Das bemerkenswerteste Detail des Geisel- und Waffenstillstandsabkommens zwischen Israel und der Hamas liegt nicht in seinen seit Monaten diskutierten Bedingungen. Es liegt auch nicht in der Tatsache, dass Israels Premierminister Benjamin Netanjahu den fortgesetzten Machtanspruch der Hamas im Gazastreifen faktisch toleriert – obwohl er wiederholt und nachdrücklich versprochen hatte, dies zu verhindern.

Es ist die Art und Weise, wie die Vereinbarung zustande kam: Steven Witkoff, milliardenschwerer Freund des designierten US-Präsidenten Donald Trump und zukünftiger Nahost-Gesandter, führte am Samstagmorgen ein unverblümtes Gespräch mit dem israelischen Premierminister. „Der Gesandte erklärte seinem Gastgeber in deutlichen Worten, dass Trump von ihm erwarte, einem Abkommen zuzustimmen“, berichtete der Militäranalyst Amos Harel von der israelischen Tageszeitung Haaretz. „Dinge, die Netanjahu bis dahin als Fragen von Leben und Tod bezeichnet hatte“, fügte er hinzu, „lösten sich plötzlich auf.“

Harel bezeichnet dies als den „Trump-Effekt“. Doch was ist damit gemeint? Zum einen ist es der Vorschuss an politischem Kapital, über den jeder gewählte Präsident vor Amtsübernahme verfügt – Kapital, das er entweder klug einsetzt oder verspielt. Hinzu kommt die Tatsache, dass Trump sich so verhält, als sei er bereits Präsident. Vor allem aber zeigt sich der Trump-Effekt in der Mischung aus Angst und dem Bemühen, Trump zu gefallen – insbesondere bei jenen, die um seine Gunst buhlen.

Das Ergebnis im Fall des Geiselabkommens ist ein unterschätztes diplomatisches Paradoxon: Es ist vor allem Trump zu verdanken, dass eine von der israelischen Linken geforderte und bei der Rechten unbeliebte Vereinbarung kurz vor dem Abschluss steht. Die diplomatischen Bemühungen der Biden-Administration eines gesamten Jahres werden nun endlich Früchte tragen – dank seines politischen Widersachers. Die rechtsextremen Parteien in Netanjahus Koalition könnten die Regierung verlassen. Und Netanjahu ist viel eher bereit, vor Washington in die Knie zu gehen, als er es war, als noch Demokraten im Weißen Haus saßen.

In vielerlei Hinsicht wird der Preis für Israel bei diesem Geiselabkommen hoch sein.

In vielerlei Hinsicht wird der Preis für Israel bei diesem Geiselabkommen hoch sein. Für jede von der Hamas freigelassene israelische Geisel wird Israel ein Vielfaches an palästinensischen Gefangenen freilassen. Viele von ihnen haben israelisches Blut an ihren Händen. Auch Yahya Sinwar, der Drahtzieher des Massakers vom 7. Oktober 2023, war aufgrund eines solchen Deals frei gekommen. Durch die schrittweise Umsetzung des Abkommens – die mit der Freilassung von 33 Geiseln beginnt, von denen die meisten noch leben, einige aber höchstwahrscheinlich tot sind – wird zunächst eine unbekannte Zahl an Geiseln zurückbleiben. Dies erhöht ihren politischen Wert und gibt der Hamas die Möglichkeit, weitere Zugeständnisse von Israel zu erpressen. 

Besonders schwer wiegt die Möglichkeit, dass ein israelischer Rückzug aus dem Philadelphi-Korridor – der 14 Kilometer langen Sicherheitszone zwischen dem Gazastreifen und Ägypten – der Hamas erlauben könnte, sich in einem Ausmaß neu zu bewaffnen, das eine Wiederholung des 7. Oktober und seiner Folgen zumindest wahrscheinlicher, wenn auch nicht unvermeidlich, machen würde. Das bedeutet nicht, dass das Abkommen schlecht für Israels nationale Interessen wäre – ganz zu schweigen von dem Segen, den der Deal für die nun zurückkehrenden Geiseln und ihre Familien bedeutet sowie für das israelische Volk insgesamt, das die Befreiung der Geiseln als oberste moralische Pflicht empfindet.

Im Vergleich zum Mai 2024, als der aktuelle US-PräsidentJoe Biden ein entsprechendes Abkommen zum ersten Mal ins Gespräch brachte, befindet sich Israel heute in einer weitaus stärkeren strategischen Position. Die vom Iran angeführte „Achse des Widerstands“, zu der auch die Hamas gehört, wurde im Libanon stark dezimiert, in Syrien gestürzt, im Gazastreifen geschwächt und im Iran selbst schwer getroffen. Ganz egal, wie viele palästinensische Gefangene nun freigelassen werden – kein Vertreter der Hamas kann ernsthaft behaupten, dass ihr riskantes Spiel vom 7. Oktober 2023 ihnen irgendetwas anderes als eine Katastrophe eingebracht habe. Mit Trump als künftigem Präsidenten der USA muss Israel auch kaum mit der Androhung internationaler Waffenembargos oder rechtlicher Sanktionen rechnen. Das Risiko einer möglichen Verhaftung Netanjahus in den europäischen Hauptstädten wird schnell verblassen.

Ein größeres Dilemma für die israelische Rechte ergibt sich aus der Frage, welche Zugeständnisse Trump sonst noch von ihr verlangen könnte.

Ein größeres Dilemma für die israelische Rechte ergibt sich aus der Frage, welche Zugeständnisse Trump sonst noch von ihr verlangen könnte. Der designierte Präsident wünscht zweifellos ein Normalisierungsabkommen zwischen Saudi-Arabien und Israel als erfolgreichen Abschluss für das Abraham-Abkommen, das seine Regierung 2020 zwischen Saudi-Arabien und Israel vermittelt hatte. 

Für ein solches Abkommen werden die Saudis einen Fahrplan für einen palästinensischen Staat zur Bedingung machen. Vielleicht zieht Trump es aber auch vor, die derzeitige Schwäche Irans für die Aushandlung eines zweiten Atomabkommens auszunutzen. Netanjahu derweil wünscht sich vor allem die amerikanische Unterstützung bei einem israelischen Angriff auf die iranischen Atomanlagen, der möglicherweise in den nächsten Wochen oder Monaten bevorsteht.

Welche die richtige Entscheidung ist, hängt an beiden Fronten hauptsächlich von den Details ab. (Ich persönlich würde fast jedes vernünftige Abkommen mit Saudi-Arabien befürworten und fast jedes wahrscheinliche Abkommen mit dem Iran ablehnen.) Der übergeordnete Aspekt ist jedoch folgender: Trump wird traditionelle außenpolitische Annahmen über den Haufen werfen, ob links oder rechts. Liberale, die glauben, dass Trumps zweite Amtszeit von zügelloser Kriegslust geprägt sein werde, könnten überrascht werden. Konservative, die wiederum hoffen, dass er eine überfällige Härte gegenüber unseren Feinden an den Tag legen werde, könnten enttäuscht werden.

Trump mag die Seele eines Tyrannen haben, aber er hat auch den Instinkt eines Geschäftemachers – und eine Sehnsucht nach Anerkennung, einschließlich des Friedensnobelpreises, der ihm seiner Meinung nach für das Abraham-Abkommen zugestanden hätte. Was auch immer seine nächsten vier Jahre an der Macht noch bringen werden, er wird keinem ideologischen Typus entsprechen. Irgendwo da draußen lächelt der Geist von Richard Nixon.

Dieser Text erschien zuerst in der New York Times.

Aus dem Englischen von Lucie Kretschmer