John McCain ist tot, einer der großen konservativen Senatoren der amerikanischen Politik, der auch im Präsidentschaftswahlkampf gegen Barack Obama anständig blieb und diesen gegen Diffamierungen verteidigte. Unter den wenigen Republikanischen Amtsträgern, die sich öffentlich gegen Donald Trump positionieren, war er – nicht ohne Grund „Maverick“, Einzelgänger, genannt – der einzige, dem man die Widerrede auch zugetraut hätte, wenn er noch einmal hätte antreten wollen.

Wie McCain setzt sich auch Michael J. Boskin, ehemaliger Wirtschaftsberater von Präsident George W. Bush, in seinem Beitrag „Aufschwung, Abschwung, Umschwung“ von Trump in entscheidenden Punkten ab, insbesondere positioniert er sich gegen dessen protektionistische Handelspolitik. Gegen seine These, dass die Kongresswahlen im November wohl ein Referendum über Trump sein werden und vermutlich zu einer teilweisen Abstrafung der Republikaner führen, ist nichts zu sagen. Tenor und Subtext seines Beitrags aber können nicht unwidersprochen bleiben. Kurz gesagt stellt er die Behauptung auf, dass vernünftige Republikanische Wirtschaftspolitik zum derzeitigen Aufschwung geführt hat, an dem schon ganz bald alle Amerikaner teilhaben dürfen, insofern er nicht durch die unvernünftigen Trump-Republikaner oder durch die sozialistischen Demokraten zerstört wird.

Sicherlich wirken im amerikanischen Kontext die Forderungen der „Democratic Socialists“ auf viele Bürger radikal. Aber nur eine stärker sozialdemokratisch ausgerichtete Politik kann dazu führen, dass mehr Amerikaner an der derzeit positiven Wirtschaftslage teilhaben.

Doch der Reihe nach: Boskin behauptet, dass die Wirtschaftslage in den USA positiv ist und führt dies auf die wirtschaftsfreundliche Steuersenkungs- und Deregulierungspolitik zurück – klassische Republikanische Politik, Trump hin oder her. „Normalerweise“ seien nun steigende Reallöhne zu erwarten, so dass die breite amerikanische Bevölkerung „nun endlich von der starken Konjunktur profitieren könnte“. Unausgesprochen bleibt – obwohl der Konjunktiv es dezent andeutet – dass dies bisher sehr deutlich nicht der Fall ist, genau so wenig wie bei den historischen Vorläufern der sogenannten „trickle-down economics“. Wie bei Reagan und George W. Bush profitieren Wohlhabende und Unternehmen unmittelbar von den Steuersenkungen und Deregulierungen, aber das restliche Amerika muss sich jenseits von marginalen direkten Erleichterungen mit Versprechen zufriedengeben, die sich als leer herausstellen: Tatsächlich stagnieren Löhne und Gehälter seit den 1970er Jahren. Für wen ist die aktuelle Wirtschaftslage also wirklich so gut?

Ebenso unausgesprochen bleiben die Folgen der Republikanischen Politik für die staatlichen Finanzen. Anders als von Reagans ökonomischem Einflüsterer Arthur B. Laffer vorhergesagt, finanzieren sich die Steuersenkungen eben nicht durch steigendes Wachstum selbst, sondern erzwingen entweder höhere Schulden oder Kürzungen bei staatlichen Programmen. Letzteres sehr zur Freude derjenigen Republikaner, die im Staat die Quelle allen Übels sehen. Von negativen Folgen der „Regulierungsreformen“, sprich der massiven Deregulierung in allen Bereichen, ist erst recht nicht die Rede. Ein Beispiel: Die Luft- und Wasserqualität schützen zu wollen und gleichzeitig Regulierungen abzubauen, das passt nur im Republikanischen Fabel-Universum zusammen, wo Industrievertreter Regulierungsbehörden leiten so wie Füchse, die das Hühnerhaus bewachen, und trotzdem niemand zu Schaden kommt.

Boskin ist einer der traditionellen Republikaner des Wirtschaftsflügels, auf die es derzeit durchaus ankommt, wenn es um den Schutz von Demokratie und Rechtsstaat geht. Er setzt sich auch durchaus von Trump und dessen „persönlichen Angriffen auf seine Kritiker“ ab und insbesondere vom Trump’schen Wirtschaftsnationalismus, aber nur, weil die wirtschafts- und sozialpolitische Hegemonie der Republikanischen Orthodoxie gefährdet sein könnte. Die eigentliche Bedrohung des Selbstbedienungsladens für Wohlhabende und Wirtschaftsakteure sind nämlich aus seiner Sicht die unter dem Eindruck von Bernie Sanders‘ und Alexandria Ocasio-Cortez‘ Erfolgen sozialistisch gewordenen Demokraten, die von Trumps Unbeliebtheit profitieren und dann die Steuern wieder erhöhen und die Wirtschaft re-regulieren könnten.

