Ende Februar gab es für europäische Diplomaten bei den Vereinten Nationen zwei größere Schockmomente. Der erste ging von der Trump-Regierung aus: Nachdem die USA unter Joe Biden in enger Kooperation mit den EU-Mitgliedstaaten Resolutionen eingebracht hatten, die der Ukraine gegen Russland den Rücken stärkten, hat die neue US-Regierung ihre Haltung schlagartig geändert.

Am 24. Februar jährte sich der Beginn des russischen Großangriffs auf die Ukraine zum dritten Mal. Aus diesem Anlass brachten Kiew und Brüssel eine neue Resolution in die UN-Vollversammlung ein, in der sie einmal mehr auf die territoriale Integrität der Ukraine bestehen. Die USA setzten Kiew und die EU daraufhin unter Druck und versuchten sie dazu zu bewegen, dass sie den Entwurf zurückziehen. Während der ukrainische Präsident Wolodymyr Selenskyj darauf pochte, dass die Resolution bestehen bleibt, legte Washington in der Vollversammlung und im Sicherheitsrat Alternativentwürfe auf den Tisch, in denen eine zügige Einigung mit Russland empfohlen wurde. Darin wird allerdings weder die Souveränität der Ukraine erwähnt noch gefordert, dass die russische Führung für den Krieg zur Verantwortung gezogen werden müsse.

Der zweite Schock für die EU-Staaten: Viele andere UN-Mitglieder stimmten entweder für die Position der USA oder lehnten es ab, sich in das transatlantische Gerangel hineinziehen zu lassen. 2022 und 2023 waren Vertreter der EU und der USA sehr erfolgreich, wenn es in der Vollversammlung darum ging, im Schulterschluss mit Verbündeten wie Australien und Großbritannien breite Mehrheiten für russlandkritische Resolutionen zu sichern. Im März 2022 votierten 141 UN-Mitglieder für eine Resolution, in der Russland als Aggressor verurteilt wurde. Eine ebenso große Mehrheit unterstützte im Februar 2023 eine Resolution, in der die Konditionen für einen gerechten und dauerhaften Frieden genannt und die Souveränität und die territorialen Rechte der Ukraine entschieden bekräftigt wurden.

Damals in der ersten Phase des Krieges sah es für kurze Zeit so aus, als würden die USA und die EU eine internationale und regionenübergreifende Koalition zur Unterstützung der Ukraine schmieden. Amerikanische und europäische Vertreter betonten, dass Moskau nicht nur einen Regionalkrieg begonnen habe, sondern auch die Grundprinzipien der UN-Charta einschließlich des Angriffsverbots infrage stelle. Diesem Standpunkt schlossen sich auch afrikanische und lateinamerikanische Länder an, die in anderen Fällen wie zum Beispiel beim Irak-Krieg die Politik des Westens kritisiert hatten.

Seit diesem Monat bietet sich ein ganz anderes Bild. Die Bemühungen der USA, die ukrainisch-europäische Resolution abzuräumen, wurden mit einer Menge plumper Lobbyarbeit und allerhand Drohungen an die Adresse der UN-Mitglieder betrieben und wirkten wie eine Abkehr von der transatlantischen Kooperation und von den in der UN-Charta verankerten Grundsätzen. Die eher gleichgültige Reaktion des Globalen Südens auf die diplomatische Offensive der USA ließ den Eindruck entstehen, dass die Unterstützung der nicht-westlichen Diplomaten für die Ukraine nur oberflächlich gewesen sei. Als die europäischen Vertreter in New York am Morgen des 25. Februar erwachten, waren sie von den Geschehnissen des Vortages wie benebelt und kamen sich unangenehm isoliert vor.

Auch die USA hatten Mühe, in der Vollversammlung breite Zustimmung zu ihrer eigenen Resolution zu mobilisieren.

