Wenn am Sonntag Bernardo Arévalo in Guatemala als Präsident vereidigt wird, blickt das Land auf drei Monate Proteste zurück, die letztlich von Erfolg gekrönt waren. Damit ist der Versuch der korrupten Elite, die Amtsübernahme des demokratisch gewählten Präsidenten zu verhindern, gescheitert.

Was Anfang Oktober mit Straßenblockaden, Demonstrationen und Kundgebungen begann, ist zum permanenten Protest vor den wichtigsten Institutionen des Landes, dem Parlament, aber auch dem Ministerio Público, der Generalstaatsanwaltschaft, mutiert. Vor dem Zaun um das Ministerio fanden sich jeden Tag Hunderte Protestierende ein. Längst hat sich das von den indigenen Autoritäten initiierte Protestcamp zum täglichen Happening mit Musik, Redebeiträgen sowie Workshops von Handarbeit bis Yoga entwickelt, um die progressive Zivilgesellschaft der Hauptstadt zum Kommen zu animieren.

Erstmals in der Geschichte des Landes standen indigene Repräsentanten derart massiv und über einen beispiellos langen Zeitraum in der Öffentlichkeit. Mehr noch, sie werden nun als politischer Faktor wahr- und vielleicht auch zunehmend ernst genommen. Wirtschaftsverbände, Botschaftsangehörige und selbst der hochkorrupte und noch bis zum 14. Januar amtierende Präsident Alejandro Giammattei setzen sich mit ihnen an einen Tisch, um zu verhandeln. Allerdings nur, um die Straßenblockaden zu beenden, die das größte mittelamerikanische Land im Oktober 2023 lahm zu legen drohten.

Dies gelang auch zunächst. Weniger erfolgreich war Giammattei, der als korruptester Präsident in die Geschichte Guatemalas eingehen könnte, jedoch dabei, die Proteste gegen seine Regierung und die Schaltzentrale des „Paktes der Korrupten“, die Generalstaatsanwaltschaft, einzudämmen. „Pakt der Korrupten“ wird das informelle, auf Korruption und Vetternwirtschaft basierende Bündnis aus Politik, Militär, Wirtschaft und den Drogenbanden genannt, das Guatemala seit Jahren im Würgegriff hält und sich je nach Quelle bis zu 40 Prozent des Staatshaushalts unter den Nagel reißt.

Dagegen erhebt sich eine Gesellschaft, die es satt hat – erstmals nun jedoch geführt von denen, die ganz unten in der sozialen Hierarchie des Landes stehen: den indigenen Völkern. Diese stellen rund 44 Prozent der Bevölkerung und sind überproportional stark von der Korruption betroffen. In den indigen geprägten Regionen des Landes, ob Alta Verapaz oder Sololá, kommt kaum etwas an von dem ohnehin mageren Budget, das die Zentralregierung in Guatemala zur Verfügung stellt.

Die landesweit stattfindenden Proteste erregten internationale Aufmerksamkeit.

Eine bittere Realität, gegen die die indigene Bevölkerung nun rebelliert. Zunächst an der Urne, wo viele am 20. August für den Mann stimmten, der gegen die Korruption angetreten ist: Bernardo Arévalo. Dann jedoch ab Oktober auch auf der Straße, als sich abzeichnete, dass der „Pakt der Korrupten“ jeden erdenklichen juristischen Winkelzug nutzen würde, um den glaubwürdigen Korruptionsbekämpfer Arévalo nicht ins Amt kommen zu lassen. Die landesweit stattfindenden Proteste erregten schließlich internationale Aufmerksamkeit.

Die Organisation Amerikanischer Staaten (OAS), die die Wahl als fair eingestuft hatte, war ungewohnt aktiv. Generalsekretär Luis Almagro besuchte mehrfach das Land und ermahnte Präsident Giammattei mehrfach, sich an die demokratischen Spielregeln zu halten. Doch erfolglos. Giammattei, der eine transparente Übergabe der Macht versprochen hatte, sah den Manipulationen aus dem Ministerio Público unter Generalstaatsanwältin María Consuelo Porras tatenlos zu. Kein Wunder, denn kaum ein Präsident des größten mittelamerikanischen Landes hat sich derart unverschämt die Taschen gefüllt wie der 68-jährige Arzt – gemeinsam mit seinem Lebensgefährten Miguel Martínez.

Dies trug sicherlich dazu bei, dass OAS, USA und EU schließlich einmütig reagierten. Als am 8. Dezember die Generalstaatsanwaltschaft die Wahlen aufgrund von Unregelmäßigkeiten für ungültig erklärte, entzogen die USA drei Tage später 300 guatemaltekischen Personen aus Politik, Wirtschaft und staatlichen Institutionen ihre US-Visa und den Zugang zu US-Banken. Doch das war nur der Auftakt. Das EU-Parlament sprach sich am 12. Dezember mit großer Mehrheit dafür aus, Einreisebeschränkungen für die Akteure des „Pakts der Korrupten“ zu verhängen, und die OAS beschloss beinahe einstimmig, zu Sanktionen zu greifen und sogar den Ausschluss Guatemalas aus dem Staatenbund in Betracht zu ziehen.

Diese eindeutige Haltung wichtiger internationaler Akteure führte nur einen Tag später zum Einknicken des korrupten politischen Establishments in Guatemala. Dem mit willfährigen Richtern besetzten Verfassungsgericht kam die Aufgabe zu, den gescheiterten juristischen Staatsputsch zu reparieren: Es erklärte die Wahl und die Amtsübergabe an den designierten Präsidenten Bernardo Arévalo für rechtmäßig. Somit ist der Weg frei und Arévalo kann am kommenden Sonntag trotz weiterer Ermittlungen der Generalstaatsanwaltschaft das höchste Staatsamt übernehmen.

Zu verdanken hat er das nicht nur der eigenen Umtriebigkeit, seinen Besuchen in Brüssel, Washington und zahlreichen anderen Hauptstädten, sondern auch den Visiten der indigenen Autoritäten, die international um Unterstützung für ein demokratisches Guatemala warben. Dass diese nicht von allein kam, mag verwundern angesichts der steigenden Migrationszahlen, die alsbald auch wieder den US-Wahlkampf prägen könnten. Nicht nur deshalb wären insbesondere die USA, aber auch OAS und EU gut beraten, wenn sie Guatemala und den ersten Initiativen der Regierung Arévalo mehr Aufmerksamkeit und mehr Rückhalt schenken würden. Zählen kann die neue Regierung auf jeden Fall auf die Indigenen, denn diese werden auch über die Vereidigung hinaus Präsenz in der Hauptstadt zeigen. Sie wollen die anstehende Re-Demokratisierung Guatemalas aktiv unterstützen. Das ist ein gutes Zeichen und ein Indiz dafür, dass sich in Guatemala wirklich etwas ändern könnte.