Der Präsident ist angezählt. Zuletzt warfen das neue Buch des Watergate-Journalisten Bob Woodward und der Artikel eines anonymen Regierungsmitarbeiters ein besorgniserregendes Licht auf Donald Trumps Präsidentschaft. Die Rede ist von einem Mann, dem Verteidigungsminister James Mattis „die Aufnahmefähigkeit und das Verhalten eines Fünft- oder Sechstklässlers“ attestiert, der sprunghaft handelt und sich nicht für die strategischen Folgen seiner Politik interessiert. Sein Stabschef John Kelly bezeichnet das Weiße Haus als „Crazy Town“, als Ort, an dem Vernunft und Logik nicht mehr greifen. Für einige Mitarbeiter lautet der einzige Ausweg innerer Widerstand. Denn, so schreibt einer von ihnen in der New York Times, könnten immerhin die größten Katastrophen verhindert werden.

Mit einem erdrutschartigen Sieg der Demokraten bei den Midterms im November wird gerechnet. Wie ein Damoklesschwert schweben die Russland-Ermittlungen über dem Oval Office. Sollte FBI-Sonderermittler Mueller den Beweis finden, dass er und seine Kampagne mit dem Kreml gegen die US-Wahlen 2016 konspirierten, dann heißt es bald „lock him“, nicht mehr „lock her up“. Und Trump kann nur noch auf eines hoffen: Ein Pardon durch Mike Pence, der im Falle eines Rücktritts des Präsidenten oder erfolgreichen Impeachments die Amtsgeschäfte übernehmen würde.

Der Vergleich, der bemüht wird, ist die Watergate-Affäre. Nach der Aufdeckung einer Vielzahl krimineller Machenschaften im Weißen Haus, trat mit Richard Nixon am 8. August 1974 erstmals ein US-Präsident zurück, um einer Amtsenthebung zuvorzukommen. Auslöser war der Einbruch von Nixons-Wahlkampfteam in das Hauptquartier der Demokratischen Partei im Washingtoner Watergate-Hotel zwei Jahre zuvor. Angestoßen durch Bob Woodward und Carl Bernstein, stand am Ende eine Beweislast, die selbst führenden Republikaner im Kongress keine andere Wahl ließ, als Nixon fallen zu lassen.

Ein solches Szenario ist bei Trump unwahrscheinlich, mindestens aus fünf Gründen:

Erstens ist die republikanische Partei nicht mehr jene der 1970er Jahre. Damals dominierten alteingesessene Politiker wie Barry Goldwater die Republikanische Partei, auch GOP genannt, die ihrem Selbstverständnis nach auf die institutionelle Eigenständigkeit des Kongresses pochten. Heute dagegen sehen sich ihre Vertreter im Senat und Repräsentantenhaus als verlängerte Arme des Präsidenten. Der Vorsitzende des Geheimdienstausschusses, Devin Nunes, fällt zum Beispiel vor allem dadurch auf, dass er kontinuierlich die Legitimität der Russland-Ermittlungen anzweifelt.

Während einst Vietnamkrieg, Watergate, Rassismus und Studentenproteste das Land in den Grundfesten durchrüttelten, gab es immerhin noch ein gemeinsames Verständnis von Wahrheit, innerhalb dessen über die richtige Politik gestritten wurde.

Zweitens profitiert Trump von einer Medienunterstützung von der Nixon nicht zu träumen gewagt hätte. Fox News ist das Sprachrohr des Präsidenten, Moderator Sean Hannity ein enger Freund und inoffizieller Berater. Hinzu kommen eine Verteidigungslinie aus rechten Blogs, Websites und die Funktionsweise sozialer Medien. Gegennarrative stehen sofort und in Echtzeit bereit, auf Attacke folgt Gegenattacke. Und die Reihen sind geschlossen. Für das Gros der GOP-Wählerschaft sind Fox und Trump die vertrauenswürdigsten Informationsquellen mit weitem Abstand vor CNN oder MSNBC.