Doch selbst in Boskins Beschreibung des angeblichen „Sozialismus“ von Sanders und den Linken in der Demokratischen Partei wird die Absurdität des Vorwurfs deutlich. Und damit auch die Doppelmoral derjenigen, die die autokratischen und illiberalen Tendenzen von Trump und seinen Anhänger vergleichsweise moderaten Reformen aus pekuniären Gründen opportunistisch vorziehen (Es lohnt immer wieder daran zu erinnern, dass der Wirtschaftsflügel der Republikaner aus wahltaktischen Gründen den Nativismus, Rassismus und die Elitenverachtung der Basis befördert hat, der am Ende zu Tea Party und Trump geführt hat). Boskin nennt die Forderungen nach einer „universelle[n] staatliche[n] Krankenversicherung, die Abschaffung von Studiengebühren und eine staatliche Arbeitsplatzgarantie beziehungsweise ein Grundeinkommen“ – geschickt unterschlägt er die wichtigen Forderungen nach einem „living wage“ (konkret, ein Mindestlohn von 15 US-Dollar, der dann entsprechend der steigenden Lebenshaltungskosten steigen soll) und der Stärkung der Gewerkschaften, weil diese ja in Erinnerung rufen könnte, dass es zu den versprochenen Reallohnzuwächsen noch nicht gekommen ist, sondern dass immer noch viele Amerikaner trotz Vollzeitarbeit nicht von ihrem Einkommen leben können.

Der „demokratische Sozialismus“, der derzeit in der Tat den Enthusiasmus einer möglichen „blauen Welle“ antreibt, bezieht sich nicht auf den europäischen Staatssozialismus, sondern auf die kurze wohlfahrtsstaatliche Phase der USA zwischen den 1940er und 1970er Jahren, als „liberals“ genannte Demokraten zunächst den Kapitalismus vor sich selbst retteten und ihn dann wenigstens rudimentär staatlich einhegten. Konsolidiert werden konnte dieser „New Deal“ nie; die Lücken – im gewerkschaftsfreien Süden, in der Landwirtschaft, im Dienstleistungssektor, bei Frauen und Minderheiten – waren tatsächlich so groß, dass der Wohlfahrtsstaat unter dem Eindruck der Weltwirtschaftskrise der 1970er Jahre und der folgenden Neoliberalisierung auch der Demokraten ins Wanken geriet. Wenn Boskin jetzt Umfragen zitiert, in denen mehr Demokraten Sozialismus befürworten als Kapitalismus, dann verbirgt sich dahinter die Zustimmung für Programme wie die gesetzliche Rentenversicherung und die gesetzliche Krankenversicherung für Rentner. Programme, die die Republikaner trotz vieler Versuche bisher nicht schleifen konnten, und zumindest aus europäischer Perspektive schlicht solide sozialdemokratische Politik zur Vermeidung von massenhafter Altersarmut, die vor der Einführung die Regel war.

Sicherlich wirken im amerikanischen Kontext die Forderungen der „Democratic Socialists“ auf viele Bürger radikal. Und sie sind auch nicht alle gleichermaßen gut durchdacht; manche mögen übers Ziel hinausschießen – dass die Republikaner bedenkenlos die Staatsschulden erhöhen, legitimiert etwa nicht die diesbezügliche völlige Sorglosigkeit mancher Wirtschaftsexperten auf der Linken. Aber nur eine stärker sozialdemokratisch ausgerichtete Politik kann dazu führen, dass mehr Amerikaner an der derzeit positiven Wirtschaftslage teilhaben. Diese Politik Sozialismus zu nennen, wie es Boskin tut, ist pure Republikanische Ideologie. Unklar ist, ob ein Demokratischer Erfolg im November den von Boskin kritisierten Wirtschaftsnationalismus Trumps einhegen kann. Bisher hat Trump hierfür nicht auf den Republikanisch dominierten Kongress zurückgegriffen, sondern Exekutivbefugnisse des Präsidenten genutzt. Bei den Demokraten aber – insbesondere auf der Linken – dominieren die freihandelsskeptischen Stimmen. Dies muss aber nicht zwangsläufig zu mehr Protektionismus führen, sondern kann auch einen Schwerpunkt auf die sozial-ökologische Regulierung des Welthandels bedeuten. Wenig wäre mittelfristig besser geeignet, den nationalistischen Rechtspopulisten das Wasser abzugraben.

Lesen Sie auch den Text „Aufschwung, Abschwung, Umschwung“ von Michael J. Boskin