Unter dem Mantel der Gleichstellung wurde zuletzt vermehrt die Einführung einer Migrantenquote debattiert. Doch ist Diskriminierung aufgrund eines Abstammungsmerkmals ein geeignetes Mittel, um Teilhabe zu verwirklichen? Führte man in Deutschland eine Befragung dazu durch, würden die meisten Menschen diese Frage vermutlich mit Nein beantworten. Die Berliner Senatorin für Arbeit, Integration und Soziales, Elke Breitenbach von der Linkspartei, die im Januar 2021 einen Gesetzentwurf für eine Migrantenquote für den öffentlichen Dienst einbrachte, sieht dies dezidiert anders.

Sie ist mit ihrer Sichtweise nicht allein. Geraden in den letzten Jahren wurden zahlreiche Initiativen zur Einführung von Quoten in der Arbeitswelt und bei der Besetzung von Wahllisten (Paritégesetze in Brandenburg und Thüringen) gestartet. Die Parteien wiederum greifen mit Quotenvorstößen Impulse aus dem vorpolitischen Raum auf, in dem es inzwischen eine stattliche Anzahl von Organisationen gibt, deren Anliegen die Verwirklichung von Ergebnisgleichheit für bestimmte Gruppen ist, als deren Fürsprecher sie sich sehen.

Die heutzutage im vorpolitischen Raum wirkmächtigen migrantischen Organisationen wurden erst in jüngerer Zeit gegründet. Ihre Mitglieder sind vorwiegend Akademiker, deren Eltern oder Großeltern nach Deutschland migrierten. Sie zeichnen sich dadurch aus, dass sie das in den USA im Hinblick auf Afroamerikaner entstandene Narrativ der strukturellen Diskriminierung eins zu eins auf Deutschland übertragen haben. Dabei kam es nicht nur zu inhaltlichen Übertragungsfehlern (freiwillige Migration versus Sklaverei), sondern – noch viel folgenschwerer – auch zur Übernahme des grundlegenden Denkfehlers, der diesem Narrativ innewohnt. Dieser besteht darin, dass jede statistisch messbare Abweichung zwischen dem Anteil von Menschen mit Migrationshintergrund an der Gesamtbevölkerung und ihrer Repräsentation in den Medien, in Parlamenten, im öffentlichen Dienst etc. automatisch als Folge struktureller Diskriminierungsmechanismen gewertet wird.

Der Gesetzentwurf von Elke Breitenbach sollte eine Migrantenquote in der Höhe des Anteils der Berlinerinnen und Berliner mit Migrationshintergrund für den öffentlichen Dienst einführen. Sie begründete die 35-Prozent-Quote dem Tagesspiegel gegenüber mit den Worten: „Wir haben den Anspruch, dass alle Menschen in dieser Stadt die gleichen Chancen haben. Strukturelle Diskriminierung nehmen wir nicht hin.“

Verfassungsrechtlich macht es einen großen Unterschied, ob das Ziel mittels einer Quote oder durch Zielvorgaben erreicht werden soll.

Inzwischen ist klar: Die Quote wird nun doch nicht eingeführt, weil SPD-Innensenator Andreas Geisel erkannte, dass sie verfassungswidrig ist. Die Zielvorgabe lautet jedoch weiterhin: Abbildung der „Berliner Vielfaltsgesellschaft“ im öffentlichen Dienst. Anstelle einer Quote, die es ermöglicht hätte, Menschen mit Migrationshintergrund bei gleicher Eignung bevorzugt einzustellen, soll das Ziel nun durch die besondere Berücksichtigung dieser Merkmalsgruppe bei der Stellenbesetzung erreicht werden. Und dies so lange, bis der Anteil der Beschäftigten mit Migrationshintergrund „auf allen beruflichen Ebenen mindestens entsprechend ihrem Anteil an der Bevölkerung Berlins“ liegt.

