso ein derartiger Kurs unserem Land echten Schaden zufügen wird. Und schließlich müssen wir Unterstützer gewinnen für die Suche nach einem Weg, um das gegenwärtige Wettrennen in Richtung Abgrund aufzuhalten.

Man betrachte die surreale Lage, in der sich unsere Nation befindet. Ich will hier keine persönliche Kritik an Premierministerin Theresa May oder ihrer Regierung üben. May ist jemand, der versucht, das aus ihrer Sicht Richtige zu tun. Aber man sollte nur das Folgende bedenken: Vor neun Monaten hat sie uns erzählt, dass ein Austritt schlecht für das Land, seine Wirtschaft, seine Sicherheit und seinen Platz in der Welt wäre. Heute ist er scheinbar eine „Gelegenheit, wie sie sich in einer Generation nur einmal bietet“, um Großartiges zu erreichen.

Vor sieben Monaten, als das Ergebnis des Referendums feststand, hat uns Schatzkanzler Philip Hammond erzählt, dass der Austritt aus dem EU-Binnenmarkt „eine Katastrophe“ wäre. Jetzt scheint es, als ob Großbritannien den Binnenmarkt und die Zollunion verlassen wird, und Hammond ist optimistisch, was die Ergebnisse angeht.

May sagt, sie wolle, dass Großbritannien eine große, offene Handelsnation sei. Und was ist unser erster Schritt bei diesem Unterfangen? Den größten Freihandelsblock der Welt zu verlassen. Sie will, dass Großbritannien zu einer Brücke zwischen der EU und den USA wird. Ist kein Standbein in Europa zu haben, wirklich der richtige Weg dahin?

Man sagt uns, es sei höchste Zeit, dass unser Kapitalismus gerechter würde. Wie beginnen wir also, die Voraussetzungen für ein solch nobles Unterfangen zu schaffen? Indem wir Europa mit einem Schritt hin zu einem weitgehend regulierungsfreien Niedrigsteuerland drohen – dem genauen Gegenstück zu diesem Anliegen.

Dieses Bündel aus Widersprüchen zeigt, dass May und ihre Regierung nicht Herren der Lage sind.

Dieses Bündel aus Widersprüchen zeigt, dass May und ihre Regierung nicht Herren der Lage sind. Sie sitzen nicht am Steuer dieses Busses, sondern irgendwo weiter hinten. Und mit jedem Meilenstein, an dem wir vorbeifahren, ändert sich die Landschaft, in der wir handeln, nicht weil wir diese Veränderung wünschen, sondern weil das die Richtung ist, in die der Bus fährt. Wir werden Artikel 50 nicht deshalb auslösen, weil wir unser Ziel kennen, sondern weil die politische Weigerung, das zu tun, jene vor den Kopf stoßen würde, die am Steuer dieses Busses sitzen.

Der surreale Charakter dieser Übung wird durch das eigentümliche Fehlen eines gewichtigen Arguments noch verstärkt, warum dies weiterhin eine gute Idee ist. Viele der wichtigsten Themen der Brexit-Kampagne hatten gerade einmal bis zur Abstimmung Bestand – man erinnere sich an die für den Nationalen Gesundheitsdienst NHS versprochenen zusätzlichen 350 Millionen Pfund wöchentlich.

Die einzigen praktischen Argumente, die (unter der allgemeinen Rubrik „die Kontrolle wieder zurückgewinnen“) noch immer vorgebracht werden, sind die Einwanderung und der Europäische Gerichtshof. Was den EuGH angeht, so möchte ich jemanden sehen, der sich an auch nur eine einzige Entscheidung erinnern kann, von der er gehört hat – im Gegensatz zu den Entscheidungen des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte, einem nicht zur EU gehörenden Organ.

Es stimmt, dass die Entscheidungen des EuGH in technischen Fragen wichtig sind. Einigen Unternehmen gefallen manche Entscheide, anderen nicht. Aber niemand kann ernsthaft argumentieren, dass der EuGH allein ein Grund ist, die EU zu verlassen.

Niemand kann ernsthaft argumentieren, dass der EuGH allein ein Grund ist, die EU zu verlassen.

Das eigentliche Thema ist die Einwanderung. Die Nettoeinwanderung ins Vereinigte Königreich belief sich zwischen Januar und Juni 2016 auf rund 335 000 Menschen. Knapp über die Hälfte kamen von außerhalb der EU.

