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Eigentlich war der Plan für einen Frieden zwischen Israelis und Palästinensern, den der amerikanische Präsident Donald Trump und der israelische Ministerpräsident Benjamin Netanjahu gestern in Washington vorgestellt haben, längst totgesagt. Zu häufig war seine Veröffentlichung verschoben worden und vor allem: Die palästinensische Führung war nicht in die Entstehung eingebunden und hatte schon vorab ihre Ablehnung deutlichgemacht. Der Plan wurde seither höchstens als wohlgemeinte Wahlkampfhilfe von „Donald“ für „Bibi“ verstanden, wie sich die beiden Staatsoberhäupter während der Präsentation liebevoll nannten. Der israelische Ministerpräsident, der seit Dienstag offiziell in drei Fällen wegen Betrugs und Korruption in Israel angeklagt ist, kämpft bei den für den 2. März angesetzten Wahlen nicht nur um sein politisches Überleben, sondern auch um eine Mehrheit im Parlament, die ihm eine Immunität und ein Leben in Freiheit garantieren könnte, sollten sich die Anklagepunkte vor Gericht bestätigen.
Seit Dienstag ist klar: Der Plan ist alles andere als tot und ist dabei, ein gefährliches Eigenleben zu entwickeln. Der Grund dafür: Benjamin Natanjahu hat angekündigt, mit amerikanischem Segen sämtliche israelischen Siedlungen, die nach internationalem Recht illegal auf besetztem palästinensischen Gebiet gebaut wurden, sowie das von Israel besetzte Jordantal zu annektieren. Bereits am Sonntag will der israelische Ministerpräsident dies in seinem Kabinett beschließen. Noch ist unklar, ob die Übergangsregierung unter Netanjahu überhaupt über die nötige Legitimität verfügt, solche grundlegenden Entscheidungen zu treffen. Aber da sein größter politischer Rivale Benny Gantz dem amerikanischen Plan ebenfalls zustimmend gegenübersteht, entwickelt der „Friedensplan“ nun eine Dynamik, die alles, nur keinen Frieden in die Region bringen wird.
Die geplante Annexion würde die einseitige Umsetzung von Teilen des amerikanischen Plans darstellen, der vorsieht, die aktuellen Verhältnisse mehr oder weniger zu zementieren. Israel soll alle Siedlungen sowie das Jordantal annektieren dürfen, und auch das bereits annektierte Ostjerusalem würde Israel zugeschrieben werden. Israel würde alle Außengrenzen sowie den Luftraum kontrollieren und auch weiterhin auf dem gesamten Gebiet des zukünftigen palästinensischen Staates die Armee zu „Sicherheitszwecken“ einsetzen dürfen. Ein Gefühl von Eigenständigkeit und Selbstbestimmung dürfte sich in einem solchen Szenario für die Palästinenser nicht einstellen.
Was die Palästinenser dafür bekommen? Tatsächlich wären sie einem eigenen Staat, der von Israel und den Amerikanern annerkannt wird, so nah wie nie zuvor. Außerdem sehen die Amerikaner ein massives Investitionsprogramm von über fünfzig Milliarden US-Dollar vor, die einem zukünftigen palästinensichen Staat auf die Beine helfen würden. Allerdings wäre der Staat ein über ein Netz von Brücken und Tunneln verbundener territorialer Flickenteppich, wesentliche Hoheitsrechte wären eingeschränkt, und die Palästinenser müssten auf beträchtliche, auch international zugesicherte Ansprüche in Ostjerusalem oder das Rückkehrrecht ihrer Flüchtlinge verzichten.
Eine nachhaltige Friedenslösung müsste versuchen, die Bedürfnisse aller Menschen zwischen Jordan und Mittelmeer zu berücksichtigen.
Trumps „Friedensplan“ ignoriert internationales Recht und sämtliche gemeinsam verhandelten Friedensansätze aus der Vergangenheit. Für die Palästinenser stellt seine Entstehung, die Präsentation und die geplante erzwungene Umsetzung eine Demütigung dar. Dementsprechend fielen die Reaktionen der Palästinenser aus, die den Plan geschlossen ablehnen und eine klare Haltung der internationalen Gemeinschaft dagegen einfordern. Die palästinensische Führung wird durch den Plan massiv in die Ecke gedrängt. Sie muss der frustrierten palästinensischen Gesellschaft irgendeine Form von Handlungsfähigkeit präsentieren, sonst könnte die Situation in Gewalt umschlagen. Eine Möglichkeit wäre, neben der klaren Zurückweisung des amerikanischen Plans, die tatsächliche Durchführung von längst angekündigten und immer wieder hinausgezögerten Wahlen. Eventuell könnte eine neue Führung mit neuer Legitimität und einer internationalen Unterstützung, die über die der Amerikaner hinausgeht, mit Israel in echte Friedensverhandlungen treten.
Zumindest ein positiver Nebeneffekt der Situation war bisher, dass zum ersten Mal seit langer Zeit alle palästinensischen Fraktionen gemeinsam mit Präsident Mahmoud Abbas der Präsentation des Plans folgten, inklusive der im Gazastreifen regierenden Hamas. Die Versöhnung der verfeindeten Gruppen im Westjordanland und Gazastreifen gilt als wichtiger erster Schritt um zu einer gesamtpalästinensischen Einheit zu finden, die auch die Grundlage für Wahlen und ernsthafte Friedensverhandlungen mit Israel legen würde.
Eine nachhaltige Friedenslösung müsste versuchen, die Bedürfnisse aller Menschen zwischen Jordan und Mittelmeer zu berücksichtigen. Die Gefahr des amerikanischen Plans ist, dass jede israelische Regierung diesen nun immer zur Grundlage für Verhandlungen heranziehen wird, was aus palästinensischer Sicht nicht zu akzeptieren ist. Die einseitige Umsetzung von Teilen des Plans wie der Annexion der Siedlungen und des Jordantals birgt noch größere Gefahren. Das sehen auch viele Fachleute in Israel so.
Der Sicherheitsexperte und ehemalige Chef des israelischen Militärgeheimdienstes General a.D. Amos Yadlin warnt vor der Gefahr, dass diese Politik zu einer Ein-Staaten-Realität zwischen Jordan und Mittelmeer führen und Israel vor die Entscheidung zwischen Demokratie und Jüdischem Staat stellen würde. Außerdem gefährdeten die Annexionspläne die Friedensverträge mit Ägypten und Jordanien.
Die israelische Linke warnt schon lange vor diesem Szenario und verwendet immer häufiger auch offen den Kampfbegriff „Apartheidsstaat“. Die israelische Rechte scheint damit kein Problem zu haben. Der israelische Ministerpräsident gab zu verstehen, dass er die Annexion nur deshalb noch nicht de jure durchgesetzt habe, weil Israel in diesem Fall Sanktionen des UN-Sicherheitsrates gedroht hätten. Nun, da er die Garantie der Amerikaner habe, dass diese eine solche Entwicklung blockieren würden, müsse Israel diese „historische Chance“ unbedingt nutzen. Das, was Donald Trump als „Deal des Jahrhunderts“ bezeichnet hat, könnte sich für Netanjahu tatsächlich als solcher herausstellen; für die Palästinenser, für Israel und für den Frieden in der Region allerdings keineswegs.