Ein dergestalt definiertes Ziel kann im administrativen Handeln jedoch einer De-facto-Quote gleichkommen. Einfach deshalb, weil mit dieser klar formulierten politischen Erwartungshaltung die für Personalentscheidungen zuständigen Mitarbeiter den Druck verspüren, die „richtigen“ Merkmalsträger bevorzugt einzustellen.

Verfassungsrechtlich macht es einen großen Unterschied, ob das Ziel mittels einer Quote oder durch Zielvorgaben erreicht werden soll. Die geplante Quote hätte gegen Artikel 3, Absatz 3 des Grundgesetzes verstoßen. Dort heißt es, dass niemand wegen seiner Abstammung oder Herkunft bevorzugt oder benachteiligt werden darf. Die Quote hätte zudem eine Verletzung von Artikel 33, Absatz 2 des Grundgesetzes dargestellt, weil hier explizit jedem Deutschen der gleiche Zugang zu öffentlichen Ämtern garantiert wird, sofern er dafür qualifiziert ist. Damit soll sichergestellt werden, dass nicht die Herkunft einer Person, sondern nur ihre Qualifikation (Bestenauslese) darüber entscheidet, wer eingestellt beziehungsweise befördert wird.

Beide Grundrechtsartikel zielen darauf ab, Gleichheit zu verwirklichen, indem sie die Bevorzugung und Benachteiligung von Menschen aufgrund von (ihnen zugeschriebenen) Kollektivmerkmalen untersagen. Quoten, aber auch freiwillige Zielvorgaben reduzieren Menschen hingegen auf ein Kollektivmerkmal. Einzig dieses eine Merkmal bestimmt darüber, ob jemand bevorzugt oder benachteiligt wird. Im Berliner Fall: Menschen mit Migrationshintergrund hätten allein deshalb bevorzugt eingestellt werden müssen beziehungsweise sind nun aufgrund von Zielvorgaben entsprechend ihrem Bevölkerungsanteil im öffentlichen Dienst abzubilden, weil entweder sie selbst oder ein Elternteil nicht von Geburt an die deutsche Staatsangehörigkeit hat.

Die Zielvorgabe lautet jedoch weiterhin: Abbildung der „Berliner Vielfaltsgesellschaft“ im öffentlichen Dienst.

Quoten und quotenanaloge Instrumente wie die Berliner Zielvorgabe reduzieren Menschen nicht nur auf ein Merkmal. Sie ermächtigen zudem Personalverantwortliche, Bewerber und Mitarbeiter nicht als Individuen zu behandeln, sondern nur noch als Träger eines einzigen Abstammungsmerkmals. Darin ist die Wiederkehr einer illiberalen kollektivistischen Gesellschaftsordnung angelegt, in der das Kollektiv alles ist und der Einzelne nichts zählt.

Schon jetzt werden von den Quotenbefürwortern zentrale, auf das Individuum fokussierte Fragen, wie die nachfolgenden, gar nicht mehr gestellt: Was sagt es über die persönliche Lebenslage, die Interessen und Präferenzen von Menschen aus, ob sie oder ein Elternteil von Geburt an deutsche Staatsangehörige sind? Inwiefern beeinflusst dieses eine Merkmal, ob Menschen eine Beschäftigung im öffentlichen Dienst anstreben? Und lässt sich aus einer Unterrepräsentation überhaupt der Schluss ziehen, dass strukturelle Diskriminierung dafür verantwortlich ist?

Die Quotenbefürworterinnen und -befürworter haben sich dem Narrativ der strukturellen Diskriminierung verschrieben, weshalb all diese Fragen für sie irrelevant sind. Denn für sie steht fest, dass Unterrepräsentation grundsätzlich die Folge von struktureller Diskriminierung ist. Dieser Kurzschluss ermöglicht es ihnen auch, den zu repräsentierenden Bevölkerungsanteil ohne zeitaufwendige und empirisch herausfordernde Analysen zu bestimmen. Die Bestimmungsformel lautet: Strukturell diskriminiert sind alle statistisch als „Menschen mit Migrationshintergrund“ erfassten Personen. Dieser Anteil liegt in Berlin gegenwärtig bei 35 Prozent, ergo liegt die Zielgröße bei 35 Prozent. Das heißt auch, dass die Zielgröße fortlaufend angepasst werden muss: Steigt der Anteil der zu repräsentierenden Gruppe, muss die Quote entsprechend erhöht werden.

