Wenn die Zwei-Staaten-Lösung zwischen Israel und Palästina sprechen könnte, dann würde sie vielleicht im Sinne von Mark Twains Bonmot halb resignativ ausrufen: „Die Nachricht von meinem Tode ist stark übertrieben.“ Warum resignativ? Nun, weil die Todesnachricht sowohl einer realpolitischen als auch weit verbreiteten politischen Stimmungslagen zu entsprechen scheint. So wird, mehr als 25 Jahre nach dem Abkommen von Oslo, die Zwei-Staaten-Lösung aus unterschiedlichen Gründen als „Illusion“ wahrgenommen. Aber genau hier liegt die eigentliche Illusion. Denn weder realpolitisch noch normativ vermögen andere Lösungen zu überzeugen.

Dennoch, der realpolitische Verdruss muss nicht verwundern. Eine dauerhafte Friedenslösung zwischen zwei unabhängigen und nebeneinander gedeihenden Staaten Israel und Palästina ist weiter entfernt denn je. In weiten Teilen der Bevölkerung beider Staaten – eine Mehrheit der UN-Mitgliedstaaten hat Palästina mittlerweile als Staat anerkannt – ist die Zwei-Staaten-Lösung politisch diskreditiert. Die Friedensdividende blieb aus. Palästinenser leben unter der völkerrechtlich illegitimen und menschenrechtlich inakzeptablen Besatzung. Israelis erfahren bis heute Terror und Gewalt, die sich gegen sie richtet. Darüber hinaus unterminiert die Trump-Administration die Zwei-Staaten-Lösung in Worten und Taten. Doch der realpolitische Schaden entstand früher.

Das Abkommen Oslo II sah 1999 als Ende einer fünfjährigen Interimsperiode vor. In dieser Zeit wollten die Verhandlungspartner Vertrauen aufbauen, um einen endgültigen Friedensvertrag zu schließen. Daraus wurde nichts. Zu sehr war der dazu notwendige Kompromiss für die jeweiligen national-religiösen Lager inakzeptabel. Die bekämpften das Abkommen daher mit „Blut und Feuer“ – ein gruseliger Leitspruch national-religiöser Demonstrationen in Israel gegen den damaligen Ministerpräsidenten Yitzhak Rabin. Die Tragik von Oslo liegt auch darin, dass in der öffentlichen Debatte beider Staaten die jeweils andere Seite für das Scheitern verantwortlich gemacht wird – wo doch Rabin von einem israelischen Nationalreligiösen ermordet wurde und innerhalb Palästinas gewichtige Stimmen für den sogenannten „bewaffneten Kampf“ gegen „die Zionisten“ nicht nur bei der Hamas nie verstummen wollten.

Es ist eine Illusion zu glauben, Großisrael oder Großpalästina wären tragfähige Optionen. Was geschieht denn dann mit den ausgeschlossenen 50 Prozent?

Und dann kommt noch hinzu, dass die Zwei-Staaten-Lösung paradoxerweise von sehr unterschiedlichen politischen Lagern in Israel, Palästina und auch international aus ideologischen Gründen als illusionär abgestempelt wird. In national-religiösen Kreisen in Israel und Palästina wird die Zwei-Staaten-Lösung zumeist als fehlgeleite Vision liberaler, realitätsfremder Weltverbesserer (Israel) oder als westlich-zionistische Verschwörung (Palästina) dargestellt. Sei es im neuen israelischen Nationalstaatsgesetz, dass die jüdische Besiedlung auch in der Westbank zum Staatszwecke erklärt. Sei es bei palästinensischen Politikern und Aktivisten, die die Besatzung im palästinensischen Jenin, aber eben auch im israelischen Haifa am Werk sehen. Wer so redet, den eint der Wunsch, dass es zwischen Mittelmeer und Jordan nur einen Staat geben solle. Die Frage ist nur, ob es ein Großisrael oder ein Großpalästina sein soll. Der israelischen Seite stehen jedenfalls seit zwei Jahren weite Teile der Trump-Administration und andere rechtspopulistische Fans von Budapest bis Manila geflissentlich zur Seite. Eben auch dann, wenn es darum geht, das palästinensische Recht auf nationale Selbstbestimmung weiter zu unterminieren.

