Vieles erscheint bemerkenswert an Donald Trumps furiosem Wahlsieg. Da ist erstens die Leichtigkeit, mit der er die medial überhypte, in Sachen Kampagneninfrastruktur, Spendenaufkommen und Promi-Unterstützung aber deutlich bevorteilte Kamala Harris abgewatscht hat. Da ist zweitens die beinahe schon ritualisierte Fassungslosigkeit über seinen Sieg, obwohl ihn die (diesmal recht präzisen) Umfragen schon vor Monaten in einer guten Ausgangsposition gesehen hatten. Und da ist drittens die schiere Gewaltigkeit des Comebacks, das diesen Naturcharismatiker aus dem Abseits zurück an die Spitze der US-Politik katapultiert hat: Vom geschassten Buhmann, dem Teile der eigenen Partei zeitweise gerne den Dolch in den Rücken getrieben hätten, zum Triumphator mit dem besten republikanischen Wahlergebnis seit fast 40 Jahren.

Vor allem aber ist da das Wie, das dem Was des Erfolgs unmittelbar nachgeschaltet ist. Wie konnte Trump nicht nur in jedem einzelnen Bundesstaat Stimmenanteile gegenüber 2020 hinzugewinnen, sondern selbst in demokratischen Hochburgen verblüffend nah an Harris heranrücken? Dass er in seiner Wahlheimat Florida mit 13 Prozentpunkten Vorsprung ins Ziel ging, mögen die Strategen der Gegenseite noch mit Achselzucken zur Kenntnis genommen haben. Der Staat galt ohnehin als long shot, in dem man sich nur bei einem Kantersieg Chancen ausgerechnet hatte. Dass Trump mit dem gleichen Abstand auch Iowa für sich entschied, war da schon um einiges beunruhigender. Im Grunde zwar ebenso wenig überraschend – aber hatte nicht die vielgelobte Ann Selzer hier kurz vor der Wahl noch einen schmalen Harris-Vorsprung vorhergesagt?

Der Republikaner gewann in Distrikten, die er nach Ansicht der meisten Wahlauguren nie hätte gewinnen dürfen.

Wirklich surreal mussten aber die Ergebnisse in Staaten wie Rhode Island anmuten. Dort, im liberalen Neuengland, hatte Biden vor vier Jahren noch mit erklecklichen 21 Prozentpunkten Vorsprung gesiegt. Trump aber konnte diesen Abstand auf gerade einmal 13 Punkte verkürzen. Und auch in New York (wo der Abstand von 23 auf 11,5 Punkte schrumpfte), New Jersey (von 16 auf 5,5) oder Illinois (von 17 auf 9) war dasselbe Muster zu beobachten: Der Republikaner gewann in Distrikten, die er nach Ansicht der meisten Wahlauguren nie hätte gewinnen dürfen. Er war konkurrenzfähig in Regionen, in denen er einst als denkbar ungeeignete Wahl galt. Und er fuhr hervorragende Ergebnisse unter Bevölkerungsgruppen ein, die lange als sichere Stützen der demokratischen Koalition gegolten hatten, bei dieser Wahl aber nun scharf nach rechts ausscherten.

Wohl das aufschlussreichste Beispiel hierfür ist das Abstimmungsverhalten der Latinos respektive Hispanics (der erste Begriff schließt alle Lateinamerikaner ein, der zweite alle Spanischsprachigen), die den Demokraten in besonders großer Zahl den Rücken kehrten: Laut Nachwahlbefragungen entschieden sich nicht weniger als 46 Prozent für Trump. Ein Wert, der nicht nur die Bestmarke von George W. Bush aus dem Jahr 2004 pulverisierte, sondern insbesondere unter hiesigen Beobachtern für einige Verwirrung sorgte. Bush hatte immerhin noch eine mexikanische Schwägerin und konnte selbst etwas Spanisch radebrechen. Trump dagegen ist der Mann, der seine politische Laufbahn auf einer Pressekonferenz aufgebaut hatte, in der er Mexikanern vorwarf, Kriminelle, Drogendealer und Vergewaltiger zu sein. Wie passt das zusammen? 

Tatsächlich sind die Gründe für den republikanischen Latino surge vielschichtig, dürften zumeist aber mit der als mangelhaft empfundenen Leistung der Demokraten in der Wirtschafts- und Einwanderungspolitik zusammenhängen. Viele Latinos sind Angehörige der Arbeiter- und unteren Mittelschicht und wurden von den Preissteigerungen der letzten Jahre besonders hart getroffen. Und viele sind entweder selbst auf legalem Wege eingewandert oder haben Einwanderereltern – und folglich einen (mal heimlichen, mal offenen) Groll gegen illegale Migranten, die das Bild ihrer Community schädigen und die Konkurrenzsituation auf dem Wohnungsmarkt weiter verschärfen. Dazu kommt, dass sie bei aller Binnendiversität konservativer ticken als der weiße Standarddemokrat aus dem Szeneviertel von Madison oder Dallas. Viele sind religiös, bevorzugen traditionelle Geschlechterrollen und stehen liberalen Nischenvorhaben skeptisch gegenüber. 