Diese Bestimmungsformel ist in mehrfacher Hinsicht problematisch: Erstens weil sie nicht berücksichtigt, wie viele Menschen überhaupt im erwerbsfähigen Alter sind und eine Erwerbstätigkeit anstreben. Zweitens weil der Bevölkerungsanteil nichts über das Qualifikationsprofil und das Interesse an einer Beschäftigung im öffentlichen Dienst aussagt. Hier müsste zunächst ermittelt werden, wie groß der Rekrutierungspool für die einzelnen Berufe in der Landesverwaltung und in den Landesunternehmen überhaupt ist.

Drittens weil bei manchen Berufen, wie bei Richterinnen und Richtern, die deutsche Staatsangehörigkeit eine Einstellungsvoraussetzung ist. Für das Jahr 2019 wurde ein Ausländeranteil von circa 19 Prozent für Berlin ermittelt. Diese 19 Prozent kommen für solche Ämter schon einmal nicht infrage. Und viertens weil „Migrationshintergrund“ ein äußerst heterogenes, dem ständigen Wandel unterliegendes Merkmal ist. Es umfasst sowohl die Kinder eines aus der Schweiz stammenden Vorstandsvorsitzenden als auch den erst vor kurzem nach Deutschland eingewanderten Analphabeten.

Die flächendeckende Einführung von Quoten kann nur gelingen, wenn die Verfassung an das Politikziel angepasst wird.

Die Entwicklung des Ausländeranteils in Berlin im vergangenen Jahrzehnt zeigt die Dynamik des Zuwanderungsgeschehens: 2011 lag der Ausländeranteil bei 11,9 Prozent, 2019 aufgrund der starken Zuwanderung aus den EU-Beitrittsländern und der Fluchtmigranten bei 19,2 Prozent. Damit ist heute der Anteil deutlich höher, der zumindest hinsichtlich der Staatsangehörigkeit die Einstellungsvoraussetzungen nicht erfüllt. Da viele Tätigkeiten im öffentlichen Dienst gute Deutschkenntnisse voraussetzen, die von Neuzuwanderern oft nicht erfüllt werden, ist auch an dieser Stelle der Rekrutierungspool gegenwärtig kleiner als vor zehn Jahren. Hinzu kommt, dass viele Arbeitsmigrantinnen und -migranten aus (Süd-)Osteuropa temporär zum Geldverdienen nach Deutschland kommen und daher weniger den öffentlichen Dienst als Arbeitgeber im Blick haben.

All dies wird von den Verfechtern einer auf paritätische Repräsentation ausgerichteten Politik ignoriert. Was sie jedoch realisiert haben, ist, dass die flächendeckende Einführung von Quoten – nicht nur im öffentlichen Dienst, sondern auch in den Medien, im Kulturbetrieb, in Parlamenten und Regierungen – nur gelingen kann, wenn die Verfassung an das Politikziel angepasst wird.

Der Verein „DeutschPlus“ hat dazu die Kampagne „Vielfalt als Staatsziel“ gestartet. Aufhorchen lässt insbesondere der Satz. „Die Zeit ist reif für eine Einwanderungsverfassung.“ Damit ist wohl gemeint, dass Einwanderung zum bestimmenden Merkmal für Deutschlands Verfassungsordnung werden soll. Dergestalt soll folgerichtig das Bevorzugungs- beziehungsweise Benachteiligungsverbot aus Artikel 3, Absatz 3 des Grundgesetzes ausgehebelt werden. Das liefe auf eine folgenschwere Abkehr vom Hauptprinzip der Grundrechte hinaus: Deren Träger ist in unserer Verfassungsordnung das Individuum. In der „Einwanderungsverfassung“ wären es merkmalsbasierte Kollektive.

