Von Massendeportationen über eine gewaltsame Annektion des Panama-Kanals, von Strafzöllen gegen Freihandelspartner Mexiko bis zu Militäraktionen gegen Kartelle – Trump packt gegen Lateinamerika rhetorisch die dicke Keule aus und scheut dabei kein Tabu. Erinnerungen kommen hoch an die Monroe-Doktrin vor 200 Jahren, mit der der damalige US-Präsident James Monroe die Parole „Amerika den Amerikanern“ ausgab und den europäischen Kolonialmächten damit das Ende ihrer Einflusssphäre auf dem neuen Kontinent bescheinigte. Zahlreiche militärische Interventionen folgten.
Diesmal ist der Gegner aber nicht Europa, sondern China. Der asiatische Gigant ist im Pentagon schon lange als Hauptfeind der USA auf dem Kontinent identifiziert. Peking hat das Desinteresse der USA an Lateinamerika genutzt, um diskret seine Präsenz auf dem Kontinent auszubauen. Von 12 auf 485 Milliarden US-Dollar steigerte sich der Handel zwischen China und Lateinamerika zwischen 2000 und 2022. Chinesische Staatsbanken vergaben seit 2005 Kredite in Höhe von 141 Milliarden US-Dollar an Staaten in der Region, mehr als die Weltbank, die Interamerikanische Entwicklungsbank und die südamerikanische Entwicklungsbank zusammen. Für zahlreiche Länder der Region wie Peru, Argentinien, Bolivien, Chile, Paraguay, Uruguay, Venezuela und Brasilien hat China die USA als wichtigsten Handelspartner abgelöst.
Voriges Jahr tourte die damalige Chefin des US-Southcom, General Laura Richardson, verantwortlich für US-Militäroperationen in der Region, durch Lateinamerika und warnte vor chinesischen Investitionen und Krediten, die neue Abhängigkeiten schüfen. Sorge bereitete ihr auch die chinesische Dual-Use-Infrastruktur – also Häfen, Telefon- oder Stromnetze, die im Konfliktfall auch für militärische Angelegenheiten genutzt werden können.
Doch die bisherigen US-Regierungen waren mit anderen Problemen und Weltregionen befasst und schenkten dem Subkontinent wenig Beachtung. Unter Trump rutscht das rohstoffreiche Lateinamerika in der außenpolitischen Priorität scheinbar wieder einige Stufen nach oben. Das birgt Gefahren, aber auch Chancen für die Region. Trumps Lateinamerika-Team besteht zum Großteil aus diplomatisch eher unerfahrenen, dafür ideologisch klar im erzkonservativen Lager verankerten Hardlinern. Da ist zum einen Außenminister Marco Rubio, zum anderen der Sonderbeauftragte für Lateinamerika, Mauricio Claver-Carone. Beide sind Söhne kubanischer Einwanderer und hassen nichts so sehr wie die sozialistischen Diktatoren der Region, sprich jene in Kuba, Venezuela und Nicaragua.
Schon in seiner ersten Amtszeit erwog Trump eine Militärintervention in Venezuela.
Schon in seiner ersten Amtszeit erwog Trump eine Militärintervention in Venezuela, wurde aber von seinen damaligen Beratern ausgebremst. „Es wäre doch cool, Venezuela einzunehmen“, habe Trump einmal gesagt, wie sein damaliger Sicherheitsberater John Bolton 2020 in seinen Memoiren schilderte. Und Claver-Carone war sichtlich verärgert, als der scheidende Joe Biden in letzter Minute Kuba von der Liste der Länder strich, die weltweit den Terror fördern. „Die Biden-Administration scheint falsche Deals zu lieben, die autoritäre antiamerikanische Regime begünstigen“, sagte Claver-Carone und drohte an, diese Regelung wieder rückgängig zu machen.
Ideologie steht in der Trump’schen Werteskala höher als Demokratie, aber auch höher als strategische Interessen. Trump mag starke Männer aus dem rechten und libertären Lager, von Argentiniens Präsident Javier Milei bis zu El Salvadors illegal wiedergewählten Bitcoin-Populisten Nayib Bukele. Beide sind zu seiner Amtseinführung eingeladen. Auf der Liste steht auch Brasiliens ultrarechter Expräsident Jair Bolsonaro, gegen den aktuell ermittelt wird und der deshalb nicht ausreisen darf, nicht aber Amtsinhaber Luiz Inácio Lula da Silva oder Mexikos linksnationalistische Präsidentin Claudia Sheinbaum – obwohl Mexiko der wichtigste Handelspartner der USA ist. Lateinamerika dürfte unter Trump also deutlich stärker in Gut und Böse unterteilt werden.
Das birgt aber auch Chancen: Wer sich schlau genug anstellt – wer also Trump hofiert und seine Kreditanträge als strategische Investition gegen China „framt“ –, der könnte durchaus von finanziellen Zuwendungen der USA und Institutionen wie dem Weltwährungsfonds (IWF) und der Interamerikanischen Entwicklungsbank (IDB) profitieren. Gut verstanden hat das Milei, der mit Washingtons Fürsprache auf einen neuen Milliardenkredit vom IWF hofft.
Der ideologische Rechtsruck kann für die USA aber auch kontraproduktiv werden, wenn er mit zu großem Eifer durchgesetzt wird. Lateinamerika war historisch immer bemüht, seine diplomatischen Beziehungen zu diversifizieren. Fühlten sich die Länder zu sehr bedroht von Washington, wurden andere Schutzmächte angerufen, von den mexikanischen Konservativen, die 1862 die Franzosen nach Mexiko einluden, bis zu den kubanischen Kommunisten, die ein Jahrhundert später Schutz bei der Sowjetunion suchten.
