Wenn heute führende Politiker aus aller Welt virtuell zum Demokratiegipfel zusammenkommen, der von US-Präsident Joe Biden ausgerichtet wird, sollten sie sich eine simple Frage stellen: Was können wir tun, um den tapfersten Verfechtern der Demokratie zu helfen, wie etwa den Demonstrantinnen und Demonstranten, die derzeit im Sudan ihr Leben riskieren? Seit Monaten strömen im Sudan hunderttausende von Menschen auf die Straßen und verlangen eine Regierung, die ihnen rechenschaftspflichtig ist, und das Ende der Militärherrschaft, obwohl die sudanesischen Sicherheitskräfte darauf mit Schüssen reagieren. Dutzende von Demonstranten sind inzwischen ums Leben gekommen.
Ihr Mut ist nicht ohne Beispiel. Von Belarus bis Bolivien und selbst im Vereinigten Königreich und den USA leiten führende Vertreter der Zivilgesellschaft und zivilgesellschaftliche Organisationen mutige Bewegungen, um gegen strukturelle Unterdrückung, Autoritarismus und Ungerechtigkeit Widerstand zu leisten.
Leider könnte ihre Arbeit gar nicht dringlicher sein. In allen Teilen der Welt nimmt die Bedrohung führender Vertreter der Zivilgesellschaft und demokratischer Institutionen zu. Nationalismus, Ungleichheit und politische Polarisierung sind weltweit im Aufstieg begriffen, und pandemiebedingte Einschränkungen der Versammlungsfreiheit und zunehmend moderne Überwachungstechnologien haben autoritären Regimen Auftrieb verliehen.
In allen Teilen der Welt nimmt die Bedrohung führender Vertreter der Zivilgesellschaft und demokratischer Institutionen zu.
In Kolumbien wurden 2020 65 Umweltaktivisten ermordet. Das im Juni dieses Jahres von der nigerianischen Regierung verhängte Verbot zur Verwendung von Twitter im Lande bleibt in Kraft. Und im August hat die Regierung von Uganda 54 Menschenrechtsorganisationen die Ausübung ihrer Tätigkeit untersagt.
Diese in Demokratien ebenso wie in autoritären Staaten verhängten Maßnahmen haben bleibende Folgen. Durch Einschränkung der bürgerlichen Freiheiten – unter anderem der Presse-, Versammlungs- und Meinungsfreiheit – und durch Angriffe auf die Organisationen, die diese verteidigen, setzen Staaten unsere Rechte und Institutionen schutzlos künftigen Angriffen aus.
Dies ist der Grund, warum unsere zivilgesellschaftlichen Förderer und Partnerinnen die Alarmglocken läuten. Anliegen- und länderübergreifend werden Organisationen mit ähnlichen Strategien ins Visier genommen – darunter Anschuldigungen „ausländischer Einmischung“, wann immer sie mit etablierten internationalen Organisationen und philanthropischen Einrichtungen wie denen, die wir leiten, zusammenarbeiten.
Diese Angriffe dürfen sich nicht fortsetzen. Sie bedrohen nicht nur Leben und Existenzgrundlagen tausender zivilgesellschaftlicher Organisatoren und Aktivistinnen weltweit, sondern auch die Demokratie selbst. Während autoritäre Regime sich daran machen, diese unverzichtbaren Gruppen zu entmachten und ihre lebenswichtige Arbeit zu stören, bezeichnen ihre zynischen Repräsentanten die Demokratie als „idealistisch“ und „naiv“.
Wir verwahren uns grundlegend gegen diese Ansicht. Wir befürworten die Kraft der Demokratie, gerade weil sie ständige Pflege, Schutz und Teilhabe erfordert. Der Frieden und die Stabilität, die sie hervorbringt, werden durch einen alle einbindenden Gesellschaftsvertrag und nicht mit eiserner Faust erreicht.
In diesem Geist strebt Bidens Demokratiegipfel die Förderung einer demokratischen Erneuerung, bürgerlicher Teilhabe und multilateraler Zusammenarbeit an. Das Treffen stellt eine wichtige Gelegenheit für die Politik dar, sich im eigenen Land neuerlich zu den grundlegenden Versammlungs-, Koalitions-, Meinungsäußerungs- und Informationsrechten zu bekennen und diese Rechte im Ausland durch strategische Diplomatie zu fördern.
