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Alexis Tsipras, der erfolgreichste linke Politiker der letzten fünf Jahre, ist abgewählt. Damit ist der nächste Stern am linken Firmament verblasst. Pablo Iglesias von Podemos, Bernie Sanders in den USA, Jeremy Corbyn in Großbritannien: Sie alle erlebten einen kurzen Höhenflug, der 2015 begann. Seither durften sie einer nach dem anderen erleben, wie ihr Licht immer schwächer leuchtete.

Dabei begann alles so hoffnungsfroh. Noch im Juli 2015 tanzten Menschen in Athen auf dem Syntagmaplatz und feierten den Sieg des „Nein“ beim Referendum. Das war einer der letzten Momente als zumindest in Griechenland der Hauch einer linken Erfolgsgeschichte spürbar war. Von Athen sollte ein Impuls ausgehen, um einer neuen, durch gesellschaftliche Proteste revitalisierten Linken zum Durchbruch zu verhelfen. In Spanien konnten die Genossen von Podemos rund um ihren charismatischen Professor Pablo Iglesias gegen Ende 2015 ein Zeichen setzen, als sie bei den Parlamentswahlen mehr als 20 Prozent holten und nur sehr knapp hinter der sozialdemokratischen PSOE landeten.

Die tiefe Krise des Finanzkapitalismus und ihre sozialen Folgen initiierten eine politische Reaktion. Neue Akteure wie Tsipras und Iglesias und alte Recken wie Corbyn und Sanders fanden sich im Zentrum der Politik wieder.

Nur zwei Monate nach dem griechischen Referendum wurde in Großbritannien der linke Außenseiter Jeremy Corbyn mit großer Mehrheit zum Vorsitzenden von Labour gewählt. Praktischerweise ist er mit dem Enfant Terrible der ersten Monate von SYRIZA, Yanis Varoufakis, befreundet, der ihm nach seiner Demission brühwarm erzählen konnte, wie er den Mainstream aufzumischen versucht hatte. Selbst in den USA wurden linke Politiken salonfähig. Bernie Sanders, laut Eigenauskunft demokratischer Sozialist, wurde zu einem ernstzunehmenden Konkurrenten um die Kandidatur der Demokratischen Partei für die Präsidentschaft 2016.

Der Aufwind der Linken kam mit einigen Jahren Verzögerung nach der verheerenden Finanzkrise, die 2008 Europa und die USA in eine tiefe Rezession gestürzt hatte. Das kleine Griechenland wurde, zumindest aus der Entfernung, zum Exempel dafür, wie Finanzmärkte und Spekulanten Bürgerinnen und Bürger für ihre Auswüchse bluten ließen. Denn was sich dort unter Führung der Troika und des deutschen Finanzministers Schäuble im Kleinen und in extremis abspielte, fand sich in ähnlicher Form in vielen Gesellschaften des Westens wieder. Die Rettung der Banken hatten viele Staaten nur mit der Aufnahme neuer Schulden leisten können. Und der neoliberale ökonomische Mainstream forderte einen harten Sparkurs, um diese Schulden zu reduzieren. In der Folge kam es zu Stellenstreichungen im öffentlichen Dienst, Steuererhöhungen und der Reduktion staatlicher Leistungen vor allem im Sozialbereich.

Was in Griechenland beginnend 2010 in der Regierungszeit von PASOK von der Troika durchgedrückt wurde, implementierten in Spanien die Regierung Zapatero (PSOE) und in Großbritannien der Labour-Premier Gordon Brown und danach dann die Koalition aus Konservativen und Liberaldemokraten. Lediglich die USA verfolgten einen expansiveren Kurs, konnten allerdings nicht vermeiden, dass im Zuge der Krise viele Amerikaner ihre Häuser verloren und die gesellschaftliche Ungleichheit massiv zunahm.

Die tiefe Krise des Finanzkapitalismus und ihre einschneidenden sozialen Folgen initiierten eine politische Reaktion. Neue Akteure wie Tsipras und Iglesias und alte Recken der politischen Linken wie Corbyn und Sanders fanden sich unvermittelt im Zentrum der Politik wieder. Ihre Botschaft erschloss neue wie alte Wählerschichten. Sie nahmen einerseits Protest und Unzufriedenheit auf, andererseits machten sie auch Hoffnung auf eine andere Form von Politik. Getragen wurden sie dabei von einer Mischung aus alten Parteistrukturen und modernen sozialen Bewegungen, die sich als Reaktion auf die sozialen Missstände gebildet hatten. Die spanischen Indignados, die britische Graswurzelbewegung Momentum und die vielen sozialen Initiativen in Griechenland schienen die Brutzelle einer neuen Form der Politik zu werden. Die Wahlslogans wie „Die Hoffnung kommt“ (SYRIZA), „Der Wechsel kommt“ (Podemos) oder „For the Many not the Few“ (Labour) spiegelten den rhetorischen Neuaufbruch.

Ein Teil des Abgesangs auf die linken Gipfelstürmer rührt daher, dass sie in den wenigen Jahren in Regierung oder Opposition recht schnell Teil des bestehenden Systems geworden sind.

