Großbritannien

„Per ardua ad astra“ so hätte Boris Johnson wohl am ehesten die Pandemieentwicklung des Vereinigten Königreichs zusammengefasst: „Durch Raues zu den Sternen“. Denn nach einem desaströsen Jahr mit vielen Todesopfern, sah die Lage im März deutlich besser aus. Mit einem konsequenten Lockdown seit Januar und dem erfolgreichen Impfprogramm konnten die Infektionszahlen bis zur Schulöffnung am 8. März deutlich gesenkt werden. Somit konnte Johnson endlich das tun, was er am liebsten macht: Optimismus verbreiten.

Die Lockerung der Einschränkungen wird in vier Stufen erfolgen, das Ziel ist der 21. Juni – dann soll endlich Normalität Einzug halten. Dabei versprach Johnson treuherzig, aus den Fehlern der ersten Wellen gelernt zu haben: Handlungsleitend würden nicht die festgelegten Termine sein, sondern Daten. Impffortschritt, Impfschutz und die Belastung der Krankenhäuser würden vor jedem Schritt geprüft, ebenso wie das Auftreten neuer Virusvarianten. Nachdem die so genannte „englische Mutation“ Johnson schon zum letzten Lockdown gezwungen hatte, war nun Vorsicht geboten.

Bisher läuft alles nach Plan auf der Einbahnstraße aus dem Lockdown. Die Impfkampagne des Nationalen Gesundheitsdiensts NHS funktioniert tadellos und findet breite Akzeptanz. Die klare Aufteilung nach Prioritätsgruppen und dann Altersstufen (aktuell bis 30) ist verständlich und von Vordrängeln ist kaum zu hören. Die Pubs haben erst Außen und nun auch Innen aufgemacht, Theater und Kinos sind wieder offen, es gab Fußballspiele mit Zuschauern. Die Zahlen bleiben landesweit niedrig.

Doch momentan verdunkeln sich die Sterne, schuld daran ist die „indische Variante“ – eine Virusmutation, eingeschleppt aus Indien, die wohl ansteckender ist, als die bislang kursierende. In London und Bolton gibt es derzeit Hotspots mit steigenden Infektionszahlen. Die Variante wirft ein Licht auf drei Schwachstellen der englischen Erfolgsgeschichte.

Erstens wird deutlich, dass die Regierung des Brexiteers Johnson nicht in der Lage war, das Einschleppen einer neuen Variante zu verhindern. Denn im April wollte Johnson nach Delhi fliegen, um dort einen Handelsdeal zu feiern. Daher wurde Indien nicht Anfang April auf die „red list“ gesetzt, sondern erst drei Wochen später – der Besuch war abgesagt. In der Zwischenzeit reisten jedoch etwa 20 000 Personen aus Indien ins Vereinigte Königreich.

Für Stadtteile mit beengtem Wohnraum, schlechtem ÖPNV und prekären Einkommen reicht ein Impfzentrum in der Stadt nicht aus.

Zweitens machen die Infektionsherde in Bolton klar, dass die Impfkampagne bislang zu wenig zu den Menschen vordringt, die sie aufgrund ihrer sozialen Situation am dringendsten brauchen. Für Stadtteile mit beengtem Wohnraum, schlechtem ÖPNV und prekären Einkommen reicht ein Impfzentrum in der Stadt nicht aus. Zwar versuchte die Regierung, den Anstieg der Ansteckungen auf Impfverweigerer zu schieben, dies stimmt aber nur in Einzelfällen.

Drittens zeigt sich, dass Johnson aus seinen kommunikativen Purzelbäumen des letzten Jahres eben nicht gelernt hat. Denn die Frage des Umgangs mit Reisen bleibt ein Rätsel für fast alle Britinnen und Briten. Die Regierung hat ein Ampelsystem eingeführt, das Orientierung geben soll. Aber das Gegenteil ist der Fall, kein Mensch weiß, was nun eigentlich erlaubt und geboten ist. Besonders die gelben Länder (zehn Tage Quarantäne nach Einreise notwendig) sorgen für Verwirrung. Während die Regierung Reisen erlaubt, rät sie gleichzeitig davon ab. Nur aus essentiellen Gründen sollte man reisen, aber auch Urlaub könne ja ein essentieller Grund sein, so ein Minister.

