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Über ein halbes Jahrzehnt arbeitet die Bundesregierung nun schon daran, Unternehmen zur Einhaltung von Menschenrechten und Umweltschutz in ihren Lieferketten zu verpflichten. Dazu ist sie von den Vereinten Nationen auch angehalten. 2011 vom UN-Menschenrechtsrat beschlossen, formulieren die Leitprinzipien unter anderem die unternehmerische Verantwortung zur Achtung der Menschenrechte. In Deutschland geht die Umsetzung jetzt endlich in die heiße Phase.

Als Teil des deutschen Aktionsplans sollten zwei Umfragen aufzeigen, ob Unternehmen auf freiwilliger Basis Menschenrechts- und Umweltstandards in ihren globalen Lieferketten nachkommen. Studien zu diesem Thema gibt es bereits viele: Sie belegen, wer in der internationalen Arbeitsteilung keine verbindlichen Regeln einführt, kommt am Ende zwar mit wirtschaftlichem Profit, aber auf Kosten von Menschenrechten raus.

Der Plan der Bundesregierung, deutsche Unternehmen im Prozess zu mehr Sorgfaltspflicht mitzunehmen und ihnen Zeit zu geben, sich entsprechend der UN-Leitprinzipien aufzustellen, ist nicht aufgegangen. Bereits das erste Ergebnis machte deutlich, wie es um Menschenrechte bei deutschen Unternehmen steht. Gerade einmal 18 Prozent achten Menschenrechte ausreichend. Auch die zweite Umfrage, dessen Ergebnis diese Woche von Arbeitsminister Heil und Entwicklungsminister Müller bekanntgegeben wurde, geht in die gleiche Richtung: nur 22 Prozent der befragten Unternehmen erfüllen die Anforderungen. Das heißt, 4 von 5 Unternehmen, kommen ihren menschenrechtlichen Verpflichtungen nicht nach. Damit steht endgültig fest: Freiwilligkeit führt nicht zum Ziel. Es braucht verbindliche Standards – also ein Gesetz.  

Denn wo wir ohne verbindliche Regelungen hinkommen, zeigt die Liste an Menschenrechtsverletzungen, an denen deutsche Unternehmen beteiligt sind: Von Bränden in Textilfabriken in Bangladesch und Pakistan bis zu Exporten giftiger Pestizide nach Indien und Paraguay. Einige Fälle haben es an die Öffentlichkeit geschafft, zahlreiche andere bleiben unbekannt. Rund 450 Millionen Menschen arbeiten in der internationalen Arbeitsteilung. Für viele Beschäftigte sind unfaire Löhne, Ausbeutung, Kinderarbeit, sexualisierte Gewalt, Beschränkungen der Gewerkschaftsrechte oder mangelhafte Feuer- und Gebäudesicherheit Alltag. Betroffen sind vor allem Frauen im Globalen Süden, wie der verheerende Einsturz der Textilfabrik Rana Plaza in Bangladesch mit 1135 Toten und 2500 Verletzten zeigte.

Wo wir ohne verbindliche Regelungen hinkommen, zeigt die Liste an Menschenrechtsverletzungen, an denen deutsche Unternehmen beteiligt sind.

Gefragt ist nun die deutsche Regierung. Der Fahrplan steht, denn der Koalitionsvertrag schreibt fest: kommt die Überprüfung zu dem Ergebnis, dass die freiwillige Selbstverpflichtung der Unternehmen nicht ausreicht, wird die Regierung gesetzlich tätig. Der Zeitpunkt zu Handeln könnte nicht besser sein. Selten waren globale Lieferketten und ihre Gestaltung derart in der Diskussion. Die Corona-Pandemie hat die weltweite Vernetzung ebenso wie die Fragilität der globalen Lieferketten deutlich gemacht. Dass rund 80 Prozent des weltweiten Handels in Lieferketten stattfindet, ist sowohl im Globalen Norden als auch im Süden spürbar. Einigkeit besteht darin, dass Lieferketten widerstandsfähiger sein müssen.

Unterschiedlich fühlt sich dagegen das Machtkorsett an: Denn während Unternehmen im Globalen Norden Aufträge in Millionen-Höhe beispielsweise in der Textilwirtschaft stornierten, standen Arbeiterinnen in Bangladesch, Pakistan oder Kambodscha von einem zum anderen Tag ohne Arbeit da. Die ausfallenden Löhne führten nicht zuletzt aufgrund fehlender sozialer Sicherungssysteme zu Armuts- und Hungerkrisen. Es braucht keine weitere Studie, um zu erkennen, dass auch in der Pandemie ein System der Globalisierung greift, bei der der Wohlstand des Globalen Nordens auf der Ausbeutung des Globalen Südens fußt.

Wer es ernst meint mit der Widerstandsfähigkeit globaler Lieferketten, muss auch dieses System angehen: widerstandsfähig sind globale Geschäftsbeziehungen dann, wenn Menschenrechte geachtet werden. Das Lieferkettengesetz ist daher ein entscheidender Baustein die Globalisierung nachhaltiger, solidarischer und gerechter zu gestalten.

