In Georgien halten die Massenproteste an. Zehntausende gehen weiterhin gegen ein von der Regierung vorgeschlagenes Gesetz über „ausländische Einflussnahme“ auf die Straße. Dadurch hat sich die angespannte Lage in der ohnehin schon polarisierten georgischen Gesellschaft weiter verschärft. Der Gesetzentwurf wurde am Dienstag nach Tumulten verabschiedet, bei denen es sogar zu Handgreiflichkeiten zwischen Gesetzgebern im Parlament kam.
Das Gesetz sieht vor, dass sich Nichtregierungsorganisationen, Medienorganisationen und Gewerkschaften, die mehr als 20 Prozent ihrer Einnahmen aus ausländischen Quellen beziehen, als „Organisationen, die den Interessen einer ausländischen Macht dienen“, registrieren lassen müssen. Das georgische Justizministerium soll diese Organisationen dann überwachen.
Aus den USA meldete sich der nationale Sicherheitsberater Jake Sullivan zu Wort und erklärte am Samstag auf X, die Proteste der vergangenen Woche hätten die Haltung der georgischen Bevölkerung deutlich gezeigt: „Unbeeindruckt von Einschüchterungstaktiken haben heute zehntausende friedliche Demonstranten im regnerischen Tiflis gefordert, dass der Georgische Traum das Gesetz zurückzieht.“
Das georgische Parlament hatte im vergangenen Jahr bereits einen fast identischen Gesetzentwurf eingebracht, ihn aber unter nationalem und internationalem Druck zurückgezogen. Die Regierungspartei, der Georgische Traum, betonte damals jedoch, dass dieser Rückzug nur vorübergehend sei. Viele der georgischen Nichtregierungsorganisationen erhalten den Hauptteil ihrer finanziellen Unterstützung aus westlichen Zuschüssen (oft von Organisationen, die direkt oder indirekt von der Europäischen Union, den USA und anderen westlichen Staaten finanziert werden). Obwohl diese offiziell unpolitisch sind, gehören viele der Organisationen der politischen Opposition an. Dies erklärt natürlich den Wunsch der Regierung, deren Einfluss zu begrenzen.
Das Gesetz und die anhaltenden Proteste sind Teil des sich verschärfenden Kalten Krieges zwischen Russland und dem Westen.
Das Gesetz und die anhaltenden Proteste sind Teil des sich verschärfenden Kalten Krieges zwischen Russland und dem Westen sowie der zunehmend prekären Stellung Georgiens in diesem Konflikt. Einerseits strebt die georgische Regierung, die seit zwölf Jahren an der Macht ist, aktiv die Mitgliedschaft in der EU und etwas weniger entschlossen auch in der NATO an. Im Dezember 2023 gewährte die EU Georgien den Status eines Beitrittskandidaten. Eine große Mehrheit der georgischen Bevölkerung befürwortet die Integration in die EU sowie, in geringerem Maße, in die NATO. Diese beiden Ziele sind so auch in der 2018 überarbeiteten Verfassung des Landes verankert. Die Regierung hat außerdem die russische Invasion in der Ukraine verurteilt und humanitäre Hilfe für die ukrainische Bevölkerung bereitgestellt.
Dennoch behauptet die Opposition, die Regierung sei kaum mehr als eine Handlangerin Moskaus, die sich heimlich gegen den westlichen Weg Georgiens stelle. Die Opposition bezeichnet den Gesetzentwurf als „russisches Gesetz“, und die Präsidentin Georgiens Salome Surabischwili – eine in Frankreich geborene frühere Verbündete der Regierung, die jetzt auf der Seite der Opposition steht – beschuldigt die Regierung, „unseren Weg (nach Europa) und unsere Zukunft zu sabotieren“.
Die georgische Regierung sowie viele Georgierinnen und Georgier erinnern sich jedoch noch lebhaft an den georgisch-russischen Krieg von 2008, als eine Schlacht um das separatistische Gebiet Südossetien zu einer vernichtenden Niederlage Georgiens führte. Man erinnert sich auch daran, dass sich die USA trotz überschwänglicher Freundschafts-, Unterstützungs- und Partnerschaftsbekundungen weigerten, zur Rettung Georgiens einzugreifen. Die Regierung ist daher seitdem entschlossen, einen neuen Konflikt mit Russland zu vermeiden. Aus diesem Grund fordern die Oppositionsmitglieder auch nicht, dass Georgien in den Krieg gegen Russland eintritt, obwohl sie die Regierung beschuldigen, sich auf die Seite des Kremls zu stellen. Dies scheint auch die Haltung der meisten Georgierinnen und Georgier widerzuspiegeln, die einen neuen Konflikt zutiefst ablehnen.
Georgien hat sich dem Großteil der westlichen Sanktionen gegen Moskau nicht angeschlossen und profitiert daher in hohem Maße von einer Zunahme des Handels mit Russland. Tiflis bemüht sich zudem, seine wirtschaftlichen Möglichkeiten über das weitgehend binäre West-Russland-Format hinaus zu erweitern, indem es seine Handels- und Investitionsbeziehungen mit der Türkei ausbaut und 2023 sogar eine neue strategische Partnerschaft mit Peking einging.