Ich weiß, dass in einigen Teilen Großbritanniens aufrichtige Sorge herrscht über die Zahl aus Europa kommender Migranten und den Druck, der von ihnen auf Dienstleistungen und Löhne ausgeht. Doch hat May kürzlich zugegeben, dass wir die meisten Einwanderer aus der EU in Großbritannien halten wollen, darunter jene, die ein sicheres Arbeitsplatzangebot haben, und Studierende. Damit bleiben rund 80 000 Menschen, die ohne Arbeitsplatz eingereist sind und nach Arbeit suchen.

Von diesen 80 000 ist ein Drittel nach London gezogen, und die meisten von ihnen haben letztlich eine Arbeit in der Lebensmittelverarbeitung und im Gastgewerbe aufgenommen. Es ist höchst unwahrscheinlich, dass sie in Großbritannien geborenen Menschen in anderen Teilen des Landes die Arbeitsplätze „weggenommen“ haben. Damit betreffen die praktischen Auswirkungen des Brexits auf die Einwanderung, wenn man sie analysiert, nicht einmal 12 Prozent der Gesamtsumme.

Künftige Historiker werden zweifellos begierig die Herkunft dieser Migranten aus Europa untersuchen und die Gründe, warum das britische Volk zu so hohen Opfern bereit war, um sie am Kommen zu hindern. Was werden sie feststellen? Dass diese Migranten schreckliche Menschen waren, die die Stabilität des Landes gefährdeten? Nein. Sie werden feststellen, dass sich die Migranten im Großen und Ganzen anständig verhalten haben, dass sie ihre Steuern bezahlt und dem Land unterm Strich einen wirtschaftlichen Vorteil verschafft haben.

Historiker werden einst feststellen, dass sich die Migranten im Großen und Ganzen anständig verhalten und dem Land einen wirtschaftlichen Vorteil verschafft haben.

Natürlich ist die Kernfrage bei der Einwanderung – eine Frage, deren Bedeutsamkeit ich uneingeschränkt akzeptiere – für viele Menschen die Einwanderung aus außereuropäischen Ländern, insbesondere Ländern mit anderen Kulturen, in denen Assimilierung und potenzielle Sicherheitsbedrohungen ein Problem sein können. Doch hat sich dies in der Brexit-Entscheidung niedergeschlagen.

Es war US-Präsident Donald Trump, der sagte, dass ohne die Flüchtlinge aus Syrien „ihr wahrscheinlich keinen Brexit hättet“. Es ist kein Zufall, dass das berüchtigte Einwanderungsplakat der „Leave“-Kampagne ein Bild von Nigel Farage vor einer Schlange von Syrern zeigte.

Wir haben uns also innerhalb weniger Monate von einer Debatte über die Art des von uns angestrebten Brexits, die eine ausgewogene Abwägung all der verschiedenen Möglichkeiten umfasste, zur Vorherrschaft eines einzigen Gesichtspunkts – der Kontrolle der Einwanderung – bewegt, und zwar ohne echte Diskussion, warum und wann ein Brexit jene Einwanderung, die den Leuten am meisten Sorgen macht, beeinflusst oder nicht beeinflusst.

Jetzt wird uns gesagt, wir müssten aufhören, über den Brexit zu debattieren und ihn einfach umsetzen. Ich bezweifle allerdings, ob das Referendum wirklich ein Mandat für einen „Brexit um jeden Preis“ war. Aber nehmen wir an, es wäre so. Das Argument lautet dann, dass das britische Volk gesprochen habe. Wir hätten seinen Willen zu respektieren und sollten „die Sache einfach durchziehen“.

Jeder Teil dieser Verhandlungen – von Geld über Zugang bis hin zu den Regelungen für die Zeit nach dem Brexit – ist selbst eine immense, folgenschwere Entscheidung.