In diesem Geist strebt Bidens Demokratiegipfel die Förderung einer demokratischen Erneuerung, bürgerlicher Teilhabe und multilateraler Zusammenarbeit an.
Doch verbale Zusagen allein tragen nur bis zu einem gewissen Punkt. Wenn die Staaten in dieser Woche ihren virtuellen Dialog aufnehmen, müssen sie bereit sein, über die Rhetorik hinauszugehen und die Bedeutung dieser Rechte zu bekräftigen, indem sie ihren Worten im Kampf um bürgerliche Freiräume Taten folgen lassen.
Im Bereich der Menschenrechte bedeutet dies, die internationalen und nationalen Mechanismen zum Schutz der Rede- und Versammlungsfreiheit zu verbessern und so das Recht jedes Einzelnen zu gewährleisten, seine Ablehnung des Autoritarismus kundzutun. In vielen Ländern wird die Gewährleistung der Meinungsfreiheit die Aufhebung von Gesetzen gegen Aufwiegelung und die Verabschiedung von Moratorien gegen die Abschaltung des Internets erfordern. Darüber hinaus sollten die Regierungen Export und Übertragung von Überwachungsausrüstung an repressive Regime blockieren.
Am dringendsten ist, dass die Politik weltweit mehr investiert in zivilgesellschaftliche Organisationen, die ein wichtiger Kontrollmechanismus für die staatliche Macht sind. Und sie muss Verteidigern der Menschenrechte, Journalistinnen, sozialen Diensten und Gemeinschaftszentren greifbare Ressourcen zur Verfügung stellen.
Dies erfordert nicht nur die Unterstützung dieser Organisationen in Krisenzeiten, wenn sie sich bereits schwertun, ihren Gemeinschaften zu dienen, sondern auch Investitionen in ihr langfristiges Wachstum – und damit in die Aufrechterhaltung einer aktiven Bürgerschaft zur Bekämpfung künftiger Notfälle. Zum Beispiel sollten die demokratischen Regierungen ihre umfassenden Schutzmechanismen, die gefährdeten Aktivisten rechtliche, medizinische, psychosoziale, digitale Sicherheits- und Umsiedlungshilfsleistungen zur Verfügung stellen, ausweiten. Dies gilt insbesondere für Programme dort, wo die Zivilgesellschaft regionalen und nationalen Angriffen ausgesetzt ist. Dies ist eine der sichersten Methoden, wie Staaten Menschen, die bei der Verteidigung der Demokratie ihr Leben riskieren, unterstützen können.
Und schließlich müssen die Regierungen sich um die gemeinsame demokratische Sache scharen und in multisektoralen, multilateralen Partnerschaften eng zusammenarbeiten. Regierungen und Behörden, philanthropischer Sektor, privater Sektor und Zivilgesellschaft – wir haben alle zusammen die Chance, auf dem Gipfeldialog aufzubauen und unsere einzigartigen Stärken zu nutzen, um bürgerliche Freiräume auszuweiten. Schließlich ist der beste Schutz bürgerlicher Freiräume ein noch größerer bürgerlicher Freiraum, der von engagierten, vernetzten Bürgerinnen und Bürgern bevölkert wird, die die Ressourcen, Sicherheit und Fähigkeit haben, sich für ihre eigenen Rechte und Belange einzusetzen.
Engagierte Bürgerinnen und Bürger können enorme Veränderungen bewirken.
Engagierte Bürgerinnen und Bürger können enorme Veränderungen bewirken. So haben in Moldau und Malaysia zivilgesellschaftliche Organisationen dazu beigetragen, dass dort in diesem Jahr repressive „Notstandsgesetze“ aufgehoben wurden, und eine gefährliche Erosion demokratischer Institutionen verhindert. Und im Sommer 2020 haben sich Millionen von Menschen an den Protestmärschen von Black Lives Matter beteiligt und so die vermutlich größte Massenbewegung in der US-Geschichte hervorgebracht.
Ungeachtet der Ursache oder Reichweite derartiger Anstrengungen gilt: Wenn Menschen friedlich zusammenkommen, um ihre grundlegenden Menschenrechte zu verteidigen, machen sie enorme Fortschritte auf dem Weg hin zu Würde, Fairness und Gerechtigkeit für alle. Wir sollten diese Fortschritte von Khartum bis Kuala Lumpur in Wort und Tat unterstützen und sicherstellen, dass sie auch für die nächste Generation Bestand haben.
© Project Syndicate