Die seit Frühjahr 2015 unter UN-Vermittlung laufenden innerzyprischen Verhandlungen für eine Wiedervereinigung der seit 41 Jahren geteilten Insel sind in die entscheidende Phase gekommen. Eine Wiedervereinigung scheint in greifbare Nähe gerückt. Wie kam es dazu?

Im April 2015 kam mit der Wahl des moderaten Politikers Mustafa Akıncı zum Führer der Zyperntürken Bewegung in die festgefahrenen Verhandlungen. Endlich hatte der ebenfalls moderate Präsident der Zyperngriechen Nicos Anastasiadis einen gleichgesinnten Verhandlungspartner. Zudem waren die Sparmaßnahmen, die die Zyperngriechen auf Druck der Troika seit der drohenden Staats- und Bankenpleite von 2013 durchführen mussten, weitgehend vom Parlament verabschiedet worden. Im Parlament war Anastasiadis auf die Unterstützung von Hardlinern in der Zypernfrage abhängig, da seine Koalition keine Mehrheit hat. Auch deshalb war von seiner Seite aus seit seiner Wahl 2013 in der Zypernfrage wenig geschehen. Als dritter Faktor kam noch die Unterstützung des Verhandlungsprozesses durch die Türkei hinzu, die seit der Invasion von 1974 den Nordteil der Insel kontrolliert. Was wir im Moment beobachten, ist der bislang aussichtsreichste Versuch, die Zypernfrage zu lösen.

Wann könnte es soweit sein? Was sind die größten Hindernisse?

Ursprünglich hofften beide Seiten, die Verhandlungen bis Dezember 2015 abschließen zu können. Daraus wurde März 2016. Nun spricht man von Juni. Aber auch dieses Datum ist höchst unsicher. Nach großen Fortschritten sind die Verhandlungen jetzt festgefahren. Die Parteien sind in der Endphase und müssen sich in den strittigsten Fragen einigen. Bislang konnte kein Durchbruch erzielt werden. Es ist sehr gut möglich, dass die Verhandlungen nicht erfolgreich abgeschlossen werden und beide Seiten wieder auf Zeit spielen, da niemand für ein Scheitern verantwortlich gemacht werden will. Gelingt eine Einigung, so werden zwei Referenden auf beiden Seiten über das Schicksal des Kompromisses entscheiden. Hier dürfte eine Zustimmung beider Volksgruppen ebenso schwierig werden, wie es derzeit eine Einigung der Verhandlungsparteien ist.

Was wir im Moment beobachten, ist der bislang aussichtsreichste Versuch, die Zypernfrage zu lösen.

Inhaltlich steht vor allem in der komplexen Frage des Umgangs mit dem Eigentum der 1974 vertriebenen Zyperngriechen noch eine Einigung aus. Der Norden möchte sicherstellen, dass die Bevölkerungsmehrheit dauerhaft zyperntürkisch ist, was sich mit dem EU-Prinzip der Niederlassungsfreiheit nicht verträgt und Einschränkungen der Rechte der Zyperngriechen bedeuten könnte. Umstritten ist auch, ob der Alteigentümer oder der gegenwärtige Nutzer entscheiden kann, ob entschädigt, zurückgegeben oder mit zyperntürkischem Eigentum im Süden getauscht wird. Zudem ist die Milliarden kostende Finanzierung der Entschädigungszahlungen ungeklärt. Uneinigkeit herrscht auch in der Frage einer rotierenden Präsidentschaft, die die Zyperngriechen ablehnen, auf der die Zyperntürken aber bestehen. Das Thema Territorium ist noch weitgehend ungeklärt. Dabei geht es vor allem darum, wie viele und welche Gebiete der Norden an den südlichen Teilstaat zurückgeben wird. Die türkische Regierung besteht darauf, das wichtige Dorf Morphou, das im gescheiterten Lösungsversuch von 2004, dem sogenannten Annan-Plan, noch zurückgegeben wurde, nicht aufzugeben. Ohne eine Rückgabe ist eine Einigung aber nicht vorstellbar. Das Thema Sicherheit wird erst am Ende in einer internationalen Konferenz behandelt werden. Zu den wichtigsten Fragen, die geklärt werden müssen, zählt der Abzug beziehungsweise eine dauerhafte Militärpräsenz der Türkei sowie der Garantiemächtestatus der Türkei, Griechenlands und Großbritanniens. Für die türkische Seite sind ein Fortbestand des Garantiemächtestatus und eine Militärpräsenz Kernforderungen, die die griechische Seite jedoch vehement ablehnt.

