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Nach der krachenden Niederlage bei den vorgezogenen italienischen Parlamentswahlen im März 2018 ist es für lange Zeit sehr still geworden um die Demokratische Partei (PD). Der PD gönnte sich nach der Wahlniederlage erst einmal ein einjähriges Sabbatical. Nun soll aber Schluss sein mit der langen Phase der Selbstbeschäftigung und Selbstzersetzung. Pünktlich zum Jahrestag der Wahlniederlage versucht der PD, wieder in die Offensive zu kommen und sich als starke Oppositionspartei und als seriöse Alternative zum aktuellen Regierungschaos zu präsentieren.
Mit seinem Spitzenkandidaten Matteo Renzi hatte der PD vor einem Jahr gerade einmal knapp 19 Prozent erhalten. Wahlgewinner waren die linkspopulistische Fünf-Sterne-Bewegung (M5S) mit fast 33 Prozent sowie die rechtsnationalistische Lega unter Matteo Salvini, die ihr Wahlergebnis im Vergleich zur letzten Wahl um 12,5 Prozente steigerte und mit dem PD fast gleichzog. Nach einigem Hin und Her bildeten die beiden ungleichen Parteien Lega und M5S schließlich die erste panpopulistische Regierung Europas, die es sehr erfolgreich versteht, den Aufmerksamkeitsdiskurs zu bedienen und mit ihren jeweiligen Themen wie striktem Antiimmigrationskurs, Flattax oder Bürgereinkommen zu steuern.
Die Popularität der Regierung ist ungebrochen, auch wenn sich zwischenzeitlich die Gewichte zwischen den Koalitionspartnern umgekehrt haben und der kleinere Koalitionspartner Lega mit Salvini klar der dominierende Part ist. Die konkrete politische Erfolgsbilanz der Regierung hingegen fällt sehr dürftig aus: Europäisches Porzellan wurde en masse zerschlagen, Italien fällt ökonomisch immer weiter zurück und droht in eine Rezession abzurutschen. Von der Opposition hörte man bisher dazu eigentlich nichts. Mit Zingaretti soll das anders werden. Er wurde per offener Urwahl zum neuen Parteivorsitzenden gewählt, an der mehr als 1,6 Millionen Italienerinnen und Italiener teilnahmen. Zingaretti konnte sich mit 66 Prozent der Stimmen klar gegen seine beiden Mitbewerber Maurizio Martina, den Interimsvorsitzenden des PD, sowie Roberto Giachetti, einem engen Gefolgsmann Renzis, durchsetzen.
Zingarettis Auftreten setzt sich wohltuend von den immer schrilleren Tönen der italienischen Politik ab. Ob es ihm gelingt, damit bei den Wählerinnen und Wählern zu punkten, wird sich allerdings noch zeigen.
Der 53 Jahre alte Nicola Zingaretti stammt aus einem eher einfachen sozialen Milieu und begann seine politische Sozialisation in der Kommunistischen Partei Italiens (PCI). Nationale Ämter hatte er bislang zwar nicht inne; er konnte aber als Lokal- und Regionalpolitiker überzeugen, dem es auch in schwierigen Zeiten gelang, Wahlen zu gewinnen. So wurde er 2008 zum Präsidenten der Provinz Rom gewählt, während am gleichen Wahltag die Stadt Rom für die Linke verloren ging. Im März 2018 wurde er als Gouverneur der Region Latium an der Spitze eines Mitte-Links-Bündnisses bestätigt, während gleichzeitig die nationalen Wahlen für den PD zum Desaster wurden.
Zingaretti ist kein Mann der lauten Töne, kein Egomane wie Renzi, sondern eher ein Schlichter und Vermittler. Er wirkt lieber hinter den Kulissen als lautstark in den sozialen Medien. Als Parteivorsitzender versteht er sich nicht als „capo“, sondern als „leader“. Diese Eigenschaften sind dringend notwendig, um den unter Renzi immer stärker zerstrittenen PD wieder zu einen sowie die überaus fragmentierte politische Linke Italiens, die sich in unzähligen Bonsaiparteien zu verwirklichen sucht, zu einer starken politischen linken Kraft zusammenzuführen. Zingarettis ruhiges und sachliches Auftreten ist ein wohltuender Gegenpol zu den immer schriller werdenden Tönen in der italienischen Politik. Ob es ihm damit gelingen wird, bei den Wählerinnen und Wählern durchzudringen, muss sich allerdings noch weisen.
