Es läuft einfach nicht für Joe Biden und seine Demokratische Partei. Die Niederlage am 2. November bei den Gouverneurswahlen in Virginia und der äußerst knappe Ausgang im sicher geglaubten New Jersey deuten darauf hin, dass ihnen die Wechselwähler in den Vorstädten von der Fahne gehen. Und genau diese waren es, die im November 2020 in den entscheidenden Staaten für Bidens äußerst knappen Wahlsieg gesorgt hatten. Schlimmer noch: Die Republikaner scheinen eine Formel gefunden zu haben, die radikalisierte Trump-Basis an die Urne zu bringen, ohne durch zu große Nähe zu Trump und seiner „big lie“ von der „gestohlenen Wahl“ für die entscheidenden Wechselwähler verbrannt zu sein. Nicht nur deshalb stehen die Chancen der Demokraten auf einen Erhalt ihrer knappen Kongressmehrheit bei den Zwischenwahlen im kommenden Jahr schlecht.

Zudem hängen Bidens ambitionierte Programme für Infrastrukturmaßnahmen, Klima- und Sozialpolitik immer noch fest. Die knappste aller möglichen Mehrheiten im Senat – ein Patt, das von der Vizepräsidentin zugunsten der Demokraten aufgelöst werden kann – wird von zwei Senatoren blockiert. Joe Manchin aus West Virginia, der nach eigener Aussage ein leichteres Leben als Republikaner hätte – Trump hat in seinem Staat haushoch gewonnen – bremst die progressive Politik seiner Partei. Er tut dies aus grundsätzlichen wie wahltaktischen Gründen und wohl auch wegen seiner Nähe zu fossilen Industrien, die für den Kohlestaat West Virginia eine zentrale Bedeutung haben. Ohne Manchin aber hätten die Demokraten überhaupt keine Mehrheit im Senat. Das versteht der senatserfahrene Biden. Die Ungeduld der progressiven Demokraten im Repräsentantenhaus kann er trotzdem nicht bremsen. Diese wissen ganz genau, dass für ihre Herzensanliegen die Uhr tickt und ihre hauchdünne Mehrheit wohl schon bei den nächsten Zwischenwahlen im November 2022 dahin sein wird. Ihre Frustration über Manchin und die ebenfalls blockierende Senatorin aus Arizona, Kyrsten Sinema, ist groß. Deren Blockadehaltung ist schwerer zu ergründen als Manchins. Sie lässt sich nicht in die Karten schauen und stellt keine klaren Forderungen.

Die Republikaner scheinen eine Formel gefunden zu haben, die radikalisierte Trump-Basis an die Urne zu bringen, ohne durch zu große Nähe zu Trump für Wechselwähler verbrannt zu sein.

Aber das Problem der Demokraten ist grundsätzlicher: Sie unterliegen einem Fehlschluss, wenn sie glauben, die Wählerinnen und Wähler würden sie für erfolgreiche Politik, die ihnen nützt, belohnen. Sicher: Hätte Biden vor seiner Reise zum G20-Gipfel nach Rom und zur COP26 nach Glasgow seine Infrastruktur-, Klima- und Sozialprogramme erfolgreich auf den Weg gebracht, hätte dies möglicherweise die Skepsis gedämpft, auf die seine Ankündigungen klimapolitischer Maßnahmen stoßen. Aber tatsächlich ist der „mächtigste Mann der Welt“ innenpolitisch schwach. Angesichts der Mehrheitsverhältnisse bleibt den Demokraten lediglich der sogenannte Budget Reconciliation-Prozess, der auf bestimmte Maßnahmen beschränkt ist und nur selten genutzt werden kann. Alles andere blockieren die Republikaner.

Und diesen geht es dabei nur in zweiter Linie um die Inhalte der politischen Maßnahmen. Denn auch wenn niemand dem politischen Konkurrenten gerne Erfolge gönnt, wären grundsätzlich Kompromisse bei vielen Fragen möglich, sieht man von moralischen Kontroversen wie der Abtreibungsfrage ab. Aber während die Demokraten um Kompromisse bei Gesetzesvorhaben ringen, geht es längst um fundamentale Fragen: um den Fortbestand der amerikanischen Demokratie, um die Integrität der demokratischen Institutionen, darum, wer Amerikaner ist und was Amerika bedeutet.

Weit weg von der europäischen Feudal- und Klassengeschichte waren die Vereinigten Staaten ein neues, freies Land, das seinen Bürgern unvergleichliche ökonomische und politische Möglichkeiten eröffnete. Kurz: Amerika hatte keine Ideologien, Amerika war eine Ideologie. Kritiker dieser Lesart gab es selbstverständlich immer, und empirisch ließen sich die sprichwörtlichen „unbegrenzten Möglichkeiten“ kaum jemals bestätigen, nicht nur mit Blick auf die strukturelle Benachteiligung der Afro-Amerikaner. Aber der „Amerikanismus“ erlaubte einer multi-ethnischen und multi-religiösen Bevölkerung, sich jenseits ihrer politischen und kulturellen Differenzen als Amerikaner zu verstehen, er hielt das Land gewissermaßen zusammen. Nun aber sind die Fronten verhärtet, von allen Seiten wird das Fundament der amerikanischen Gesellschaft unterminiert. Von der Linken gibt es Zweifel an Verfassungsvätern, die auch Sklavenhalter waren, und fundamentale Kritik an der Integrität der amerikanischen Geschichte insgesamt. Doch der Hauptangriff erfolgt von rechts und zwar nicht nur von Trump und seinen Spießgesellen.

