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Das Verfahren zur Auswahl des nächsten Geschäftsführenden Direktors des Internationalen Währungsfonds muss sich ändern. Insbesondere muss die Tradition, einen Europäer für den Posten auszuwählen – die auf einem mit den USA bei Gründung der Einrichtung vor 75 Jahren geschlossenen unfairen und anachronistischen „Gentlemen’s Agreement“ beruht – aufgegeben werden. Noch wichtiger freilich ist es, den langjährigen Ansatz des IWF bei der Kreditvergabe zu ändern.

Der Fonds kann auf eine lange Geschichte geldpolitischer Fehler zurückblicken. Doch wie Christine Lagardes gerade zu Ende gegangene Amtszeit gezeigt hat, hat er kaum etwas daraus gelernt. Man betrachte etwa den Fall Argentiniens. Mitte 2018 stimmte der IWF zu, dem Land eine dreijährige Kreditlinie im Volumen von fast 57 Milliarden Dollar mit weitgehend frühzeitiger Kreditausschüttung einzuräumen – die größte in der Geschichte des IWF. Dies geschah nach einer Serie verantwortungsloser Entscheidungen durch Präsident Mauricio Macri.

Eine dieser Entscheidungen, die Macri kurz nach seinem Amtsantritt 2015 traf, war sein Abschluss einer Vereinbarung über eine vollständige Rückzahlung mit den vergleichsunwilligen Gläubigern, die im Gefolge des Zahlungsausfalls Argentiniens 2002 und der anschließenden Schulden-Umstrukturierung noch immer vor US-Gerichten klagten. Eine andere war Macris anschließende Kreditorgie, die 2017 zu einem Anschwellen der – überwiegend auf Dollar lautenden – Staatsverschuldung um mehr als ein Drittel auf 321 Milliarden Dollar führte.

Im vergangenen Jahr dann überstiegen Argentiniens Haushalts- und Leistungsbilanzdefizite 5 Prozent des BIP. In der darauf folgenden Wirtschafts- und Finanzkrise stieg die Staatsverschuldung steil auf fast 90 Prozent des BIP an; der Wert des Pesos brach kapitalfluchtbedingt ein, und die Inflation schoss in die Höhe. Unter dem Druck von US-Präsident Donald Trump (der Geschäftsbeziehungen zu Macri unterhält), griff der IWF ein – mit Lagardes aktiver Unterstützung.

Statt aus seinen Fehlern im Umgang mit der asiatischen Finanzkrise der 1990er Jahre zu lernen, wiederholte der IWF diese in Europa.

Das Volumen der Kreditlinie mag beispiellos sein, doch wies sie ansonsten all die vertrauten Merkmale früherer IWF-Finanzierungsprogramme auf. Im Austausch für das Geld sollte Argentinien massive Haushaltseinschnitte umsetzen, um 2019 seinen Primärhaushalt auszugleichen und sein Außendefizit deutlich zu reduzieren. Argentinien kam dem nach – und die Wirtschaftslage verschlechterte sich stetig. Heute beläuft sich die Inflation auf über 55 Prozent, die Armutsquote liegt bei über 30 Prozent, und Produktionsleistung und Beschäftigung gehen zurück. Von den Zielwerten des IWF für Investitionen und BIP-Wachstum, die bereits zweimal korrigiert werden mussten, ist Argentinien meilenweit entfernt. Weitere Abwärtskorrekturen werden unzweifelhaft folgen.

Der IWF hat all dies schon früher erlebt. Im Jahr 1998, als Ostasien eine Finanzkrise durchmachte, musste der Fonds nicht weniger als fünf Vertragsvereinbarungen mit Thailand unterzeichnen. Die Tatsache, dass das Land alle vom IWF auferlegten Sparvorgaben erfüllt hatte, führte dazu, dass es seine gesamtwirtschaftlichen Ziele verpasste.