Zu Nixons Zeiten war die Medienlandschaft weniger fragmentiert. Bloß drei große Netzwerke und PBS sendeten landesweit. Wenige Zeitungen dominierten den nationalen Markt. Das Ansehen der „vierten Gewalt“ war weitgehend intakt. Es existierten Persönlichkeiten wie Walter Cronkite von CBS, dem „Mann, dem Amerika am meisten vertraut“. In seiner Sendung verteidigten Nixons Anhänger ihren Präsidenten. Trumps Gefolge geht dafür zu Sean Hannity und Fox News. Verteidigt werden muss ihr Idol dort nicht.

Drittens sind die Vereinigten Staaten dadurch „anders gespalten“ als 1974. Während damals Vietnamkrieg, Watergate, Rassismus und Studentenproteste das Land in den Grundfesten durchrüttelten, gab es immerhin noch ein gemeinsames Verständnis von Wahrheit, innerhalb dessen über die richtige Politik gestritten wurde. Mindestens seit der Trump-Wahl ist dieser Konsens aufgebrochen. Eine inhaltliche Begegnung der Lager findet kaum mehr statt. Genauso wie Konservative überzeugt sind von der Unschuld ihres Präsidenten in der Russland-Affäre, steht für liberale der Schuldspruch fest, unabhängig vom Ermittlungsstand.

Viertens vollzieht sich die Trump-Ära in <link schwerpunkt-des-monats us-zwischenwahlen artikel detail the-big-wahlkampfspender-2954>keinem gesundeten politischen System. Über Jahre wurden Wahlkreisgrenzen manipuliert um die eigenen Erfolgsaussichten zu maximieren. Zudem hat der Einfluss des Geldes auf die Politik, unter anderem in Form von Wahlkampfspenden rapide zugenommen, was die demokratische Legitimation untergräbt. Die Frustration, die damit einhergeht, hemmt die Bildung überparteilicher Gegenkräfte. Bei Richard Nixon setzte die Erosion, das Gemeinwesen erst ein. Die Institutionen der Checks and Balances waren widerstandsfähiger als heute, das Vertrauen in die Politik größer.

Für uns Europäer ist es leicht, mit dem Finger auf die USA zu zeigen. Und doch sollten wir den Fehler nicht machen, uns selbstgerecht als letzte Bastion der liberalen Weltordnung zu begreifen.

Fünftens ist da der „Faktor Trump“. Nixon händigte nach der Entscheidung des Obersten Gerichtshofs verdächtigte Tonbänder an die Behörden aus. Seinem Nachfolger wird dieser Schritt kaum zugetraut. Würde sich der Präsident aber weigern, potentielles Beweismaterial herauszugeben, dann stünden die USA vor einer veritablen Staats- und Verfassungskrise. Auch eine Ablösung durch Zusatzartikel 25 der US-Verfassung, wonach der Vize-Präsident den Präsidenten mit Zustimmung des Kabinetts für amtsunfähig erklären kann, ist unwahrscheinlich. Zu abhängig ist die Partei von Trump und seinen Wählern.

Wie geht es also weiter? Vermutlich wird eine Niederlage der Republikaner bei den Herbstwahlen im November die Lage noch verschärfen. Die Demokraten werden noch mehr Druck auf das Weiße Haus ausüben, etwa in Form eines Amtsenthebungsverfahrens oder der Installation neuer Untersuchungsausschüsse, medienwirksamer Vorladungen inklusive. Der Präsident und sein Team, Fox und InfoWars, werden gegenhalten. Für einen anderen Ausweg wurden in den letzten Jahren zu viele Präzedenzfälle geschaffen. Obstruktion und Polemik gehörten zur Tagesordnung – auf beiden Seiten des politischen Spektrums.

Für uns Europäer ist es leicht, mit dem Finger auf die USA zu zeigen, zu anders und abstrus erscheint die Lage auf der anderen Seite des Atlantik. Und doch sollten wir den Fehler nicht machen, uns selbstgerecht als letzte Bastion der liberalen Weltordnung zu begreifen. Denn das sind wir nicht. Dafür haben wir zu viele Probleme kreiert, im Inneren wie im Äußeren. Wenn es einen Ausweg gibt, dann lautet er mehr, nicht weniger Bescheidenheit, auch in der eigenen Wahrheit. Das intellektuelle Rüstzeug hierzu ist da, insbesondere bei Michel Foucault oder Chantal Mouffe. Das gilt es zu nutzen, für ein soziales Europa.

Dieser Text ist bei Euractiv erschienen.