In diesem Jahr übernimmt Pakistan die Gastgeberrolle für eine wichtige diplomatische Veranstaltung: das Gipfeltreffen der Schanghaier Organisation für Zusammenarbeit (SOZ). Am 15. und 16. Oktober kommen in Islamabad die Staats- und Regierungschefs der Mitgliedstaaten zusammen, um sich über Themen wie regionale Stabilität, wirtschaftliche Zusammenarbeit und die Zukunft der SOZ in einer zunehmend polarisierten Welt auszutauschen. Für Pakistan hat das Treffen einen besonders hohen Stellenwert, weil das Vertrauen, dass die pakistanische Regierung die politische und wirtschaftliche Dauerkrise im Land in den Griff bekommen werde, zusehends schwindet. Für die Regierung ist es deshalb essenziell, dass der SOZ-Gipfel ein Erfolg wird, denn dadurch würde sie Glaubwürdigkeit und Ansehen im In- und Ausland zurückgewinnen.

Gegründet wurde die SOZ im Juni 2001 in Schanghai mit fünf Mitgliedern: China, Russland, Kasachstan, Tadschikistan und Usbekistan. Durch die Aufnahme von Kirgisistan, Indien und Pakistan ist die SOZ in den vergangenen Jahren größer geworden. Seit 2013 als jüngstes Mitglied der Iran beitrat, gehören dem Zusammenschluss neun Staaten an. Als nächstes Vollmitglied wird wohl in naher Zukunft Belarus hinzukommen. Laut ihrer Charta, die 2002 beim Rat der Staats- und Regierungschefs in Sankt Petersburg unterzeichnet wurde, dient die SOZ dem Ziel, wirtschaftlich und sicherheitspolitisch enger zusammenzuarbeiten, für mehr Stabilität in der Region zu sorgen und die Mitgliedstaaten gesamtgesellschaftlich und kulturell stärker miteinander zu verflechten. Für Russland und China ist die SOZ eine Möglichkeit, ihren Einfluss in Eurasien und den Nachbarregionen auszubauen, was in den USA und einigen anderen westlichen Ländern vermutlich nicht gern gesehen wird.

Die SOZ ist inzwischen über 20 Jahre alt, aber auf dem Weg zur Ausschöpfung ihres Potenzials hat sie bislang keine signifikanten Fortschritte erzielt.

Die SOZ ist inzwischen über 20 Jahre alt, aber auf dem Weg zur Ausschöpfung ihres Potenzials hat sie bislang keine signifikanten Fortschritte erzielt. Grund dafür sind innere Gegensätze, die bislang jedoch allem Anschein nach beherrschbar sind. Die beiden mächtigsten Akteure – Russland und China – wissen beide, dass sie eine gemeinsame Plattform brauchen, um ihre Sicherheits- und Wirtschaftsinteressen zu schützen und zu fördern. Andererseits sind sie Konkurrenten, wenn es darum geht, wer in der SOZ mehr Einfluss hat, und bringen deshalb ihre jeweiligen Verbündeten in die Organisation. Russland machte sich für Indien stark, China drängte auf die Aufnahme Pakistans. Durch die zu erwartende Aufnahme von Belarus wird Russlands Einfluss innerhalb der Regionalorganisation zunehmen.

Zu den Störfaktoren für die zukünftige Arbeit der SOZ gehören die schwelenden Rivalitäten zwischen Indien und China sowie zwischen Indien und Pakistan. Indien registriert mit Unmut, dass China in der Region immer mehr Einfluss gewinnt, und will nicht bei einer engeren Zusammenarbeit mit China ertappt werden, um nicht seine intensiver werdende strategische Partnerschaft mit den USA zu gefährden. Das schwierige Verhältnis zwischen Indien und Pakistan hat derweil das Potenzial, die SOZ als Forum der regionalen Zusammenarbeit massiv zu schwächen.

