Am 31. Januar 2019 wurde vom brandenburgischen Landtag das erste deutsche Parité-Gesetz verabschiedet. Das Gesetz besagt, dass die Parteien zur Wahl paritätische Landeslisten aufstellen müssen. Die Entscheidung, ob ein Mann oder eine Frau den ersten Listenplatz bekommt, wird den Parteien selbst überlassen. Angehörige des sogenannten dritten Geschlechts können selbst entscheiden, ob sie auf einem „männlichen“ oder „weiblichen“ Listenplatz kandidieren. Eine Ausnahme besteht für Parteien, politische Vereinigungen oder Listenvereinigungen, die satzungsgemäß nur ein Geschlecht aufnehmen und vertreten wollen.
Das Gesetz wirft zahlreiche verfassungsrechtliche Fragen auf. Es läßt sich darüber streiten, ob die durch das Gesetz erfolgten Eingriffe in die Freiheit der Parteien und der freien und gleichen Wahl aufgrund des staatlichen Auftrags zur Förderung der Gleichberechtigung von Männern und Frauen gerechtfertigt werden können. Weiterhin ist zweifelhaft, ob die Bestimmungen hinsichtlich derjenigen Personen, die dem dritten Geschlecht zuzuordnen sind, mit dem Gleichheitsrecht in Art. 3 GG vereinbar sind. Das Parité-Gesetz benachteiligt und bevorzugt gleichzeitig Angehörige des dritten Geschlechts. Sie werden bevorzugt, da sie sich als Einzige einen „männlichen“ oder „weiblichen“ Listenplatz aussuchen dürfen. Sie werden benachteiligt, da sie nicht das Recht haben, als drittes Geschlecht zu kandidieren und es für sie keine Listenplatzquote gibt. Sie müssen sich zudem entgegen der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts wieder für eines der „klassischen Geschlechter“ entscheiden.
Die offensichtliche und gravierende Verfassungswidrigkeit dieses Gesetzes folgt allerdings bereits aus dem mit ihm verfolgten neuen Leitbild der Demokratie. Dieses veränderte Demokratieverständnis verstößt gegen die von der Ewigkeitsgarantie des Art. 79 Abs. 3 GG geschützten und für unabänderlich erklärten Grundsätze des Demokratieprinzips. Damit entspricht die Rechtslage in Brandenburg nicht mehr den Demokratieanforderungen des Grundgesetzes und ist daher mit Grundgesetz unvereinbar.
Der Verstoß ergibt sich daraus, dass das Parité-Gesetz das Prinzip der Volkssouveränität durch eine geschlechtsbezogene Gruppensouveränität ablöst.
Der Verstoß ergibt sich daraus, dass das Parité-Gesetz das Prinzip der Volkssouveränität durch eine geschlechtsbezogene Gruppensouveränität ablöst. Das Gesetz beruht, wie insbesondere der ehemalige Verfassungsrichter Prof. Dr. Dr. Udo Di Fabio treffend festgestellt hat, im Kern auf Ideen, die Ständeversammlungen zugrunde liegen. Wie bei der Einrichtung von Ständeversammlungen des 19. Jahrhunderts wird das Volk nicht als Einheit von Freien und Gleichen gedacht. Stattdessen wird es in verschiedene Bevölkerungsgruppen unterteilt. Das brandenburgische Gesetz beruht genau darauf: Nicht mehr das brandenburgische Staatsvolk als solches soll es geben, sondern zwei Volksgruppen, die nach ihrem Geschlecht (Mann oder Frau) voneinander unterschieden werden. Die beiden Gruppen können in Parteien, die jeweils nur ein Geschlecht zulassen, gegeneinander antreten, also eine reine Frauenpartei kann gegen eine reine Männerpartei um Wählerstimmen kämpfen. In allen anderen Parteien müssen Männer und Frauen paritätisch aufgestellt werden. Weiterhin steckt dahinter die Idee, dass die jeweilige Gruppe einen Anspruch auf 50 Prozent der Sitze des Parlaments hat. Ein Parlament, das nicht zu 50 Prozent aus Frauen bestehe, habe auch keine hinreichende demokratische Legitimation. Dies zeigt sich deutlich in den Worten der brandenburgischen Parlamentspräsidentin nach der Verabschiedung des Parité-Gesetzes. Sie beschreibt das Gesetz als einen großen Sieg für die Demokratie und betont: „Es geht nicht um ein Frauenthema, sondern um das Ganze. Ich spreche nicht von einer Quote, sondern von Demokratie. Frauen haben einen Anspruch auf die Hälfte der Macht – ohne sie ist kein Staat zu machen.“
Durch diesen Ansatz der geschlechtsbezogenen Repräsentation wird das im Grundgesetz verankerte Demokratieprinzip in seinen Grundfesten verletzt. Das Grundgesetz behandelt das Volk als eine einheitliche Gruppe von freien und gleichen Bürgern, die sich ihre Abgeordneten durch unmittelbare, freie, gleiche und geheime Wahlen wählt, und zwar unabhängig von ihrem Geschlecht oder anderen Kriterien. Das Mandat des Abgeordneten ist dabei frei. Er wird in Art. 38 Abs. 1 S. 2 GG als Vertreter des ganzen Volkes angesehen. Das Recht einer wie auch immer gearteten oder definierten Bevölkerungsgruppe, im Parlament vertreten zu sein, ist im Grundgesetz nicht vorgesehen. Das Grundgesetz kennt nur die Repräsentation des Volkes als einheitliche Gruppe durch das Parlament und seine Abgeordneten. Dies wird auch in ständiger Rechtsprechung vom Bundesverfassungsgericht untermauert. Das Bundesverfassungsgericht spricht stets davon, dass die Staatsgewalt vom Volk und nicht von einzelnen Bevölkerungsgruppen ausgeht.
