Wir stehen im 21. Jahrhundert vor gewaltigen Herausforderungen: Der Klimawandel schreitet voran. Die Ungleichheit in der Welt wächst rapide – gerade auch in den Demokratien – und in den USA schneller als irgendwo sonst in der Welt. Damit verbunden sind dramatische Entwicklungen und Bürgerkriege in Staaten wie Syrien, Irak, Libyen, Afghanistan, Somalia und dem Kongo. Interventionen des Westens, insbesondere die der USA, haben immer wieder zu desaströsen Ergebnissen geführt.

In dieser Situation gerät die Demokratie in die Defensive. Eine aktuelle internationale Untersuchung stellt fest, dass in 60 von 137 untersuchten Staaten in den letzten 10 Jahren die Demokratie ausgehöhlt wurde. Immer wieder werden Autokraten und Möchtegernautokraten wie Putin, Trump, Bolsonaro oder Erdogan zu Präsidenten gewählt – und genießen zum Teil sogar wachsende Zustimmung.

Gleichzeitig schauen immer mehr Menschen im globalen Süden nach China. Viele haben den Eindruck, dass die westlichen Demokratien nur auf den eigenen Vorteil bedacht sind und ihnen wenig zu bieten haben. Dagegen erscheint China als ein erfolgreiches Entwicklungsmodell. Prof. Zhang Weiwei, der bekannteste Theoretiker des chinesischen Modells, hält das „american model“, das Entwicklungsmodell des Westens, für gescheitert und verweist auf die katastrophalen Entwicklungen in vielen Staaten Afrikas, in Mittelamerika und im Nahen Osten. Und was setzen die Demokratien, was setzt konkret die EU dem entgegen? Fast nichts. 2011 fand in Tunesien nach 56 Jahren Herrschaft der Einheitspartei eine demokratische Revolution statt. Das Volk hoffte darauf, dass es ihnen mit der Demokratie besser gehen würde. Aber was macht die EU? Sie arbeitet in gleicher Weise mit autoritären wie demokratisch gewählten Regierungen zusammen. Demokratie bringt keine Dividende. Das muss sich ändern.

Wir brauchen also einerseits eine große Anstrengung, eine „soziale und ökologische Transformation“, um die großen Probleme zu lösen. Wir brauchen aber auch eine Initiative zur Stärkung der Demokratien. Und da die USA weitgehend das Vertrauen der Welt verloren haben und China nicht demokratisch ist, richten sich die Augen vieler Demokraten in der Welt nicht zufällig auf die EU.

Da die USA weitgehend das Vertrauen der Welt verloren haben und China nicht demokratisch ist, richten sich die Augen vieler Demokraten in der Welt nicht zufällig auf die EU.

Jeremy Rifkin hatte in seinem Buch „Der europäische Traum“ erstmals die Idee entwickelt, dass ein vereintes Europa ein Modell für die zukünftige Entwicklung der Welt – für das Zusammenwachsen der Völker – werden könnte. Die EU hat Europa eben nicht erobert, sondern umgekehrt, die Völker wollten freiwillig in die EU. Was weder Kaiser Augustus noch Karl dem Großen, Karl V, Napoleon oder Hitler mit all ihren Kriegen und Schlachten gelungen war, hat die EU friedlich zustande gebracht: den freiwilligen Zusammenschluss der Völker.

Was macht die Attraktivität dieses historisch neuartigen Gebildes aus? Es sind stabile demokratische Verhältnisse, Frieden, Wohlstand und die Freizügigkeit. Immer waren es die Völker, die ihre Regierungen getrieben haben, der EU beizutreten. Das gilt für die Griechen, Spanier und Portugiesen ebenso wie später für die blutig verfeindeten Völker des Balkans und die ehemaligen Ostblockstaaten in Mitteleuropa.

Die EU ist nicht perfekt – im Gegenteil. Sie befindet sich durch Brexit, Corona und die unsolidarische Schuldenpolitik in der Krise. Sie muss daher dringend reformiert werden. Sie braucht endlich eine demokratische Verfassung. Es fragt sich daher: Was könnte die EU zur Stärkung der Demokratien tun?

Von Al Gore, US-Vizepräsident von Clinton, stammt die Idee des Marshall-Plans für die Erde: eine globale Initiative, die den armen Staaten Afrikas, Asiens und Lateinamerikas ein Angebot macht. Es ist eine faszinierende Idee, aber wie könnte sie realisiert werden? Einen Vorschlag dazu machte der wohl bedeutendste afrikanische Historiker und Philosoph Achille Mbembe: Er schlägt einen „New Deal für Demokratie und ökonomischen Fortschritt“ vor. Er sollte zwischen den afrikanischen Staaten und den europäischen Mächten ausgehandelt werden, um die „Narben des Kolonialismus“ zu überwinden.

Was weder Kaiser Augustus noch Karl dem Großen, Karl V, Napoleon oder Hitler mit all ihren Kriegen und Schlachten gelungen war, hat die EU friedlich zustande gebracht: den freiwilligen Zusammenschluss der Völker.

Die EU könnte die Initiative ergreifen für eine „Assoziation für Demokratie und Entwicklung“. Das wäre eine internationale Gemeinschaft nach dem Vorbild der früheren Europäischen Gemeinschaft (EG). Mitglied können alle Staaten werden, in denen demokratische Standards wie faire, demokratische Wahlen, Einhaltung der Menschenrechte, unabhängige Gerichte, Gewaltenteilung und freie Presse gewährleistet sind.

Die Assoziation sollte den Mitgliedern Fördermittel anbieten zur Kofinanzierung der Energiewende, von Bildungseinrichtungen, des Gesundheitswesens, für Aufforstung, Müllentsorgung, Verkehr und andere wichtige Infrastrukturprojekte. Weiterhin sollte die Assoziation allen Mitgliedern anbieten, den Markt für Agrarprodukte der armen Länder zu öffnen, und privilegierte Angebote für den Import von fair gehandelten Gütern machen.

Bei der Bildung einer solchen Assoziation sollte auch geregelt werden, was passiert, wenn ein Mitglied der Assoziation die Voraussetzungen nicht mehr erfüllt. Dann sollte es möglich sein, dass die Mitgliedsrechte durch ein oberstes Gericht suspendiert werden können, damit nicht das passiert, was wir heute in der EU mit Ungarn und Polen erleben.

Eine solche Assoziation könnte einen enormen Anreiz auf alle Staaten ausüben, demokratische Strukturen zu etablieren. Gerade die Eliten, die heute oft aus Eigeninteresse die Demokratie untergraben und verhindern, wären einem hohen Druck ausgesetzt, Demokratie zuzulassen, um eine wirtschaftliche Entwicklung zu ermöglichen und davon zu profitieren.

Ein solcher Marshall-Plan kann jedoch nur erfolgreich sein, wenn er nicht als wohltätige Veranstaltung gegenüber Dritten, sondern als ein Projekt verstanden wird, das im ureigenen gemeinsamen Interesse Europas und der anderen beteiligten Staaten liegt. Wir brauchen dazu die Einsicht, dass wirtschaftliche Beziehungen dann erfolgreich sind, wenn alle Seiten davon profitieren. In Bezug auf Afrika bedeutet das: Wenn wir Afrika helfen, wirtschaftlich auf die Beine zu kommen, dann kommen weniger Flüchtlinge, Europa kann auch mehr Waren verkaufen, aber wir müssen dann Afrika auch dabei unterstützen, seine Waren in Europa zu vermarkten.