Es überrascht nicht, dass westliche NGOs und Regierungen das Gesetz scharf kritisieren.
In der Zwischenzeit hat die georgische Regierung, ähnlich wie populistische Parteien in Europa und Nordamerika, die Feindseligkeit konservativer Teile der georgischen Gesellschaft gegenüber der kulturellen Agenda der EU, insbesondere in Bezug auf LGBTQ-Themen, kanalisiert.
Im Jahr 2012 erklärte der Milliardär Bidzina Iwanischwili – der ursprünglich die Koalition zwischen dem Georgischen Traum und dem Demokratischen Georgien zum Sieg geführt hatte und seither als Geldgeber und graue Eminenz der Partei fungiert –, dass die Partei die Rhetorik des Kalten Krieges gegen Russland aufgeben und gleichzeitig die wahren Ursachen der explosiven Situation in der Region besser bekämpfen werde. Iwanischwili, der sein Vermögen in den 1990er Jahren in Russland gemacht hat, bevor er es in den Westen und nach Georgien transferierte, betonte die Verpflichtung des Georgischen Traums, „ein integraler Bestandteil der europäischen und atlantischen Institutionen zu werden“, unterstrich aber auch die Notwendigkeit, „die Möglichkeiten Georgiens realistisch einzuschätzen“ und „das Säbelrasseln“ gegenüber Russland einzustellen. Diese Ziele haben die Politik der Partei bis heute geprägt.
Es überrascht nicht, dass westliche NGOs und Regierungen das Gesetz scharf kritisieren, da es ihrer Meinung nach mit Georgiens europäischem Weg unvereinbar sei und sowohl von wachsendem Autoritarismus als auch von Moskaus Einfluss zeuge. Als Reaktion darauf hat wiederum der Georgische Traum die Einmischung des Westens scharf kritisiert (zu Recht oder zu Unrecht), die seiner Ansicht nach darauf abzielt, die georgische Opposition zu unterstützen, um die Regierung durch Proteste zu stürzen.
Iwanischwili beschuldigte eine „globale Kriegspartei“, die Georgier als „Kanonenfutter“ benutzen zu wollen, um sie in einen katastrophalen neuen Konflikt mit Moskau hineinzuziehen: „Die Finanzierung von NGOs, die sich als Hilfe für uns ausgibt, dient in Wirklichkeit dazu, (ausländische) Geheimdienste zu stärken und an die Macht zu bringen.“
Georgien wurde nach seiner Unabhängigkeit von der Sowjetunion immer wieder von Unruhen heimgesucht.
In dieser angespannten Lage sollte jeder, der Georgien auf dem Weg in die EU Erfolg wünscht, ein Interesse am Abbau der derzeitigen Spannungen haben. Der Westen kritisiert das bereits verabschiedete Gesetz zwar zu Recht. Dennoch sollten wir uns auch vor Augen führen, dass die meisten unserer Bürgerinnen und Bürger es für absolut untragbar hielten, wenn ausländische Institutionen, insbesondere solche, die mit ausländischen Staaten verbunden sind, die Hauptrolle bei der Finanzierung de facto politischer Gruppen hierzulande spielen würden.
Westliche Regierungen und Nichtregierungsorganisationen sollten sich davor hüten, die Verurteilung des Gesetzes und die Sympathie für die Proteste zu einer Unterstützung von Bestrebungen auszuweiten, die auf den Sturz der gewählten georgischen Regierung abzielen. Eine solche Strategie würde das Engagement des Westens für die Demokratie verraten und jede Regierung in der Welt, die sich westlicher Kritik ausgesetzt sieht, dazu ermutigen, zunehmend autoritäre Mittel zur Unterdrückung abweichender Meinungen einzusetzen.
Im Oktober stehen in Georgien Wahlen an und der Westen sollte natürlich alles tun, um sicherzustellen, dass sie frei und fair sind. Wir dürfen nicht vergessen, dass sich Georgien in einer prekären Lage befindet – sowohl in sicherheitspolitischer als auch in wirtschaftlicher Hinsicht – und dass es nur klug ist, bei seinen Annäherungen an Russland Vorsicht walten zu lassen, ein Land, welches sich in der unmittelbaren Nachbarschaft befindet, während die EU und die USA weit weg sind. Wir sollten uns auch in Erinnerung rufen, dass der einzige legitime Weg, eine gewählte Regierung abzusetzen, über Wahlen führt. Daher sollten wir versuchen sicherzustellen, dass eine Mehrheit der Georgierinnen und Georgier im Oktober die Möglichkeit hat, ihre Meinung – nicht unsere – über ihre Regierung zum Ausdruck zu bringen.
Georgien wurde nach seiner Unabhängigkeit von der Sowjetunion immer wieder von Unruhen heimgesucht, die in den 1990er Jahren sogar in einen Bürgerkrieg ausarteten. Dies hat Georgien auf seinem Weg nach Europa nicht geholfen – und würde es auch ein wiederholtes Mal nicht tun.
Die englische Originalversion des Artikels erschien zuerst bei Responsible Statecraft.