Ich stimme zu, dass „die Sache einfach durchziehen“ eine starke Empfindung ist. Doch wenn wir zum Konzept einer parlamentarischen Demokratie stehen wollen statt zu einer Regierung durch einmalige Plebiszite, dann müssten wir uns auch verpflichtet fühlen, darauf hinzuweisen, dass es hier nicht darum geht, „die Sache einfach durchzuziehen“. Dies ist keine Entscheidung, die, wenn einmal getroffen, eine rein mechanische Angelegenheit ist, die es umzusetzen gilt. Es ist eine Entscheidung, die viele weitere Entscheidungen nach sich zieht. Jeder Teil dieser Verhandlungen – von Geld über Zugang bis hin zu den Regelungen für die Zeit nach dem Brexit – ist selbst eine immense, folgenschwere Entscheidung.

In einer rationalen Welt würden wir fragen: „Warum machen wir das?“ Und wenn wir dann mehr über die Kosten erfahren: „Wiegen die Vorteile die Nachteile auf?“ Lassen Sie uns also die Nachteile anschauen.

Wir werden aus dem Binnenmarkt ausscheiden, auf den rund die Hälfte unseres Handels mit Waren und Dienstleistungen entfällt. Wir werden zudem die Zollunion verlassen, die den Handel mit Ländern wie der Türkei regelt. Wir müssen dann über 50 Präferenzhandelsabkommen ersetzen, die wir im Rahmen unserer EU-Mitgliedschaft haben (zum Beispiel mit der Schweiz). Der EU-bezogene Handel macht also tatsächlich zwei Drittel des Gesamthandels des Vereinigten Königreichs aus. Dies hat Auswirkungen auf alles von Flugreisen über Finanzdienstleistungen bis hin zur verarbeitenden Industrie, auf jede Branche.

Großbritannien wird zudem für bestehende EU-Verpflichtungen bezahlen müssen, die sich auf bis zu 60 Milliarden Pfund belaufen, aber nicht von künftigen Chancen profitieren. Großbritannien wird Einfluss in der wichtigsten politischen Union der Welt verlieren und etwa in Umweltfragen, wo wir gegenwärtig von der kollektiven Stärke Europas profitieren, allein verhandeln müssen. Es herrscht Alarmstimmung in so unterschiedlichen Branchen wie Forschung und Kultur über die Auswirkungen des Wegfallens europäischer Fördermittel. All dies ist das Ergebnis einer komplizierten Neuverhandlung der Handelsvereinbarungen, die wir gerade aufgegeben haben.

Die Komplexität dieser Verhandlungen ist beispiellos. Es ist sogar möglich, dass sie scheitern werden und dass wir dann letztlich auf der Grundlage der Regeln der Welthandelsorganisation Handel treiben werden

Die Komplexität dieser Verhandlungen ist zudem beispiellos. Es ist sogar möglich, dass sie scheitern werden und dass wir dann letztlich auf der Grundlage der Regeln der Welthandelsorganisation Handel treiben werden. Dies ist ein weiteres Minenfeld. Wir müssten nicht nur über die Aufhebung von Zollschranken verhandeln, sondern auch über die Verhinderung nicht-tarifärer Handelshindernisse, die heute häufig die größten Hürden für den Handel darstellen und den Unternehmen hohe Kosten auferlegen. Dies könnte Jahre dauern.

Das britische Pfund ist seit dem Brexit-Referendum gegenüber dem Euro um rund zwölf Prozent und gegenüber dem Dollar um rund 20 Prozent gefallen. Dies stellt die Bewertung der internationalen Finanzmärkte in Bezug auf unseren künftigen Wohlstand dar: Wir werden ärmer sein. Die Preise für Importwaren in den Supermärkten sind gestiegen und damit auch die Lebenshaltungskosten.

Natürlich kann und würde Großbritannien außerhalb der EU überleben. Das Vereinigte Königreich ist ein großartiges Land, mit unverwüstlichen und kreativen Menschen. Und es wird uns niemand abschreiben, und sie sollten es auch nicht. Doch das Beste aus einer schlechten Situation zu machen ändert nichts daran, dass es unklug ist, sich ohne Not selbst in diese Lage zu bringen.

Am eigenartigsten überhaupt ist, dass die beiden großen Leistungen der britischen Diplomatie in Europa in den letzten Jahrzehnten, die sowohl von Labour- als auch von konservativen Regierungen unterstützt wurden – nämlich der Binnenmarkt und die europäische Erweiterung – nun anscheinend die beiden Dinge sind, die wir am meisten bereuen und los werden wollen.