In der Folge nehmen die Flüge in die teils beliebten Ferienziele wie Spanien massiv zu. Johnson wird jedoch versuchen, seinen Öffnungsplan einzuhalten, auch um in der eigenen Fraktion Ruhe zu haben. Aber nach den Sternen fühlt es sich noch nicht an, eher nach den Mühen der Ebene.

Christos Katsioulis, FES London

 

Israel

In Israel herrscht das allgemeine Gefühl, dass das Corona-Virus bereits besiegt wurde. Das Thema ist so gut wie aus der öffentlichen Diskussion verschwunden. Das hat sicherlich auch mit der kriegerischen Situation in den letzten Wochen zu tun, doch in erster Linie mit der Rückkehr der Menschen in ein fast normales Leben. Das Land ist so gut wie komplett geöffnet und es gibt nur noch wenige Beschränkungen. An die 5,5 Millionen, das sind rund 63 Prozent der Israelis (über 90 Prozent der über 60-jährigen) sind geimpft, wobei noch nicht begonnen wurde, unter 16-jährige zu impfen. Es sind zurzeit nur 436 Fälle von Covid-19 Erkrankungen bekannt, 49 davon sind als schwer eingestuft. Nur 0,1 Prozent der Tests sind positiv.

Noch sind folgende Regeln in Kraft, die allerdings am 1. Juni aufgehoben werden: Es dürfen sich bis zu 50 Personen in einem geschlossenen Raum aufhalten, und bis zu 500 Menschen unter freiem Himmel versammeln. Zum Einlass in ein Restaurant, Hotel, Theater etc. sowie für Auslandsreisen muss ein sogenannter „grüner Pass“ vorgezeigt werden. Dieses digitale Dokument bestätigt, dass ein Mensch entweder geimpft, oder genesen ist oder aber einen Negativtest in den letzten 72 Stunden durchgeführt hat. Es besteht immer noch Maskenpflicht für geschlossene Räume, einschließlich Bus, Bahn und Flugzeug.

Die wichtigste Lehre aus der israelischen Impfstrategie besteht darin, dass nur ein funktionierender Sozialstaat eine so erfolgreiche Massenimpfaktion durchführen kann.

Die Impfung der Bevölkerung lief schnell und zügig: Anfang Januar ging es mit den ersten Gruppen los: medizinisches Personal und Menschen über 60 Jahre. Bereits nach wenigen Tagen wurde das Alter auf 45 gesenkt, und seit Anfang Februar steht der Impfstoff allen Israelis ab 16 Jahren zur Verfügung. Grünes Licht für die Impfung von Kindern ab 12 Jahren ist in den nächsten Tagen zu erwarten. Die täglichen Impfzahlen lagen in den ersten drei Monaten bei bis zu 200 000 Menschen. Damit zählt Israel eindeutig weltweit zu den Impfweltmeistern.

Der Hauptgrund für den Erfolg liegt wohl in der Struktur der Krankenkassen. Für jeden Bürger besteht eine gesetzliche Pflichtmitgliedschaft in einer der existierenden Krankenkassen. Jede dieser Kassen verfügt über eigene Infrastrukturen, wie ärztliches Personal, Kliniken und in zwei Fällen sogar eigene Krankenhäuser. Mittels ihrer Datenbanken gelangen sie „auf Knopfdruck“ an die Zielgruppen der Impfkandidaten – seien es bestimmte Altersgruppen oder besondere Risikogruppen auf Grund von Krankheiten. Per SMS oder Telefon wird der Betroffene aufgerufen, sich an einem gewissen Tag zu einer bestimmten Uhrzeit zur Impfung einzufinden. Dort wird dann vor Ort der Termin für die zweite Dosis festgelegt. Die wichtigste Lehre aus der israelischen Impfstrategie besteht darin, dass nur ein funktionierender Sozialstaat eine so erfolgreiche Massenimpfaktion durchführen kann.