Heute sieht es deutlich düsterer aus. Tsipras ist wieder Oppositionschef, wenn auch mit einem respektablen Ergebnis. Für Podemos folgte seit der Parlamentswahl 2015 ein schleichender Abstieg. Corbyn holte mit Labour zwar sensationelle 40 Prozent bei den Parlamentswahlen 2017, verlor sie aber trotzdem. Seither hat er sich in der Brexit-Bredouille verfangen und findet keine klare Antwort auf die aktuelle Gretchenfrage der britischen Politik. Zudem wird die Partei von der Unfähigkeit geplagt, antisemitische Äußerungen in ihren Reihen in den Griff zu bekommen. Das Resultat sind Umfragewerte rund um die 20 Prozent. Bernie Sanders ist diesmal wieder im Kandidatenfeld der Demokraten, allein der Drive und die Dynamik seiner letzten Kandidatur sind nicht mehr vorhanden. So schnell, wie ihre Sterne am politischen Himmel aufglühten, so schnell sind sie verblasst.

Die Zeit war reif, die Linke aber noch nicht.

Ein Großteil des Schwungs, der Tsipras und seine Mitstreiter nach oben gebracht hatte, war die Unzufriedenheit mit dem Bestehenden und ihre offene Gegnerschaft zum dominierenden Dogma des Neoliberalismus. Doch woran es SYRIZA und den anderen mangelt, ist eine klare Vorstellung davon, welche Politik stattdessen umgesetzt werden soll und welches Narrativ damit verbunden sein kann. Die konzeptuellen Vorarbeiten und Denkanstöße, die Thatcher und Reagan Ende der Siebziger des letzten Jahrhunderts aufnehmen konnten, um ihre konservative Umwälzung durchziehen zu können, haben aktuell (noch) keine linken Entsprechungen.

Stattdessen gibt es nur Versatzstücke. Was als Kampf gegen das System begann, wurde in Griechenland und Spanien bald ein Kampf gegen die Eliten. Die Erwartungshaltung sowohl in der eigenen Bevölkerung, als auch in linken Zirkeln weltweit war immens. Die Hoffnung gerade jüngerer Wähler, die sich mit SYRIZA verbunden hatte, war ein unmittelbarer und radikaler Wechsel. Stattdessen erlebten sie eine Fortsetzung des alten Stücks vom Gürtel-enger-schnallen mit neuen Schauspielern. Die Enttäuschung dieser Erwartungen hat zu Frustration und Desillusionierung in den neu erschlossenen Wählergruppen geführt. Es reicht nicht aus, wenn man wie Tsipras doch nur das gleiche macht wie die Vorgängerregierungen. Oder wenn man sich wie Corbyn nur noch taktisch verhält und den Brexit, das Symbol eines Wunsches nach mehr Kontrolle, lediglich als Steigbügel für die eigene Machtergreifung zu verwenden versucht.

Linke Politik braucht eine schlüssige Logik und ein Handbuch der Implementation in einer eher feindseligen Umgebung. Nur dann kann man auf Dauer Menschen davon überzeugen und ihnen auch glaubhaft vermitteln, dass sich eine andere Gesellschaft erreichen lässt.

Der linke Aufbruch hat politisch einiges in Bewegung gebracht, fundamental hat er aber bislang noch nichts verändert.

Die Überhöhung linker Hoffnungsträger auch und gerade durch die Medien barg in sich schon das baldige Scheitern: Ein Teil des Abgesangs auf die linken Gipfelstürmer rührt daher, dass sie in den wenigen Jahren in Regierung oder Opposition recht schnell Teil des bestehenden Systems geworden sind. Klientelismus, das Bauchpinseln der Reeder und die Fortsetzung der Steuerflucht durch die obere Mittelschicht blieb auch unter SYRIZA auf der Tagesordnung. Labour hat den Schwung der Kampagnen verloren und sich in taktischen Querelen verhakt. Pablo Iglesias erregte erst Aufmerksamkeit, als er sich eine stattliche Behausung zulegte und sich dann in klassischer Manier seiner innerparteilichen Rivalen entledigte.

Das alles wirkte gerade auf viele von der Politik Enttäuschte nicht besonders links und auch nicht besonders solidarisch. In Zeiten weitgehender medialer Transparenz erfordert eine neue linke Politik auch einen entsprechenden Stil: menschlich anständig, solidarisch miteinander und persönlich integer. Jeremy Corbyn verkörperte dies zu Beginn seiner Amtszeit auf nahezu karikatureske Art. Der Abgeordnete, der seinen Schrebergarten pflegt, Marmelade einkocht und bei jeder Demonstration in der ersten Reihe steht. Allerdings agiert er in und mit der Partei weniger vorbildhaft, eine Diskrepanz, die ihm – im Gegensatz zu seinen konservativen Konkurrenten – auch vorgehalten wird.

Der linke Aufbruch hat politisch einiges in Bewegung gebracht, fundamental hat er aber bislang noch nichts verändert. Stattdessen sind die linken Systemgegner eher entzaubert worden, während die Rechten fröhliche Urständ feiern. Sie können an die Anti-Elitendiskurse der gescheiterten Linken anknüpfen und damit noch ihre eigene Agenda unterstreichen. Wenn sich das ändern soll, muss sich die Linke internationaler aufstellen, sie muss strategischer werden und sie muss vor allem klar aufzeigen, welche Form von Gesellschaft sie wie anstrebt. Nur dagegen zu sein hilft vielleicht dabei, eine Wahl zu gewinnen. Bei der nächsten wird es allerdings schon schwierig.