Großbritannien hat vom Binnenmarkt enorm profitiert; er hat uns Vermögen in Milliardenhöhe, hunderttausende von Arbeitsplätzen und bedeutende Investitionschancen gebracht. Unser Handel mit einer erweiterten EU hat dazu geführt, dass das Handelsvolumen mit Polen von drei Milliarden Pfund im Jahr 2004 auf 13,5 Milliarden Pfund im Jahr 2016 gestiegen ist.

Ehemalige Ostblockländer sind der EU und der NATO beigetreten, was unsere eigene Sicherheit erhöht hat. Und zusätzlich zu all dem ist die Möglichkeit einer Aufspaltung des Vereinigten Königreichs – die durch das Ergebnis des schottischen Referendums über die Unabhängigkeit Schottlands 2014 knapp vermieden wurde – jetzt wieder auf dem Tisch, aber diesmal in einem Kontext, der für die Sache der Unabhängigkeit sehr viel glaubwürdiger ist. Und wir erleben schon jetzt die destabilisierenden Auswirkungen von Verhandlungen über die Grenzregelungen, die geholfen haben, Nordirland den Frieden zu bringen.

Nichts hiervon lässt die Herausforderungen außer Acht, die jene Wut angeheizt haben, die zum Brexit-Votum führte: das Abgehängtsein durch die Globalisierung, die Folgen der Finanzkrise, stagnierende Einkommen für etliche Familien und der von einer zunehmenden Migration ausgehende Druck. Dies alles versetzt absolut vernünftige Leute in Sorge und gibt ihnen das Gefühl, mit diesen Sorgen allein zu bleiben.

Ich war immer der Ansicht, dass, wenn die politische Mitte Probleme nicht in Angriff nimmt, die Extreme diese ausnützen können. Doch es ist unsere Pflicht, Antworten zu geben und nicht, auf der Welle der Wut zu reiten.

Mays Kabinett ist eine Regierung des Brexits, für den Brexit und dominiert vom Brexit. Sie ist eine politische Entität, die nur einem Zweck dient.

Hier ist das Paradoxon: Während Großbritannien dieses einzigartige Experiment diplomatischer und wirtschaftlicher Komplexität unternimmt, liegt der alleinige Schwerpunkt der Regierung auf einem Thema: dem Brexit. Mays Kabinett ist eine Regierung des Brexits, für den Brexit und dominiert vom Brexit. Sie ist eine politische Entität, die nur einem Zweck dient.

Nichts anderes ist wirklich wichtig: nicht der NHS, der derzeit die schlimmste Krise seit seiner Gründung erlebt, nicht die sehr reale Herausforderung der modernen Wirtschaft, nicht die neuen technologischen Revolutionen in den Bereichen Künstliche Intelligenz und Big Data, nicht die Verbesserung unseres Bildungssystems, um die Menschen auf diese neue Welt vorzubereiten, nicht Investitionen in Kommunen, die von der Globalisierung abgehängt wurden, nicht die zunehmende Belastung durch Kriminalität und wachsende Häftlingszahlen, nicht die Notwendigkeit einer besseren sozialen Absicherung, nicht einmal – und das ist der Gipfel der Ironie – eine echte Politik zur Steuerung der Einwanderung.

Die Prioritäten von Regierungen werden nicht durch Weißbücher oder Worte bestimmt, sondern dadurch, wie konzentriert sie diese angehen. Die Regierung May zeigt Bandbreite nur beim Theme Brexit. Er ist ihr erster Gedanke am Morgen, ihre Alltagsroutine, ihre Meditation vor dem Einschlafen und der Stoff, aus dem ihre Träume sind – oder ihre Alpträume. Die Regierung May ist vom Brexit besessen, weil sie das sein muss.

Wir müssen jene, die am Kosten-Nutzen-Verhältnis interessiert sind, überzeugen, dass die Nachteile groß und die Vorteile weitgehend illusorisch sind.

Was also ist zu tun? Die „Leave“-Kampagne war eine Koalition: Einige waren aus wirtschaftlichen Gründen gegen Europa, andere aus kulturellen Gründen; bei manchen war der Widerstand ideologischer Art, während andere eine Kosten-Nutzen-Analyse machten und zu dem Schluss kamen, dass es uns außerhalb der EU besser gehen würde als in ihr. Wir müssen die Agenda der Ideologen aufdecken, und wir müssen jene, die am Kosten-Nutzen-Verhältnis interessiert sind, überzeugen, dass die Nachteile groß und die Vorteile weitgehend illusorisch sind.