Die Zahl der Nicht-Impfwilligen ist relativ gering. In Krisenzeiten gilt die israelische Bevölkerung als diszipliniert. Medienkampagnen fordern die Menschen zum Impfen auf und rücken Nicht-Impfwillige in ein negatives Licht. Darüber hinaus wurden sehr schnell die Vorteile, die Träger des „grünen Passes“ haben, offensichtlich. Geimpfte leben in Israel ein fast normales Leben, während Verweigerer gezwungen sind, sich ständig testen zu lassen, um mit der ersten Gruppe mithalten zu können.  

Micky Drill, FES Israel

 

Vereinigte Staaten

Im Mai wurde der Impfstoff von Pfizer-BioNTech in den USA für die Verwendung bei Jugendlichen und Kindern von über 12 Jahren zugelassen, und noch im selben Monat begannen die meisten Bundesstaaten damit, Jugendliche in den Impfzentren und Apotheken gegen Covid-19 zu impfen. Für Eltern bedeutet dies eine große Erleichterung und ein Zugewinn an Freiheit. Damit ist die Gruppe der Impfberechtigten deutlich angewachsen und das groß angelegte staatliche Impfprogramm wieder einen Schritt weiter.

Manche Bundesstaaten verteilen gar kleine Geldprämien nach erfolgter Impfung.

Ist die Gefahr gebannt? Das ist noch nicht gewiss, und doch ist der Fortschritt beim Impfen ein wahrnehmbarer Fortschritt im Alltag und für das Lebensgefühl im Land. 49 Prozent der Bevölkerung haben mindestens eine Impfung erhalten, 39 Prozent sind bereits vollständig geimpft. Das Impftempo hat jedoch im ganzen Land stark nachgelassen. Insbesondere gilt das in einigen konservativen Bundesstaaten. Es gibt viele Gründe, warum berechtigte Personen nicht geimpft werden – mangelnde Verfügbarkeit in ländlichen Räumen, eingeschränkter Zugang zu Impfstellen und verwirrende Verfahren für die Buchung von Terminen beispielsweise. Doch einige Leute sind schlicht nicht bereit, sich impfen zu lassen. Sie misstrauen dem staatlichen Impfprogramm. Dieses Misstrauen ist oft politisch motiviert.

Die New York Times analysierte kürzlich Impf- und Wählerdaten in jedem County der Vereinigten Staaten. Sie stellte fest, dass sowohl die Bereitschaft, sich impfen zu lassen, als auch die tatsächlichen Impfraten im Durchschnitt in den Countys niedriger waren in denen eine Mehrheit der Einwohner 2020 für die Wiederwahl Donald Trumps gestimmt hatte. Auch sind dort Verschwörungstheorien zum Thema Impfen besonders weit verbreitet.

Die US-Regierung wird weiter für das Impfprogramm werben und die Bundesstaaten weiter beim Impfen unterstützen. Die großen Impfzentren werden zweifelsohne an Bedeutung verlieren; der Hausarzt bzw. die Hausärztin als Vertrauensperson sollen stärker eingebunden werden. Es besteht die Hoffnung, dass Zweifel überwunden werden können, wenn die Ansprache direkt und persönlich erfolgt. Hier sind Initiativen in Gemeinden besonders erfolgreich, in denen Personen in der Nachbarschaft – Familie, Freunde und Ältere – sagen, warum sie sich für die Impfung entschieden haben. Laut Umfragen sind diese authentischen Stimmen besonders wichtig in der Überzeugungsarbeit. Manche Bundesstaaten verteilen gar kleine Geldprämien nach erfolgter Impfung, andere verlosen größere Gewinne unter vollständig Geimpften. Einen Impfzwang soll es hingegen nicht geben.

Zunehmend fällt der Maskenzwang. Reisen innerhalb der USA haben zugenommen und die Wirtschaftsaktivität ist in den vergangenen Wochen stark gewachsen: 6,5 Prozent in diesem Jahr erwartet die US-Zentralbank in ihrer jüngsten Vorhersage. Vor diesem Hintergrund ist es durchaus möglich, dass die Herdenimmunität in den USA nicht erreicht wird – die Bedeutung des Virus und der Impfungen tritt im Alltag stärker in den Hintergrund. Womöglich werden die USA mit dem Virus noch lange leben müssen.

Knut Dethlefsen, FES Washington