Indiens Premierminister Narendra Modi hat beschlossen, nicht persönlich am SOZ-Gipfel in Islamabad teilzunehmen, und schickt stattdessen seinen Außenminister Subrahmanyam Jaishankar. Das ist für die anderen SOZ-Mitglieder ein erster Stimmungsdämpfer. Die Sorge ist, dass das Regionalforum überflüssig werden oder an Wirksamkeit verlieren könnte, wenn Indien sich weiterhin gegen eine engere Kooperation mit Pakistan und China sträubt.

Moskau und Peking werden nicht zulassen, dass die Schanghaier Organisation für Zusammenarbeit der Rivalität zwischen Indien und Pakistan zum Opfer fällt.

Indien hat schon einmal ein Regionalforum lahmgelegt – die Südasiatische Vereinigung für Regionale Kooperation (SAARC). 2016 boykottierte das Land den von Pakistan ausgerichteten SAARC-Gipfel und beraubte damit die Regionalorganisation trotz ihres großen Potenzials ihrer Wirkung. Es gibt keine Hoffnung, dass die SAARC sich davon noch einmal erholen wird. Dass die beiden wichtigen Mitgliedstaaten sich gegenseitig mit diplomatischen Retourkutschen beharken, dürfte Russland und China nicht gefallen, weil es das Vertrauen in die SOZ schwächt und an die USA und andere Staaten falsche Signale aussendet. Aber Moskau und Peking werden nicht zulassen, dass nach der SAARC auch die SOZ der Rivalität zwischen Indien und Pakistan zum Opfer fällt.

Durch den russischen Krieg gegen die Ukraine hat die SOZ an Bedeutung gewonnen, weil Russland sie als Forum nutzen kann, um dem Rest der Welt zu demonstrieren, dass es in der Region nicht isoliert ist. Moskau kann auch zeigen, dass die SOZ-Mitgliedstaaten gewillt sind, mit vereinten Kräften auf Stabilität in der Region hinzuarbeiten.

Für Pakistan ist die Gastgeberrolle beim SOZ-Gipfel in dieser kritischen Phase ganz besonders wichtig, weil das Land innenpolitisch und wirtschaftlich vor wachsenden Herausforderungen steht. Nach den umstrittenen Wahlen vom Anfang des Jahres kämpft die Regierung um die Festigung ihrer eigenen Legitimität und wird den Gipfel voraussichtlich als Chance nutzen, um bei der Bevölkerung und bei internationalen Beobachtern an Glaubwürdigkeit zu gewinnen und ihr Image aufzupolieren. Außerdem wird sie versuchen, Wirtschaftskontakte zu knüpfen und Alternativmöglichkeiten für die Linderung der wachsenden wirtschaftlichen Probleme des Landes auszuloten. Seit einigen Jahren wirbt Pakistan für seine geoökonomische Vision, Handelskorridore durch Zentralasien und die angrenzenden Regionen aufzubauen. Der SOZ-Gipfel könnte für Pakistan eine Chance sein, diese Vision voranzutreiben. Das wird allerdings nur gelingen, wenn die Regierung es schafft, das Land politisch zu stabilisieren und die wirtschaftlichen Schwierigkeiten zu überwinden.

Dass die SOZ seit ihrer Gründung nur wenige Fortschritte erzielt hat, liegt an mehreren Faktoren: an politischen Rivalitäten zwischen den Mitgliedstaaten an der anhaltenden Instabilität in der Region, am dominierenden Einfluss von Mächten außerhalb der Region – der es für manche Mitglieder schwer macht, eigenständige Entscheidungen zu treffen – und an der verfehlte Erwartung, die SOZ könne als rivalisierender Sicherheitsblock den US-geführten Sicherheitsallianzen Konkurrenz machen. Doch wenn Russland und China ihre Führungsrolle dadurch unter Beweis stellen, dass sie im Kreis der Mitgliedstaaten ein Klima der Zusammenarbeit schaffen und die regionalen Bemühungen um wirtschaftliche Integration wirksam unterstützen, könnte die SOZ für weitere Staaten attraktiv werden und sich früher oder später zu einer glaubwürdigen Plattform für die regionale Zusammenarbeit entwickeln.

Aus dem Englischen von Andreas Bredenfeld