Wie würde ein gemeinsamer Staat regiert werden?

Der neue Staat wird als bi-zonale und bi-kommunale Föderation auf der Grundlage politischer Gleichheit der zyperngriechischen Bevölkerungsmehrheit mit der zyperntürkischen Volksgruppe geschaffen werden. Umstritten ist, wie gesagt, ob es eine rotierende Präsidentschaft zwischen beiden Seiten geben wird. Auf Regierungsebene wird bei allen wichtigen Entscheidungen die Zustimmung von zumindest einigen Ministern der anderen Seite notwendig sein. Gleiches gilt für das Parlament, das aus zwei Häusern bestehen wird: einem Senat, mit einer gleichen Anzahl von Mitgliedern beider Seiten, und einem Repräsentantenhaus, das nach Bevölkerungsanteil proportional besetzt sein wird. Auch hier wird die Zustimmung einer bestimmten Zahl von Parlamentariern beider Seiten notwendig sein, um ein Gesetz zu verabschieden.

Für die türkische Seite sind ein Fortbestand des Garantiemächtestatus und eine Militärpräsenz Kernforderungen, die die griechische Seite jedoch vehement ablehnt.

War und ist Deutschland mit seiner Erfahrung der Wiedervereinigung hilfreich für die Zyprioten?

Zusammen mit der Deutschen Botschaft und dem Goethe-Institut hat die Friedrich-Ebert-Stiftung mehrere Veranstaltungen durchgeführt, bei denen Lehren und Erfahrungen der deutschen Wiedervereinigung weitergegeben wurden. Das gilt vor allem in der Eigentumsfrage, aber auch im Bereich Föderalismus, mit dem Zypern ja keinerlei eigene Erfahrungen hat. Im Falle einer Einigung wird sicher auch finanzielle Unterstützung von deutscher Seite erforderlich sein.

Was ist anders als beim Annan-Plan?

Bei den jeweiligen Volksabstimmungen im Jahr 2004 haben die Zyperngriechen den Annan-Plan mit großer Mehrheit abgelehnt, während die Zyperntürken ihn annahmen. Der Plan ist im Süden ein völlig diskreditiertes Dokument. Gleichzeitig ist er aber das Ergebnis von 30 Jahren Verhandlungen. Daher wird unweigerlich vieles ähnlich, wenn nicht gar identisch sein. Allerdings muss eine Einigung deutliche Unterschiede zum Annan-Plan aufweisen, damit die Gegner den Plan nicht als Annan-Plan 2.0 angreifen können. Das ist im Bereich der Judikative und im Fall einer anders strukturierten Exekutive der Fall. Bei der Legislative wird es wohl keine großen Unterschiede geben. Vor allem in Bezug auf den Garantiestatus, die Militärpräsenz und die Eingriffsmöglichkeiten der Türkei muss sich eine Einigung klar vom Annan-Plan unterscheiden. Die Territorialfrage ist noch nicht verhandelt, hier darf die Einigung nicht schlechter sein als 2004. Durch die mögliche Einführung von gemeinsam verwalteten Territorien scheint hier dieses Mal aber sogar eine für die Zyperngriechen deutlich bessere Lösung denkbar.

Was folgt aus dem in Brüssel verabschiedeten EU-Türkei-Flüchtlingsabkommen vom 18. März 2016 für die Zypernfrage?

Anastasiadis stand durch die türkische Forderung, fünf EU-Beitrittskapitel zu öffnen, die von Zypern oder wegen des Zypernkonflikts blockiert sind, unter großem Druck – auch von Seiten der EU-Partner, insbesondere Deutschlands. Es gelang ihm allerdings, sich in dieser Frage durchzusetzen. Es wurde nur ein Kapitel eröffnet und dies war bislang nur von Frankreich blockiert worden. Die Öffnung weiterer Kapitel soll beschleunigt werden, wird aber nicht ohne Zustimmung aller EU-Mitglieder erfolgen können. Mit einer Lösung der Zypernfrage in den nächsten Monaten würde sich das Problem von selbst lösen, worauf wohl alle Beteiligten hoffen. Eine Öffnung von Kapiteln ohne türkische Zugeständnisse hätte Anastasiadis innenpolitisch schwer beschädigt und einen der wenigen Trümpfe, die die Zyperngriechen gegenüber der Türkei in der Hand haben, dramatisch an Wert verlieren lassen.

 

Die Fragen stellte Anja Papenfuß.