Neue Regierung in Tschechien -- Der tschechische Staatspräsident Miloš Zeman ernannte am Mittwoch - nach vollen 91 Tagen Koalitionsverhandlungen - die neue Regierung unter Führung des sozialdemokratischen Premierministers Bohuslav Sobotka. Er dürfte das mit gemischten Gefühlen getan haben.

Einerseits kann die neue Koalitionsregierung nach einer monatelangen bloßen Verwaltung der Regierungsgeschäfte nun endlich mit ihrer Arbeit beginnen. Es gilt, die sich auftürmenden Reform-Baustellen abzutragen und mit neuen Akzenten und Prioritäten verloren gegangenes Vertrauen in Tschechien und in Europa zurück zu gewinnen. Andererseits endet damit eine Übergangszeit, in der Zeman als Staatspräsident über eine enorme Machtfülle verfügte. Wie noch kein Präsident vor ihm nutzte er diese, um innenpolitische Strukturen nach seinen Vorstellungen zu verändern.

Premierminister Sobotka führt nun eine Koalitionsregierung, die es in dieser Form in Tschechien noch nie gab. Nachdem die CSSD (Sozialdemokratische Partei) bei den Parlamentswahlen im Oktober 2013 als klarer Favorit nur enttäuschende 20,4 Prozent holte, immerhin aber knapp stärkste Partei wurde, gestalteten sich die Koalitionsverhandlungen mit der zweitstärksten Kraft ANO („JA“) schwierig.

Unklar: Wo ist der Koalitionspartner zu verorten?

Die Partei war erstmals angetreten und hatte mehr als 18 Prozent der Stimmen geholt. Selbst erfahrene Analysten haben noch immer Schwierigkeiten mit einer Einordnung der ANO in die tschechische Parteienlandschaft. Ihr Gründer, der Milliardär Andrej Babis, hatte innerhalb weniger Jahre ein Netzwerk um sich geschart, das in erster Linie auf Unterstützer aus der Wirtschaft zählen kann.

ANO bedient die massenhafte Unzufriedenheit der tschechischen Wählerinnen und Wähler mit dem etablierten Parteiensystem und der politischen Kultur.

ANO bedient die massenhafte Unzufriedenheit der tschechischen Wählerinnen und Wähler mit dem etablierten Parteiensystem und der politischen Kultur. Sie konnte vor allem mit dem Versprechen punkten, Transparenz zu schaffen, individuelle Belastungen abzubauen, die Wirtschaft anzukurbeln und die endemische Korruption konsequent bekämpfen zu wollen.

Als Vizepremier und Finanzminister hat Babis nun alle Instrumente in der Hand, um dies auch realisieren zu können. Der Umstand, dass er zugleich auch Eigentümer größerer Medienkonzerne in Tschechien ist, dürfte dabei kaum hinderlich sein. Die Christdemokraten (KDU-CSL) vervollständigen mit knapp 7 Prozent des Wahlergebnisses die Dreier-Koalition, werden sich aber vornehmlich des Themas Kirchenrestitution annehmen.

Als entscheidend wird sich nun erweisen, wie weit sich eine Synthese der programmatischen Hauptaussagen der beiden großen Koalitionäre - hier „Funktionierender Staat“ (CSSD), dort „Tschechien-AG“ (ANO) - in die politische Praxis umsetzen lässt. Der Ansatz ist auch für andere EU-Staaten von Bedeutung. Beide Parteien wollen in jedem Fall den Hebel an der Ausgabenseite ansetzen, um Reformvorhaben vor allem auch in den sozialen Bereichen zu finanzieren. Das bedeutet: Bevor Steuern erhöht werden, muss die offensichtliche Verschwendung von öffentlichen Geldern, etwa die Korruption bei Ausschreibungen und die niedrigste Abrufrate von EU-Fördermitteln in Europa, konsequent eingedämmt sein. Ein mutiges, aber längst überfälliges Unterfangen.

Der Ansatz ist auch für andere EU-Staaten von Bedeutung, weil beide Parteien in jedem Fall den Hebel an der Ausgabenseite ansetzen wollen.

Was kann Europa, was kann Deutschland in den kommenden Jahren von Tschechien erwarten? Die neue Regierung scheint fest entschlossen, Tschechien nach dem jahrelangen Nihilismus der Klaus-Ära von der Peripherie des europapolitischen Diskurses zurück ins Zentrum der Gestaltungsmöglichkeiten zu führen. Dabei wird im Koalitionsvertrag nicht zufällig der Nachbar Deutschland besonders hervorgehoben, an dessen Seite und mit Hilfe der Intensivierung des grenzüberschreitenden Austausches dies gelingen soll. Dafür stehen mit Premierminister Sobotka und Außenminister Zaoralek nun Persönlichkeiten bereit, die diese Doktrin auch in Zeiten der Opposition konsequent vertreten haben.

Zum Erfolg verdammt: Sobotka als Antidot gegen Nihilismus

Bohuslav Sobotka, der sich am Wahlabend im Oktober einem innerparteilichen Putschversuch gegenüber sah, diesen aber abwehren konnte, ist ein Premierminister der leiseren Töne und der kleineren Schritte. Als ehemaliger Finanzminister und vergleichsweise junger Premierminister verkörpert er den Typus des europafreundlichen pragmatischen Sozialdemokraten. In den vergangenen Jahren hat er große Anstrengungen unternommen, sich in der europäischen Sozialdemokratie zu vernetzen. Sobotka gilt als ein werteorientierter Politiker ohne Skandale und Affären – und gibt damit dem Neuanfang ein glaubwürdiges Gesicht.

Nun wird abzuwarten sein, wie Staatspräsident Zeman mit dieser neuen Situation umgehen wird. Je harmonischer die neue Regierung agiert, desto weniger Raum hat der Präsident für Interventionen – auch dies ist Neuland für alle Beteiligten.

Man kann der neuen Koalition in Tschechien nur viel Erfolg wünschen, denn ein weiteres frühzeitiges Scheitern einer mit großen Hoffnungen gestarteten Regierung würde zu einem fatalen Höhepunkt der schon jetzt weitreichenden Abwendung von Politik in der ohnehin politikverdrossenen tschechischen Gesellschaft führen. Damit wäre nationalistischen und extremistischen Kräften endgültig Tür und Tor geöffnet. Nicht nur deshalb ist die Sobotka-Regierung zum Erfolg verdammt