Sollten die Hardliner den Bogen also überspitzen, wäre es durchaus möglich, dass die bedrohten Staaten China oder einen anderen geopolitischen Rivalen der USA um militärische Garantien bitten – so wie es Kuba, Venezuela und Nicaragua bereits tun. Ein warnendes Beispiel war Trumps Drohung, den Panama-Kanal gewaltsam zu annektieren. Das triggerte sofort den antiimperialistischen Reflex der Region, und Panama bekam aus der ganzen Region Solidaritätsbekundungen. Schwieriger dürften es linke Regierungen haben, die progressive Reformen umsetzen wie Mexiko, Kolumbien, Guatemala oder Chile – auch wenn sie demokratisch legitimiert sind. Außer, sie besitzen strategisch wichtige Rohstoffe. Oder sie sind für Trumps großes Wahlkampfversprechen wichtig – die massive Deportation von Migranten. Und da könnten dann doch einige überraschende Deals und pragmatische Kehrtwendungen möglich werden.
Die große Mehrheit der von Abschiebung bedrohten Menschen in den USA stammt aus Lateinamerika.
Ein Beispiel dafür ist die Migration: Die große Mehrheit der von Abschiebung bedrohten Menschen in den USA stammt aus Lateinamerika. Von den schätzungsweise elf Millionen Migrantinnen und Migranten, die sich illegal in den Vereinigten Staaten aufhalten, sind über vier Millionen Mexikaner, zwei Millionen aus Mittelamerika, über 800 000 aus Südamerika und 400 000 aus der Karibik. Die Heimatländer hätten Mühe, Zehntausende Rückkehrerinnen und Rückkehrer aufzunehmen. Weder gibt es genügend Arbeitsplätze noch Schulen oder Gesundheitseinrichtungen für so viele Menschen, von denen viele keinen oder nur einen rudimentären Bezug zu ihrer Heimat haben. Und ihre Volkswirtschaften würden durch den Verlust von Geldüberweisungen – die in El Salvador, Guatemala und Honduras fast ein Viertel des Bruttoinlandsproduktes ausmachen – einen schweren Schlag erleiden.
Einzig Mexiko hat allerdings eine Landesgrenze mit den USA. Für Abschiebungen in alle anderen Länder bräuchte die Trump-Regierung die Zustimmung dieser Regierungen – oder von Drittländer, die sich zur Aufnahme bereiterklären. Eine einmalige Chance für Autokraten wie Daniel Ortega in Nicaragua oder Nicolás Maduro in Venezuela, ihren Machterhalt und die Lockerung der wirtschaftlichen Sanktionen im Gegenzug für die Rücknahme von Migranten auszuhandeln. Zumal sie sich sicher sein können, dass wenige von ihnen dauerhaft in den repressiven Mangelwirtschaften bleiben werden. Aber auch andere Regierungen haben durchaus Trumpfkarten im Ärmel. Honduras’ linke Präsidentin Xiomara Castro beispielsweise drohte mit der Schließung der US-Militärbasis im Land, sollte Trump massenweise Honduraner abschieben.
Vor den größten Herausforderungen steht sicherlich Nachbar Mexiko. Trump sieht die dortige linke Staatschefin mit Argwohn, und er ist der Meinung, die Regierung tue zu wenig gegen Drogenkartelle und Migration. Schon in seiner ersten Amtszeit drohte er mit Strafzöllen oder einer Aufkündigung des Freihandelsvertrags – der dann letztlich neu ausgehandelt wurde. Aber schon damals funktionierte das nur halb. Zwar verschärfte Mexiko die Migrationspolitik – es unternahm aber nichts gegen die Drogenkartelle. Zudem ist Mexiko längst Teil der US-Lieferketten – Strafzölle schaden also auch den US-Firmen und -Konsumenten. Vor allem dann, wenn Mexiko kontert. Das Team von Sheinbaum hat bereits Importwaren identifiziert, die besonders der Wirtschaft in Trumps Hochburgen schaden würden. Ein Handelskrieg wäre also auch ein Eigentor für Trump.
Wer das am besten weiß und in Mexiko einen strategischen Verbündeten gegen China sieht, ist Rubio. Er gilt als einer der dezidierten Freihandels-Befürworter in einer eher protektionistischen US-Regierung. Mexiko hat also durchaus Spielraum und Hebel, um unterschiedliche Interessen in den USA gegeneinander auszuspielen. Ähnlich sieht es für Brasilien aus. Auch Präsident Lula ist kein Busenfreund von Trump. Aber Brasilien hat international als Mitbegründer der BRICS-Staaten eine wichtige Scharnierrolle. Und wenn Washington zu viel Porzellan zerschlägt, könnte Lula als international anerkannter Gesprächspartner noch eine wichtige Vermittlerrolle spielen.
Es ist also längst nicht ausgemacht, dass Trumps Neuauflage der Monroe-Doktrin zur Rückkehr der US-Hegemonie im historischen Hinterhof führt. Inzwischen hat Lateinamerika die Lektion gelernt, und das aufstrebende China mit seinem Rohstoffhunger wird sich vermutlich nicht so leicht einschüchtern lassen wie damals die in Dekadenz befindlichen europäischen Kolonialmächte.