Die Fronten sind verhärtet, von allen Seiten wird das Fundament der amerikanischen Gesellschaft unterminiert.

Dieser Angriff hat mehrere Elemente. Erstens säen die Republikaner, deren Wählerbasis weißer Christen relativ schrumpft, gezielt Zweifel an der Integrität des amerikanischen Wahlsystems, obwohl sie in diesem System ohnehin schon erhebliche Vorteile genießen. Im Senat und im Electoral College, das den Präsidenten wählt, sind die von ihnen dominierten bevölkerungsarmen, ländlichen Staaten überrepräsentiert. Die Strategie geht auf: Immer noch hält eine große Mehrheit der Republikaner daran fest, dass Trump 2020 der Wahlsieger war. Tatsächlich fehlten diesem nur knapp 45 000 Stimmen in drei Staaten, um ein Patt zu erreichen und die Wahl im dann zuständigen Repräsentantenhaus für sich zu entscheiden.

Zweitens haben derzeit zwar die Demokraten eine knappe Mehrheit im Repräsentantenhaus, aber die Republikaner nutzen den nach der Volkszählung von 2020 laufenden Prozess der Neuzuschneidung der Wahlbezirke, um ihre Chancen auf Sitze zu erhöhen („gerrymandering“). Auch Demokraten machen von dieser Möglichkeit Gebrauch, aber sie dominieren weniger Einzelstaatsparlamente und ihre Wähler wohnen kompakter in Städten zusammen, was die Manipulation erschwert.

Die Republikaner haben drittens hunderte von Maßnahmen eingeleitet, gesetzlich wie administrativ, um die Wahlbeteiligung von Minderheiten und jungen Menschen gezielt zu dämpfen. Regeln wie die Notwendigkeit der Vorlage bestimmter Ausweisdokumente gelten selbstverständlich für alle Bürger, aber die Strategen wissen, dass sie statistisch vor allem Demokraten an der Stimmabgabe hindern.

Viertens nutzen die Republikaner die von ihnen selbst gesäten Zweifel an der Integrität des Wahlsystems, um den mit der Organisation und Durchführung von Wahlen beschäftigten Apparat von unten auf Linie zu bringen. Die vielen freiwilligen Wahlhelfer aus den Parteien und auch diejenigen, die für bestimmte Aufgaben gewählt werden, werden gezielt durch Angehörige der Trump-Basis ersetzt. Gleichzeitig laufen scharfe Angriffe auf Staatsbedienstete, die für die Durchführung von Wahlen verantwortlich sind, egal ob Republikaner oder Demokraten.

Der Komiker Bill Maher spricht seit längerem von einem „slow-moving coup“, also einem langsam ablaufenden Staatsstreich. Bis zum Angriff auf das Kapitol am 6. Januar 2021 erschien dies so gut wie allen Beobachtern der amerikanischen Politik als alarmistisch. Vermutlich ist das immer noch so. Aber niemand kann mehr bestreiten, dass die Republikaner ihre institutionellen Möglichkeiten ausnutzen, um bei der Präsidentschaftswahl 2024 von einem knappen Ergebnis, das vielleicht in einigen Staaten umstritten ist, profitieren zu können. Durch gezielte politische Eingriffe, z.B. der Weigerung, Wahlergebnisse in einzelnen Staaten zu zertifizieren, kann der komplizierte Prozess zu ihren Gunsten beeinflusst werden. Schon 2020 lag, wie wir inzwischen wissen, ein solcher Plan vor. Dass die Justiz solche Manipulationsversuche schon rechtzeitig einhegen wird, ist angesichts der vielen von Trump ernannten Bundesrichter und ihrer Politisierung stark zu bezweifeln. Wir sehen zudem im Fall der Verfahren gegen Trump und nun auch beim Versuch, seinen Berater Steve Bannon zu einer Aussage vor dem Untersuchungsausschuss zum 6. Januar zu zwingen, wie langwierig juristische Verfahren sind.

Eine freie und faire Präsidentschaftswahl 2024 ist fundamental gefährdet.

Die aktuellen Wahlniederlagen in Virginia und anderswo verschärfen Bidens Misere. Aber die Demokraten können sie verschmerzen. Die Kongresswahl im November 2022 wird der eigentliche Schlüsselmoment sein. Denn wenn die Republikaner eine der beiden Kammern gewinnen – und das kann derzeit als fast sicher angesehen werden – dann haben sie die Macht in einem der zentralen Verfassungsorgane. Damit ist eine freie und faire Präsidentschaftswahl 2024 fundamental gefährdet. Es sei denn, den Demokraten gelänge es noch, gesetzliche Maßnahmen zum Schutz des Wahlrechts durchzusetzen. Doch hierfür müsste der Filibuster im Senat ausgesetzt werden, der einer Minderheit von Senatoren erlaubt, Gesetzesverfahren zu blockieren. Und auch hier verweigert der Demokrat Joe Manchin seiner Partei die Zustimmung und wird damit endgültig zum größten Hindernis für politische Lösungen. Der Präsidentschaftswahlkampf für 2024 hat längst begonnen.