Doch statt aus seinen Fehlern im Umgang mit der asiatischen Finanzkrise der 1990er Jahre zu lernen, wiederholte der IWF diese in Europa, nachdem die globale Finanzkrise von 2008 die Eurozone ins Trudeln brachte. Insbesondere lieh er Griechenland – statt einen Zahlungsausfall des Landes in Bezug auf seine enormen Schulden gegenüber privaten Gläubigern zuzulassen – gemeinsam mit der Europäischen Zentralbank und der Europäischen Kommission Geld. Die begleitenden Sparvorgaben machten eine Rückzahlung dieser nun von offiziellen Kreditgebern gehaltenen Schulden unmöglich.

Griechenland geht es bis heute schlecht. Im Jahre 2013 legte der IWF einen Bericht vor, in dem er eingestand, dass er die Auswirkungen „unterschätzt“ habe, die die Sparpolitik auf die griechische Wirtschaft haben würde. Dies schien vielversprechend. Doch in der Übereinkunft des Fonds mit Argentinien bloße fünf Jahre später spiegelt sich diese scheinbare Erkenntnis nicht wider. Genauso wenig kommt sie in einer neueren Finanzierungsübereinkunft mit einem anderen lateinamerikanischen Land zum Ausdruck.

Nach der Logik des Fonds werden sich Kapitalabflüsse von 1,9 Prozent des BIP 2020 trotz eines Beschäftigungs- und Konsumrückgangs und einer Rezession in Kapitalzuflüsse von 4,9 Prozent des BIP verwandeln.

Im März bewilligte der IWF eine dreijährige Kreditlinie im Volumen von 4,2 Milliarden Dollar für Ecuador. Dies geschah im Rahmen eines Plans zur Reduzierung der Staatsverschuldung und zur Umsetzung von Wirtschaftsreformen. Im Gegenzug verlangt der Fonds wie vorhersehbar eine rasche Haushaltskonsolidierung, die durch Lohnsenkungen, den Abbau von Arbeitsplätzen im öffentlichen Sektor, höhere Energiepreise, neue Gebühren für staatliche Leistungen und höhere indirekte Steuern erreicht werden soll. Wie Mark Weisbrot und Andrés Arauz in einem Bericht für das Center for Economic and Policy Research anmerken, dürften diese Schritte einen sofortigen Rückgang des BIP bewirken und dazu führen, dass die derzeitige Rezession sich während der gesamten planmäßigen vierjährigen Laufzeit des Programms fortsetzt.

Doch redet sich der IWF irgendwie ein, dass das Wachstum 2019 nur leicht zurückgehen wird, um sich dann 2020 wieder zu erholen, weil ein enormer Anstieg des Vertrauens des privaten Sektors – bedingt natürlich durch eine restriktive Haushaltspolitik und durch Privatisierungen – zu einer Zunahme ausländischer Investitionen im Lande führen würde. Nach der Logik des Fonds werden sich Kapitalabflüsse von 1,9 Prozent des BIP 2020 trotz eines Beschäftigungs- und Konsumrückgangs und einer Rezession in Kapitalzuflüsse von 4,9 Prozent des BIP verwandeln. Wie gewöhnlich wird sich die Torheit dieses Denkens über kurz oder lang erweisen (eine ins Trudeln geraten Wirtschaft ist, soviel sollte klar sein, für privates Kapital nicht attraktiv).

In der Zwischenzeit werden die Menschen in Ecuador aufgrund steigender Arbeitslosigkeit, sinkender Lebensstandards, zunehmender Ungleichheit und wachsender Armut enorm leiden. Der bizarre Glaube des IWF an eine „wachstumsfördernde Sparpolitik“ wäre lächerlich, wenn er nicht so schädlich wäre. Wie kann der IWF einen Ansatz rechtfertigen, der auf eine derart schwache Erfolgsbilanz bauen kann? Eine Erklärung könnte ein Mangel an Rechenschaftspflicht sein, der sich auf alle Ebenen der Bürokratie der Organisation bis ganz an die Spitze erstreckt. Falls dies zutrifft, wäre eine Stärkung der Rechenschaftspflicht – zusammen mit einer Anpassung der Kreditpolitik des Fonds an die wirtschaftlichen Realitäten – die vordringlichste Aufgabe des neuen Geschäftsführenden IWF-Direktors.

Aus dem Englischen von Jan Doolan.

(c) Project Syndicate