Denn so wichtig solche Stilfragen sind, sie ersetzen – zumindest dauerhaft – keine Inhalte. Zingaretti muss noch an Profil gewinnen, um der Wählerschaft zu vermitteln, für was der PD konkret unter seiner Führung steht. In den ersten Wochen hat Zingaretti sehr geschickt agiert. Sein ökumenischer Ansatz der Versöhnung der Partei und der Einigung des linken Lagers zeigt erste Erfolge. Unzählige Gespräche wurden geführt, um gemeinsames Terrain auszuloten und verloren gegangenes Vertrauen wieder aufzubauen. Es findet eine Abkehr von der Politik Renzis statt, die ganz vom Geist des Dritten Weges inspiriert war. Stattdessen versucht Zingaretti das politische Profil des PD vorsichtig, aber nachhaltig nach Links zu verschieben. Es steht eine inhaltliche Neuausrichtung der Partei an, die sich wieder stärker den zuvor vernachlässigten Themen Ungleichheit, Ungerechtigkeit, Armut und (soziale) Spaltung annehmen soll.
Neben Einigung und programmatischer Neuausrichtung ist die Öffnung der Partei in die durchaus lebendige und vielfältige italienische Zivilgesellschaft die dritte große Aufgabe Zingarettis.
Neben Einigung und programmatischer Neuausrichtung ist die Öffnung der Partei in die durchaus lebendige und vielfältige italienische Zivilgesellschaft die dritte große Aufgabe Zingarettis. Gleich in den ersten Tagen nach seiner Wahl traf sich Zingaretti mit den Vorsitzenden der italienischen Gewerkschaftsdachverbände. Er sucht einen Neuanfang, nachdem das Verhältnis zwischen Gewerkschaften und PD durch die Reformpolitik Renzis sehr zerrüttet worden war. Auch soll die Parteizentrale, die sich momentan unweit des Trevibrunnens im touristischen Zentrum Roms befindet, in die Peripherie der Stadt verlegt werden, dahin, wo jene Menschen leben, als deren Interessenvertreter sich der PD versteht.
Jüngste Umfragen sehen nach langer Stagnation einen Anstieg der Umfragezahlen über 22 Prozent und teils auch ein Überrunden des M5S. Dennoch kam es unmittelbar nach der Amtsübernahme Zingarettis zu einer weiteren historischen Niederlage der Linken bei den Regionalwahlen in der Basilikata, wo sie nach über 20 Jahren die Macht an ein rechtes Parteienbündnis verlor. Doch dieses Ergebnis kann kaum Zingaretti angelastet werden. Seine erste Bewährungsprobe werden die Wahlen zum Europaparlament am 26. Mai sein. Den äußerst komplexen Balanceakt der Listenaufstellung hat er vergangene Woche unfallfrei abschließen können und eine breit aufgestellte Kandidatenliste vorgestellt, die möglichst viele Strömungen zu berücksichtigen sucht. Frauen sind in der Mehrzahl und ein Drittel der Kandidaten sind nicht Mitglied des PD. Auf diese Weise hofft man, die gesellschaftliche Öffnung der Partei voranzutreiben.
Dass der PD unter Zingarettis Führung das Wahlergebnis von 2014 erreicht, erwartet niemand von ihm. Damals hatte Renzi fast 41 Prozent der Stimmen erhalten und das Ergebnis gleichsam als Plebiszit für seine nationale Erneuerungspolitik verstanden, die schließlich in das Wahldebakel von 2018 mündete. Wichtiges Wahlziel des PD wird es sein, den M5S zu überrunden und zweitstärkste Kraft (nach der Lega Salvinis) zu werden. Beim M5S ist es derzeit offen, ob es sich um fünf Sterne oder eher fünf verglühende Kometen handelt. Wenn es dem PD gelingt, M5S zu überrunden, hätte das eine große Bedeutung: Italiens linke Opposition ist wieder da.