All das wusste sich die Trump-Kampagne zunutze zu machen. Einer ihrer markantesten Werbespots zeigt etwa einen mit unheilschwangerer Musik unterlegten Ausschnitt aus einem alten Harris-Interview, in dem diese verspricht, „Transgender-Insassen in Gefängnissen geschlechtsangleichende Operationen“ bezahlen zu wollen. Es folgt ein Verweis auf biologische Männer im Frauensport, eine Collage mit dem genderfluiden Aktivisten Sam Brinton (der vor seiner Festnahme wegen Diebstahls für die Biden-Regierung gearbeitet hatte) und schließlich die messerscharfe Gegenüberstellung: „Kamala ist für They/Them, Präsident Trump ist für Dich!“ Wie die New York Times in einer Analyse vermerkt, war das Wahlkampfteam des Ex-Präsidenten selbst überrascht, wie gut der Spot gerade unter männlichen Latinos verfing. Mit ihm ließ sich Harris effektiv als abgehobene Linksradikale darstellen, die Steuermittel für Absurditäten verschleudert und jeden Bezug zu den Problemen des Alltags verloren hat.

Für die Demokraten eigentlich ein Warnsignal, doch wie so häufig versteiften sie sich auf bloße Stilkritik, statt inhaltlich Paroli zu bieten. Auch als der Komiker Tony Hinchcliffe während eines Kampagnenauftritts von Trump im Madison Square Garden das US-Territorium Puerto Rico als „schwimmende Müllinsel“ bezeichnete, war das performativ empörte Harris-Lager rasch mit dem Vorwurf der Menschenfeindlichkeit bei der Hand und wirkte auf viele Wechselwähler entsprechend unsouverän. Man konnte (oder wollte) dort nicht begreifen, dass sich der Mexikanischstämmige mit Kleinbetrieb und die Kolumbianischstämmige aus der Vorstadt wenig darum scheren, welche Witze ein zweitrangiger Possenreißer über die Karibikinsel zum Besten gibt. Nicht einmal die puerto-ricanische Diaspora ließ sich von diesen Störgeräuschen verschrecken, sondern lief ebenfalls großflächig zu Trump über.

Es sind nicht nur die Latinos, unter denen der neue Präsident historisch stark abgeschnitten hat.

Allerdings sind es nicht nur die Latinos, unter denen der neue Präsident historisch stark abgeschnitten hat: Ähnliches lässt sich auch über Asiatischstämmige, Wähler ohne Hochschulabschluss und insbesondere junge Männer sagen. Diese gelten in Zeitdiagnosen zur US-Gesellschaft schon seit längerem als Problemfall – als frustrierte Großgruppe, die sich von tradierten Rollenerwartungen und postmodernen Anpassungszwängen gleichermaßen unter Druck gesetzt fühlt. Harris waren sie dennoch keinen nennenswerten Aufwand wert. Vielmehr glaubte die Sechzigjährige offenbar, der Football-Coach-Charme ihres Vize-Kandidaten Tim Walz würde schon ausreichen, das andere Geschlecht für sich einzunehmen. Ganz anders Trump und Verbündete, die von TikTok-Clips bis zu Trend-Podcasts keine Gelegenheit ungenutzt ließen, mit der männlich-jugendlichen Zielgruppe unmittelbar auf Tuchfühlung zu gehen. Noch am Wahltag, als die Nachricht über einen Anstieg der weiblichen Wahlbeteiligung die Schlagzeilen dominierte und die demokratische Funktionärsriege bereits den Sekt kaltgestellt hatte, wandte sich das Lager des Ex-Präsidenten explizit an dessen männliche Unterstützer. „Geht wählen“, forderte der zur festen Größe im Trump-Universum aufgestiegene Elon Musk seine 200 Millionen Follower auf. Und das taten sie auch.

Entscheidend bleibt die Frage, ob die beschriebenen Verschiebungen nun Vorboten einer dauerhaften Entfremdung sind – oder ob es sich dabei nicht doch um ein an die Person Trump gebundenes Phänomen handelt, das nur bedingt darüber hinausgehende Aussagekraft besitzt. Für beides lassen sich gute Argumente ins Feld führen: Dass Trump in vielen Fällen bessere Ergebnisse erzielen konnte als republikanische Senats- und Gouverneurskandidaten, spricht dafür, dass die elektorale Anziehung tatsächlich von ihm ausgeht. Andererseits muss das einen dauerhaften Effekt aber keineswegs ausschließen, denn wer sich einmal ernsthaft auf Make America Great Again eingelassen hat, wird nicht so bald in liberale Gefilde zurückkehren. Zumal die Demokraten nach wie vor jede Menge ideologischen Ballast mit sich herumtragen. „Trump hat keinen besseren Freund als die radikale Linke“, schimpfte zuletzt etwa der junge New Yorker Abgeordnete Ritchie Torres in einer schonungslosen Abrechnung mit seiner Partei. Deren identitätspolitische Forderungen und Hamas-Sympathien seien zum Teil „aberwitzig“ und Lichtjahre vom Mehrheitswillen entfernt. Worte, die der nächste Kandidat besser ernst nehmen sollte.