Doch es sind die Ideologen, die den Bus steuern. Die wirtschaftliche Zukunft, die außerhalb Europas möglich ist, ist genau jenes schwach regulierte Offshore-Zentrum niedriger Steuern und des freien Marktes, mit dem May unseren europäischen Nachbarn droht, aber das für die Brexit-Ideologen eine Verheißung darstellt. Tatsächlich ist dies laut Aussage vieler Wirtschaftsvertreter genau das, was ihnen seitens der Regierung vermittelt wird – aber natürlich im Geheimen, denn es ist das genaue Gegenteil von dem, was man der Masse der Wähler erzählt hat, als man ihnen einen faireren Kapitalismus versprach, bei dem die Arbeitnehmer bessergestellt würden.

Dies ist eine Vision, die eine erhebliche Umstrukturierung der britischen Volkswirtschaft und ihres Steuer- und Sozialsystems erfordern würde. Sie bedeutet weniger Geld – und nicht mehr – für den NHS; tatsächlich bedeutet sie vermutlich eine komplette Neuausrichtung des britischen Gesundheitswesens hin zu einem System, das gleichermaßen auf privater und öffentlicher Vorsorge beruht.

Sie bedeutet nicht mehr Schutz für die Arbeitnehmer, sondern weniger. Wenn es das wäre, was wir als Land wollten, dann könnten wir das jetzt haben. Die EU würde uns nicht daran hindern. Doch beim gegenwärtigen Stand der Dinge würde das britische Volk sich nicht für eine derartige Vision entscheiden. Daher wissen die Ideologen, dass sie erst den Brexit herbeiführen müssen, um uns dann zu erzählen, dass das regulierungsarme Niedrigsteuermodell das einzige ist, das außerhalb der EU funktionieren wird. Und zu jenem Zeitpunkt werden sie dann Recht haben.

Wenn wir diese Ideologen besiegen wollen, müssen zwei große Herausforderungen bewältigen. Die erste Herausforderung ist das höchst effektive Kartell rechtsgerichteter Medien, welches das Sprungbrett für die Pro-Brexit-Propaganda während der Referendumskampagne war. Dieses Kartell bemüht sich jetzt ebenso massiv, Optimismus zu erzwingen und jeden als Verräter oder Nörgler an den Pranger zu stellen, der dem nicht zustimmt. Diese Medien haben May ganz deutlich zu verstehen gegeben, dass sie sie glorifizieren werden, solange sie den Brexit durchsetzt.

Die zweite Herausforderung ist das Nichtvorhandensein einer Opposition, die imstande wäre, die Regierung zu schlagen. Die Schwächung von Labour hat den Brexit stark begünstigt. Ich sage das nur äußerst ungern, aber es ist so.

Wir sollten sofort damit anfangen, uns informell zu vernetzen und diese Vernetzung dann zu einer Bewegung mit Gewicht und Reichweite ausbauen.

Das bedeutet, dass wir eine parteiübergreifende Bewegung aufbauen und neue Wege der Kommunikation finden müssen. Viele unterschiedliche Gruppen leisten großartige Arbeit und müssen überlegen, wie sie ihre Strategien und Taktiken wirksamer koordinieren. Wir sollten sofort damit anfangen, uns informell zu vernetzen und diese Vernetzung dann zu einer Bewegung mit Gewicht und Reichweite ausbauen.

Wir müssen die Position jener Abgeordneten stärken, die uns unterstützen, und denen, die das nicht tun, klar zu verstehen geben, dass sie bei einem „Brexit um jeden Preis“ mit Widerstand rechnen müssen. Das Institut, das ich derzeit gründe, wird dabei eine Rolle spielen. Wir sind dabei, ein politisches Programm zu erstellen, das über die Europa-Frage hinausreicht. Es ist dringend notwendig, die Debatte über die Globalisierung und die Art und Weise, wie diese den Menschen nutzen kann, komplett neu zu positionieren. In diesem Sinne ist die Brexit-Debatte Teil von etwas sehr viel Größerem.

Und wir brauchen starke Verbindungen zum übrigen Europa. Wenn unsere Regierung Verhandlungen führen würde, die wirklich die Interessen unseres Landes fördern sollen, würden diese Verhandlungen die Möglichkeit mit umfassen, dass Großbritannien in einer reformierten EU verbliebe.