Das Bundesverfassungsgericht spricht stets davon, dass die Staatsgewalt vom Volk und nicht von einzelnen Bevölkerungsgruppen ausgeht.
Ein Recht auf Umwandlung dieses Demokratieverständnisses kann keinesfalls aus dem verfassungsrechtlichen Gleichstellungsauftrag hergeleitet werden. Der in Art. 3 Abs. 2 S. 2 GG geregelte Auftrag besagt: „Der Staat fördert die tatsächliche Durchsetzung der Gleichberechtigung von Frauen und Männern und wirkt auf die Beseitigung bestehender Nachteile hin.“ Jedoch bezieht sich dieser Verfassungsauftrag nach zutreffender Auffassung nur auf die Herstellung von Chancengleichheit von Männern und Frauen. Er regelt nicht, dass der Staat eine Ergebnisgleichheit herstellen müsse. Weiterhin erlaubt der Gleichstellungsauftrag keine Umgestaltung des demokratischen Systems des Grundgesetzes, soweit es dem Schutz der Ewigkeitsklausel von Art. 79 Abs. 3 GG unterliegt.
Schließlich öffnet das Parité-Gesetz das Tor zu einer möglichen weitergehenden Aushöhlung oder gar Beseitigung der Demokratie. Auch aufgrund dieses zwingenden revolutionären Charakters stellt das Gesetz einen Verstoß gegen die von Art. 79 Abs. 3 GG geschützten Grundsätze der Demokratie dar. Der revolutionäre Kern des Gesetzes liegt in der dahinterstehenden Idee, die auch in dem ursprünglichen Gesetzesentwurf der Grünen zum Ausdruck kommt: Das Parlament soll ein angemessenes Spiegelbild der Bevölkerungsgruppen darstellen. Wenn man diesen Gedanken ernst nimmt, sind weitere Kategorien von Bevölkerungsgruppen als Männer und Frauen möglich und sogar notwendig. Die Bevölkerung könnte und müsste in weitere Gruppen aufgeteilt werden. Kriterien dafür wären etwa Religionszugehörigkeit, Verdienst, Alter, sexuelle Orientierung oder Herkunft. Eine Grenzziehung bei Anwendung des Spiegelbildgedankens scheint dabei schwierig. Und wenn man sich den Bundestag als Organ vorstellt, in dem sich die gesellschaftliche Zusammensetzung des Volkes spiegeln muss, führt dies zu einer weiteren Erwägung: Um dieses Ziel zu erreichen, wären freie Wahlen gar nicht tauglich, da sie die Gefahr der Ergebnisunschärfe bergen, wenn im Ergebnis keine korrekte Spiegelung nach dem vorher festgelegten Proporz herbeigeführt wird. In letzter Konsequenz dieses Gedankens könnte daher, überspitzt gesagt, gefordert werden, die Zusammensetzung des Bundestags von Computerprogrammen bestimmen zu lassen, damit mathematisch sichergestellt ist, welche Bürger Abgeordnete werden, um dem Spiegelbild der Gesellschaft gerecht zu werden. Daher ist der Idee der spiegelbildlichen Repräsentation bereits in ihren Anfängen eine klare Absage zu erteilen.
Damit gilt, das Parité Gesetz in Brandenburg verstößt gegen die Kernwerte des Grundgesetzes und ist daher offensichtlich verfassungswidrig.
Lesen Sie in dieser IPG-Debatte auch den Text „Ja zur Quote!“ von Barbara Toth.