Doch die Reaktion der UN-Vertreter der nicht-westlichen Länder auf die verfahrene Situation zwischen den USA und den Europäern war nicht durchweg negativ. 50 afrikanische, asiatische und lateinamerikanische Staaten unterstützten den Resolutionsentwurf der Europäer, der auf die Rechte der Ukraine pocht. Zusammen mit den Stimmen der Europäer und weiterer Verbündeter genügte das, um den Text durchzubringen. 13 nicht-europäische Länder stimmten jedoch (ebenso wie Russland und die USA) gegen die Resolution, 75 enthielten sich oder nahmen nicht an der Abstimmung teil. Wichtige Länder des Globalen Südens wie Brasilien und Südafrika unterstellten implizit, die europäischen Staaten würden den Krieg in die Länge ziehen.

Auch die USA hatten Mühe, in der Vollversammlung breite Zustimmung zu ihrer eigenen Resolution zu mobilisieren. Nachdem es Frankreich gelungen war, sie durch ukrainefreundliche Positionen zu verändern, enthielten die USA sich bei der Abstimmung über die eigene Resolution. Als die USA ihre zurechtgestutzte Resolution im Sicherheitsrat zur Abstimmung stellten, wurde sie von allen nicht-europäischen Mitgliedern des kleineren Gremiums gebilligt, während die Europäer sich enthielten. Seit 2022 hatten Großbritannien, Frankreich und die USA im Sicherheitsrat stets geschlossen abgestimmt, wenn es um die Ukraine ging. Jetzt stellten sich die USA an die Seite Chinas und Russlands und gegen ihre Verbündeten.

Wenn man auf die Vergangenheit zurückblickt, sollte man weder von der Attacke der USA noch von der Reaktion des Globalen Südens überrascht sein. Präsident Trump hatte vor und nach seiner Amtsübernahme keinen Hehl daraus gemacht, dass er mit Russland eine Friedensvereinbarung bezüglich der Ukraine aushandeln wolle. Wenige Tage vor der Abstimmung bei den Vereinten Nationen hatten sich in Saudi-Arabien hochrangige US-Vertreter mit ihren russischen Kollegen getroffen. Und dass die Unterstützung des Globalen Südens für die Ukraine in den Gremien der UN bröckelt, zeichnet sich schon seit Längerem ab. Nachdem im Oktober 2023 der Krieg zwischen Israel und der Hamas ausgebrochen war, warfen viele nicht-westliche Länder den USA und der EU vor, die Palästinenser seien ihnen weniger wichtig als die Ukrainer. Als die Ukraine im Sommer 2024 in einer Resolution in der UN-Vollversammlung den Schutz ihrer kerntechnischen Anlagen einforderte, erhielt sie nur von 98 UN-Mitgliedstaaten Rückendeckung. Selbst wenn die USA sich zu der von der Ukraine und Europa eingebrachten Resolution neutral verhalten hätten, wären ihr maximal 120 Ja-Stimmen beschieden gewesen.

Nach dem erwähnten Doppelschock stehen die Vertreter der EU jetzt vor einem zweifachen Dilemma: Wie sollen sie sich künftig in den Diskussionen im Rahmen der UN zu den USA und zum Globalen Süden verhalten? In den Gesprächen, die ich in den Tagen nach den kontroversen Abstimmungen in Sachen Ukraine mit europäischen Diplomaten in Manhattan geführt habe, wurden zwei unterschiedliche Lager erkennbar. Eine Gruppe verwies auf Europas Interesse an einem funktionierenden transatlantischen Bündnis und plädierte dafür, den Zank als misslichen Ausrutscher zu verbuchen und zur Tagesordnung überzugehen. Gerüchteweise sei zu hören, die Impulsgeber der US-Politik seien Vertreter der mittleren Entscheidungsebene, sodass diese Politik nicht als Indiz für die künftige Politik der USA gewertet werden solle.

Einige europäische Vertreter sind enttäuscht, dass nur eine überschaubare Zahl nicht-westlicher Länder sie unterstützt hat.

Die zweite Gruppe ist weniger optimistisch und glaubt, die Trump-Regierung habe nun deutlich gezeigt, wie sie im UN-Rahmen politisch zu agieren gedenke. Dass Trump in multilateralen Foren ein einfacher Partner sein würde, hat niemand erwartet. Schließlich verkündete er an seinem ersten Tag im Amt den Austritt aus dem Pariser Klimaschutzabkommen und der Weltgesundheitsorganisation (WHO). Doch welches Konzept er für den Umgang mit dem Sicherheitsrat verfolgen würde, war bis zum jetzigen Streit in der Ukrainefrage nicht klar. Nunmehr – so die Pessimisten – sei offensichtlich, dass er die UN als Plattform für die Verbesserung der amerikanischen Beziehungen zu Russland betrachte und sich dafür über zentrale Anliegen der UN-Charta wie das Angriffsverbot hinwegsetzen werde.