Es ist klar, dass die Stimmung, die zum Brexit geführt hat, nicht auf das Vereinigte Königreich beschränkt ist. Es gibt europaübergreifend eine breite Sehnsucht nach Reformen. Teil unserer Arbeit sollte sein mitzuhelfen, europaweite Bündnisse zu schaffen, um diesem Impuls Stimme und Wirkung zu verleihen.

Das Argument für Europa bleibt im Verständnis der Zukunft und nicht der Vergangenheit verwurzelt. Überall auf der Welt finden sich Länder aus einem einfachen Grund zu regionalen Bündnissen zusammen: Mit dem Aufstieg Chinas, dem der Indiens und anderer bevölkerungsreicher Länder folgen wird, und angesichts der bereits so großen Macht der USA werden Länder unserer Größe mit ihren Nachbarn zusammenarbeiten, um Stärke und Einfluss und unsere Interessen angemessen zu wahren.

Das transatlantische Bündnis wird heute mehr denn je benötigt, und es ist viel stärker, wenn Großbritannien Teil Europas ist und Europa ein gleichberechtigter Partner Amerikas.

Dies trifft auch auf die Nationen Europas zu. Doch gibt es im Falle Europas noch einen gewichtigeren Grund dafür: Das transatlantische Bündnis wird heute mehr denn je benötigt, und es ist viel stärker, wenn Großbritannien Teil Europas ist und Europa ein gleichberechtigter Partner Amerikas.

Vergessen wir die kurzfristige Wahlkampfpolitik dort oder hier. Langfristig ist dies im Wesentlichen ein Bündnis der Werte: Freiheit, Demokratie und Rechtstaatlichkeit.

Welche Werte werden in einer Welt im Wandel, die sich über nationale und kulturelle Grenzen hinweg öffnet, das 21. Jahrhundert bestimmen? Heute ist erstmals in meinem Erwachsenenleben unklar, ob die Antwort auf diese Frage positiv ausfallen wird. Großbritannien hat aufgrund seiner Geschichte, seiner Bündnisse und seines Charakters eine einzigartige Rolle dabei zu spielen, dies sicherzustellen.

Wie kann es daher für uns in dieser Zeit epischen globalen Wandels klug sein, uns nicht etwa darauf zu konzentrieren, wie wir Partnerschaften aufbauen, sondern wie wir die eine Partnerschaft auflösen, an die wir durch geografische Verbindungen, Handel, gemeinsame Werte und gemeinsame Interessen gebunden sind?

Das einzige unbestreitbare Merkmal heutiger Politik ist ihre Rebellionsfreudigkeit. Die Brexiteers waren die Nutznießer dieser Welle. Jetzt streben sie danach, diese an einem Tag im Juni 2016 einzufrieren.

Sie werden sagen, dass sich der Volkswille nicht ändern könne. Er kann.

Sie werden sagen, dass der Austritt aus der EU unvermeidlich ist. Er ist es nicht.

Sie werden sagen, dass wir nicht das Volk repräsentieren. Wir tun es – viele Millionen davon – und mit entsprechender Entschlossenheit werden noch viele Millionen hinzukommen.

Sie werden behaupten, dass wir das Land spalten, indem wir unsere Argumente vortragen. Dabei sind sie es, die in unserem Land Uneinigkeit schaffen – zwischen den Generationen, zwischen Norden und Süden, zwischen Schottland und England und zwischen denen, die hier geboren sind, und denen, die in unser Land kamen eben aufgrund dessen, für das es ihrer Meinung nach stand und wofür sie es bewunderten.

Dies ist nicht die Zeit für Rückzug, Gleichgültigkeit oder Verzweiflung.

Dies ist nicht die Zeit für Rückzug, Gleichgültigkeit oder Verzweiflung. Es ist eine Zeit, sich zu erheben und das zu verteidigen, woran wir glauben – gelassen, geduldig, siegreich durch die Kraft unserer Argumente, nicht durch das Argument der Gewalt, furchtlos und in der Überzeugung, dass wir im wahren Interesse Großbritanniens handeln.

Dieser Text ist eine Übersetzung einer Rede, die Tony Blair am 17. Februar 2017 in London gehalten hat.

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