Die großnationalistischen Träume, die hierdurch genährt werden, sind nicht nur schockierend, sondern eine Gefahr. Aufgrund der Machtasymmetrien im Konflikt spielt dies realpolitisch vor allem national-religiösen Kräften in Israel in die Hände. Es ist schon längst eine schleichende Annexion Judäas und Samarias, wie die besetzen palästinensischen Gebiete in der Westbank mittlerweile bis weit in den israelischen Mainstream genannt werden, zu beobachten. Das Nationalstaatsgesetz ist jüngster Ausdruck davon, dass diese Ein-Staaten-Lösung vor allem einen jüdischen und weniger einen umfassend demokratischen Staat mit gleichen Rechten für alle Bürger als Ziel hat. Dies sollte aber nicht dazu führen, spiegelbildliche Prozesse in Palästina zu relativieren. Sei es die nach wie vor existierende Akzeptanz, die der „Kampf gegen Israel“ hat, sei es das explizite oder unterschwellige Bestreiten der Legitimität eines jüdisch geprägten Nationalstaates im Nahen Osten.

Beide Diskurse sind eine Bedrohung nicht nur für den Frieden, sondern auch für die Zukunft Israels und Palästinas. Denn zwischen Mittelmeer und Jordan leben ungefähr 14 Millionen Menschen. Etwa die Hälfte sind jüdische Israelis, die andere Hälfte Palästinenser - entweder palästinensische israelische Staatsbürger (etwa 20 Prozent der israelischen Bevölkerung) oder Palästinenser in der Westbank und im gebeutelten Gaza-Streifen. Es ist keine Illusion, eine politische Situation herbeiführen zu wollen, die die Rechte und Identität beider Seiten wahrt und anerkennt. Im Gegenteil: Es ist eine Illusion zu glauben, Großisrael oder Großpalästina wären tragfähige Optionen. Was geschieht denn dann mit den ausgeschlossenen 50 Prozent?

Israel und Palästina unterscheiden sich nicht von anderen ethno-nationalen Konflikten, in denen es externe Einmischung geben muss.

Auf den ersten Blick mag deswegen auch die im progressiven politischen Lager derzeit populäre Idee einer inklusiven Ein-Staaten-Lösung das richtige Rezept gegen exklusive Ansprüche sein. Aber so richtig die Kritik am exkludierenden Nationalismus ist: Befürworter einer inklusiven Ein-Staaten-Lösung – Israel/Palästina als säkular-demokratischer Staat aller seiner christlichen, jüdischen, moslemischen und sonstigen Bürger – haben nicht aufzeigen können, wie sich ein solcher Staat im zu erwartenden Nicht-Funktionieren von Bosnien-Herzegowina oder Libanon unterscheiden würde – um zwei noch eher positive Beispiele solcher aus schweren ethno-nationalen Konflikten hervorgegangenen Post-Konfliktstaaten zu nennen. Das progressive politische Lager sollte sich in der gerechtfertigten Suche nach supra- und transnationaler Identität und multilateralen politischen Strukturen auch im Nahen Osten nicht am Nationalstaat und nationalen Identitäten abarbeiten. Es sollte vielmehr die Synergien aus beidem erkennen.

Dies wäre auch eine Lehre aus „Oslo“, das zwar grundsätzlich die Idee zweier Staaten – Israel und Palästina – propagiert hat, dabei aber drei wesentliche Elemente ausgeblendet hat. Erstens die Verzahnung des Friedensprozesses mit einer regionalen Sicherheitsarchitektur. Der (gerade in Zeiten des Brexit durchaus brüchige) Frieden in Nordirland basiert ja auch nicht „nur“ auf einem Abkommen zwischen Republikanern und Unionisten, sondern auf der Einbettung Nordirlands in die supranationalen Strukturen der EU. Zweitens der Notwendigkeit einer starken, auch sicherheitspolitischen internationalen Einbettung einer Zwei-Staaten-Lösung. Hier unterscheiden sich Israel und Palästina nicht von anderen ethno-nationalen Konflikten, in denen es externe Einmischung geben muss. Drittens einer wesentlich stärkeren innenpolitischen Auseinandersetzung in Israel und in Palästina mit dem tief verankerten nationalistischen Konfliktnarrativ, als dies während des „Durchwurstelns“ des einstmaligen Friedensprozesses der Fall war.

Dies berührt nicht nur die Politik, sondern auch die Medien, Religionsführer und vor allem das Bildungssystem. Dass die Zwei-Staatenlösung à la Oslo diese drei Aspekte kaum aufnahm, ist frustrierend. Es unterstreicht, wie schwierig es ist, ethno-nationale Konflikte nachhaltig zu lösen. Dies sieht in Israel und Palästina nicht anders aus als in Nagorno-Karabach, Zypern, der Westsahara, Bosnien-Herzegowina oder, ja, Nordirland. Solche oft unüberwindbar erscheinenden Hindernisse, machen eine einvernehmliche Konfliktlösung aber nicht zu einer Illusion. Auch nicht mit Blick auf die Zwei-Staaten-Lösung, deren Verwirklichung Israelis und Palästinensern nur zu wünschen wäre.