Auch in Bezug auf den Globalen Süden gibt es zwei Lager mit unterschiedlichen Einschätzungen. Einige europäische Vertreter sind enttäuscht, dass nur eine überschaubare Zahl nicht-westlicher Länder sie unterstützt hat. In den vergangenen Jahren hatten EU-Vertreter in dem eifrigen Bemühen, mehr Unterstützung für die Ukraine zu mobilisieren, versucht, ihren Kolleginnen und Kollegen aus dem Globalen Süden dadurch entgegenzukommen, dass sie Verständnis für ihre Sorgen angesichts der Schuldenproblematik signalisierten. Diese Geste des Entgegenkommens hat sich allem Anschein nach nicht ausgezahlt. Manche europäische Vertreter würden gegenüber den nicht-westlichen Staaten gern eine härtere Gangart einlegen und zum Beispiel das Bereitstellen von Hilfen eindeutiger von den politischen Beziehungen im Rahmen der UN abhängig machen.

Weniger kämpferisch gestimmte Beobachter fragen sich, ob ein so harter Kurs vernünftig sei. Wenn die Länder des Westens – von denen viele schon jetzt ihre Auslandshilfen kürzen – versuchen, die nicht-westlichen Länder unter Druck zu setzen, werden diese sich womöglich stärker China zuwenden. Zudem kann es sein, dass die Trump-Regierung in den nächsten Monaten Schritte unternimmt, die auch Staaten außerhalb der EU vor den Kopf stoßen. Unter UN-Vertretern geht zum Beispiel die Sorge um, dass die Trump-Regierung im Sicherheitsrat und in der Generalversammlung Israels Bestrebungen unterstützen könnte, das Westjordanland zu annektieren oder die dort lebenden Palästinenser zu vertreiben. Das könnte viele nicht-westliche Länder dazu bewegen, ihre Haltung gegenüber Washington zu überdenken und mehr Aufgeschlossenheit zu entwickeln für Europas Standpunkt, dass die Ukraine und die UN-Charta verteidigt werden müssen.

Die europäischen Vertreter sollten davon ausgehen, dass in New York harte Auseinandersetzungen mit den USA in der Ukrainefrage auf sie zukommen könnten und sie auf den Rückhalt nicht-westlicher Länder angewiesen sein werden. Wenn Moskau und Washington ein Waffenstillstandsabkommen aushandeln, stehen die Chancen gut, dass sie es im Sicherheitsrat absegnen lassen wollen (2015 überzeugte Russland den Sicherheitsrat, das Minsk-2-Abkommen für völkerrechtlich verbindlich erklären zu lassen). Wenn das Abkommen für Kiew akzeptabel ist und die einflussreichen Länder Europas es als unbedenklich einstufen, ist alles in Ordnung. Sollte das Abkommen sich für die Ukrainer als allzu bittere Pille erweisen oder von den Europäern als grundlegend fehlerhaft beurteilt werden, könnte es im Rahmen der UN zu weiteren harten Auseinandersetzungen kommen. In einem Worst-Case-Szenario könnten Großbritannien und Frankreich ein Veto gegen eine von den USA ausgearbeitete Resolution in Erwägung ziehen – ein potenziell brisanter Schritt, den die Diplomaten dieses Mal nicht ernsthaft in Erwägung gezogen haben. Die EU und ihre Verbündeten sollten darauf gefasst sein, dass die USA ihnen bei den Vereinten Nationen in der Ukrainefrage noch häufiger Überraschungen bereiten werden. Es wäre klug, den Globalen Süden von vornherein einzubinden, statt ihn zu verprellen, und immer wieder auf dem Standpunkt zu beharren, dass das Eintreten für die Rechte der Ukraine gleichbedeutend ist mit der Verteidigung der zentralen Grundwerte, die in der UN-Charta verankert sind.

Aus dem Englischen von Andreas Bredenfeld