Darüber hinaus zeichnet sich ab, dass es mit der Einführung von Quoten für Menschen mit Migrationshintergrund nicht getan wäre. In den letzten beiden Jahren mehren sich die repräsentationspolitischen Forderungen von Interessenverbänden, die neben einer allgemeinen Quote für Menschen mit Migrationshintergrund Unterquoten für besonders stark unterrepräsentierte Migrantengruppen oder für, um es mit den Worten der „Neuen deutschen Organisationen“ auszudrücken, „rassismuskritische Menschen mit Minderheitenmerkmalen“ einrichten möchten. Inspiriert von den US-amerikanischen Diskursen, wird nunmehr darauf abgehoben, dass „Parteien, Behörden, Wohlfahrtsverbände und viele andere Bereiche“ auch heute „noch überproportional weiß“ sind, weshalb es „eine Quote für People of Color und Schwarze Menschen“ brauche.

Setzte der Staat alle Forderungen nach Haupt- und Unterquoten um, mutierte er zu einem illiberalen Sozialingenieur, der die Freiheit von Individuen, Institutionen, Unternehmen und Parteien einschränkt.

Setzte der Staat alle Forderungen nach Haupt- und Unterquoten um, mutierte er zu einem illiberalen Sozialingenieur, der die Freiheit von Individuen, Institutionen, Unternehmen und Parteien auf eine Weise einschränkte, die diesen nicht mehr viel Raum für autonome Entscheidungen ließe. Ferner käme es zu einer massiven Beeinträchtigung der Funktionsfähigkeit dieser Einrichtungen. Verpflichtete der Staat sie alle dazu, zugleich einen Migrantenanteil von – auf Deutschland bezogen – aktuell fast 26 Prozent und einen noch zu bestimmenden Anteil von People of Color sowie wahlweise „Menschen mit (antimuslimischer) Rassismuserfahrung“ oder „rassismuskritische Menschen mit Minderheitenmerkmalen“ im Personal abzubilden, würde dies erhebliche Ressourcen binden, das Leistungsprinzip aushebeln und das soziale Klima schwer belasten.

Dabei gilt: Je mehr Quoten eingeführt werden, desto mehr Menschen müssen staatlich verordnete Benachteiligungen hinnehmen, womit negative Emotionen vorprogrammiert sind, die sich nicht nur gegen den Staat richten, sondern auch gegen die Profiteure dieser Politik. Wer ein diskriminierungsfreies und wertschätzendes Klima gegenüber Migranten schaffen will, sollte deshalb von Quoten Abstand nehmen. Und wem daran liegt, dass die Gesellschaft auch weiterhin offen für Einwanderung ist, sollte dies auch tun. Denn: Warum sollte eine Gesellschaft Einwanderung gutheißen, wenn dies für sie Benachteiligungen auf dem Arbeitsmarkt bedeutete?

Zuverlässig wird durch diese Quotenpolitik nur zweierlei erreicht: Erstens die nachhaltige Beschädigung des Vertrauens von Menschen, als Individuen gesehen und als solche fair behandelt zu werden; und zweitens die sich immer weiter auffächernde Spaltung der Gesellschaft in Merkmalsträger, die zu einem Konkurrenzkampf um staatliche Privilegierungsmöglichkeiten animiert werden.

Anstatt den stark durch Eigennutz (Macht, Ressourcen, Positionen) motivierten Quotenforderungen von Interessenvereinigungen zu folgen, deren flächendeckende Einführung das Land in eine illiberal-identitäre Quotenrepublik verwandelten, sollte der Staat freiheitsschonende Instrumente, wie nachteilsausgleichende Unterstützungsprogramme und Antidiskriminierung, ausbauen. Diese stehen nicht nur im Einklang mit unserer freiheitlichen Verfassungsordnung, sondern sind auch geeigneter, Menschen bedarfsgerecht bei der Teilhabeverwirklichung zu unterstützen.