Manche Unternehmensverbände mögen das anders sehen. Mit aller Mühe und so manchem fragwürdigem Argument arbeiten sie sich an der Methodik der Umfragen und ihrer Aussagekraft ab. Die entstehenden Kosten reden sie oft in unermessliche Höhe. Dabei steht längst fest, dass die Umsetzung von menschenrechtlicher Sorgfaltspflicht minimale Auswirkungen auf die Unternehmensgewinne haben würde. Langfristig könnten sie sogar steigen.

Für Viele ist das Vorgehen der letzten Jahre schlicht eine Verzögerungsstrategie. Vernarrt in die längst entlarvten Corporate Social Responsibility-Modelle, verkennen die Verbände, was viele ihrer Mitglieder fordern: Ein Lieferkettengesetz. Denn der Kreis an Unterstützern seitens der Unternehmen wächst kontinuierlich. Während die einen das ökonomische Kalkül im Kopf haben und Kosten für potenzielle Imageschäden abwägen, wollen die anderen endlich Rechts- und Handlungssicherheit. Ebenso fordern gerade die Unternehmen, die ihrer menschenrechtlichen Sorgfaltspflicht seit Jahren nachkommen, endlich gleiche Wettbewerbschancen. Denn die aktuelle Situation benachteiligt deutlich die Unternehmen, die in den Schutz ihrer Lieferketten investieren und diese nachhaltig gestalten. Dabei sind es genau diese Unternehmen auf dessen Erfahrungen zukünftig aufgebaut werden muss.

Die aktuelle Situation benachteiligt deutlich die Unternehmen, die in den Schutz ihrer Lieferketten investieren und diese nachhaltig gestalten

Gutes Wirtschaften verlangt seit jeher auch Risiken zu kennen und entsprechend Gegenmaßnahmen zu ergreifen. Notwendig dazu sind Berichtswesen, Kommunikation, Transparenz, Beschwerdestellen und Wiedergutmachung. Was bei der Produktqualität deutschen Unternehmen im internationalen Vergleich hervorragend gelingt, muss auch für die Menschenrechte gelten. Und nichts anderes steckt hinter der menschenrechtlichen Sorgfaltspflicht. Nur können wir uns hier bei weitem noch nicht als internationale Vorreiterin schmücken.  

Der Zeitpunkt inmitten der EU-Ratspräsidentschaft ist ein klares Signal an Europa. Als starke Wirtschaftsnation geht Deutschland mit einem Gesetz voran. Die Hebelwirkung die davon ausgeht, muss für die europäische Ebene genutzt werden. Denn auch hier tut sich seit dem Vorstoß des EU-Justizministers Reynders für eine europäische Gesetzesverordnung einiges. Irreführend ist dagegen die Argumentation, die europäische Gesetzesverordnung könne ein nationales Gesetz ersetzen. Der Weg zu rechtlichen Schritten auf der europäischen Ebene ist lang und in der Ausgestaltung noch ungewiss. Wird die EU rechtlich tätig, ist Deutschland inklusive der Wirtschaft bereits gewappnet. Auch andere Länder in der EU haben sich für diesen Weg entschieden. Frankreich brachte beispielsweise schon 2017 ein eigenes Gesetz auf den Weg.

Das Lieferkettengesetz ist eine Frage der globalen Gerechtigkeit. Damit es tatsächlich wirkt, muss es jedoch die gesamte Wertschöpfungskette betreffen. Nicht nur große Unternehmen, sondern auch Unternehmen aus Sektoren mit großen Menschenrechtsrisiken sowie umsatzstarke Unternehmen müssen abgedeckt sein. Eine Mitgliedschaft in einer staatlich anerkannten Brancheninitiative darf Unternehmen nicht von ihrer Verantwortung zur Einhaltung der Menschenrechte befreien.

Menschenrechte und Umweltschutz müssen zusammen gedacht werden. Für eine effektive Durchsetzung sind staatliche Kontrollbefugnisse entscheidend. Dazu gehören beispielweise Möglichkeiten für Sanktionen genauso wie das Verhängen von Bußgeldern. Betroffene von Menschenrechtsverletzungen im Ausland müssen die tatsächliche Möglichkeit haben, von Unternehmen vor deutschen Gerichten Schadensersatz einzuklagen. Damit eine Klage auch Erfolgschancen hat, kann die Last nicht alleine bei der Klägerin liegen. Es braucht eine Beweislastumkehr.

Wichtig wird in den nächsten Wochen sein, nicht nur Unternehmen weiter einzubinden, sondern auch die Zivilgesellschaft und Gewerkschaften weltweit. Denn schon Gewerkschaftsvertreterinnen in Bangladesch hätten vermutlich das Ergebnis der langwierigen Umfragen ziemlich treffsicher vorausgesagt.