Jüngst hat die Europäische Kommission ihre Vision für ein europäisches „digitales Jahrzehnt“ vorgestellt. Mit politischen Zielen für das Jahr 2030, die sich auf die vier Kernpunkte Kompetenzen, Infrastruktur, öffentliche Dienste und digitaler Wandel in Unternehmen konzentrieren, will die Europäische Union in der digitalen Transformation vorangehen.
Wir brauchen offene und wettbewerbsfähige Märkte um sicherzustellen, dass technologischer Fortschritt Bürgerinnen und Unternehmen in die Lage versetzt, eine wohlhabende und integrative Gesellschaft aufzubauen. Unternehmen aller Größen müssen die gleichen Chancen haben, innovativ zu sein und ihre Produkte und Dienstleistungen an die Verbraucher zu bringen.
Digitalisierung ist heute der Schlüssel zu wirtschaftlicher und gesellschaftlicher Stärke und zur Ausübung von globalem Einfluss. Unsere gemeinsame Zukunft nimmt im digitalen Bereich bereits Gestalt an. In einer Welt, die von einem geopolitischen Wettbewerb um technologische Vorherrschaft geprägt ist, müssen wir sicherstellen, dass sich die europäische Vision der Digitalisierung – basierend auf offenen Gesellschaften, Rechtsstaatlichkeit und Grundfreiheiten – gegenüber autoritären Systemen durchsetzt, die digitale Technologien auch als Werkzeuge zur Überwachung und Unterdrückung einsetzen.
Indem die EU ihre eigenen Fähigkeiten stärkt, kann sie dazu beitragen, die digitale Transformation zum Besseren zu gestalten. Für den Erfolg von Europas digitalem Jahrzehnt wird die EU starke Allianzen mit gleichgesinnten Ländern schmieden müssen, sowohl auf bilateraler als auch auf multilateraler Ebene. Um die Vorteile technologischer Innovationen voll ausschöpfen zu können, muss eine offene digitale Wirtschaft erhalten bleiben, in der Investitionen frei fließen können. Und ob es nun um die Chancen digitaler Gesundheitslösungen, Terrorismusbekämpfung, den Kampf gegen den Klimawandel und den Schutz der biologischen Vielfalt oder um die Vorhersage von Naturkatastrophen und künftigen Pandemien geht – wir werden viel mehr internationale technologische Zusammenarbeit brauchen.
Die Digitalisierung birgt ernste Risiken, die von Massenüberwachung und Cyberangriffen auf kritische Infrastruktur bis hin zur Verbreitung staatlich geförderter Desinformation zur Spaltung von Gesellschaft und Demokratie reichen.
Aber die Digitalisierung birgt auch ernste Risiken, die von Massenüberwachung und Cyberangriffen auf kritische Infrastruktur bis hin zur Verbreitung staatlich geförderter Desinformation zur Spaltung von Gesellschaft und Demokratie reichen. Wir müssen ein Gleichgewicht zwischen Offenheit und unseren anderen Interessen und Werten finden.
Dabei sollten wir uns insbesondere an drei übergreifende Prinzipien halten: gleiche Wettbewerbsbedingungen auf den digitalen Märkten, Sicherheit im Cyberspace und Freiheit im Online-Umfeld – einschließlich des Schutzes der Meinungs- und Versammlungsfreiheit sowie des Schutzes vor Diskriminierung und Verletzung der Privatsphäre.
Im Einklang mit unserer Entschlossenheit, bilaterale Beziehungen der EU zu stärken, klarere Standards zu setzen und widerstandsfähigere digitale Lieferketten zu gewährleisten, haben wir uns bereits mit dem Vorschlag, einen gemeinsamen Handels- und Technologierat zu gründen, an die neue Regierung von US-Präsident Joe Biden gewandt. Die EU versucht auch, eine globale Koalition zur Entwicklung einer menschenzentrierten Digitalisierung zu bilden. Wir müssen uns mit anderen zusammentun, die gemeinsam daran arbeiten wollen, eine effektive demokratische Kontrolle von Technologien und der digitalen Wirtschaft zu gewährleisten. Eine solche Koalition sollte für alle offen sein, die bereit sind, ein offenes, dezentrales Modell des Internets und die Prinzipien der Fairness in digitalen Märkten, der Sicherheit im Cyberspace und der individuellen Freiheiten im Internet zu verteidigen.
Durch Zusammenarbeit können wir auf der Grundlage gemeinsamer Werte Standards für künstliche Intelligenz und andere Technologien setzen, die Früchte der gegenseitigen Innovationen ernten und einen stärkeren Schutz vor Cyberangriffen aufbauen. Eine solche Koalition gleichgesinnter Partner kann dafür sorgen, dass die Verflechtung digitaler Lieferketten für Sicherheit und Widerstandsfähigkeit sorgt und nicht zu einem zusätzlichen Risiko wird.
Das „digitale Jahrzehnt“ ist zudem unsere letzte Chance, die 2030 Sustainable Development Goals (Nachhaltigkeitsziele) zu erreichen. Die digitale Technologie hat das Potenzial, die Inklusion und den Zugang zu öffentlichen Dienstleistungen auf der ganzen Welt zu erleichtern. So ist in Afrika der Anteil der Bevölkerung mit Internetzugang von 2 Prozent im Jahr 2005 auf 40 Prozent im Jahr 2019 gestiegen, wodurch mehr Kinder eine Schulbildung erhalten und mehr Frauen eine bezahlte Beschäftigung finden können. Solange wir die globale digitale Kluft nicht weiter schließen, werden wir nicht das volle Potenzial der neuen Technologien ausschöpfen.
Schließlich erfordert der Erhalt eines sicheren und zugleich offenen Internets, dass wir ein inklusiveres Multilateralismus-Modell entwickeln.
Deshalb wird die EU in Kürze eine Initiative vorschlagen, die finanzielle Mittel und technische Unterstützung kombiniert, um ihre Partner bei der Entwicklung ihrer eigenen digitalen Governance zu unterstützen, auch in Bereichen wie Cybersicherheit und Datenschutz. Ein neuer Fonds für digitale Konnektivität könnte diese Bemühungen unterstützen. Gemeinsam mit unseren Partnern werden wir in den kommenden Monaten die Machbarkeit solcher Ideen prüfen.
Schließlich erfordert der Erhalt eines sicheren und zugleich offenen Internets, dass wir ein inklusiveres Multilateralismus-Modell entwickeln, das nicht nur Regierungen, sondern auch Vertreter der Zivilgesellschaft, des Privatsektors und der Wissenschaft zusammenbringt. Dieses Modell kann dann unsere Aktivitäten innerhalb internationaler Organisationen – von den Vereinten Nationen über die Welthandelsorganisation bis hin zur Internationalen Fernmeldeunion – leiten, um sicherzustellen dass internationale Regeln zweckmäßig sind.
Bei all dem wird ein roter Faden, der aus gemeinsamen Prinzipien gewoben ist, unsere Bemühungen leiten, eine stärker auf den Menschen ausgerichtete digitale Transformation zu erreichen. Eine Transformation, die die Vorteile von Technologien maximiert und die damit verbundenen Risiken minimiert. Im Cyberspace wie in der analogen Welt wird Europa weiterhin für globale Grundwerte eintreten. In der Allgemeinen Erklärung der Menschenrechte von 1948 wurden die Würde des Menschen, das Recht auf Privatsphäre und auf Nichtdiskriminierung sowie die Rede- und Glaubensfreiheit verankert. Es ist unsere gemeinsame Pflicht, dafür zu sorgen, dass auch die digitale Revolution diesen Zielen gerecht wird.
(c) Project Syndicate