Wie wurde Präsident Trumps Ankündigung in Israel aufgenommen? Gibt es auch kritische Stimmen?

Am 6. Dezember hat der US-Präsident im weihnachtlich geschmückten Weißen Haus eine Rede gehalten, in der er Jerusalem als Hauptstadt Israels anerkennt. Diese offizielle Anerkennung wurde von der jüdischen Bevölkerung Israels weitgehend positiv aufgenommen, nicht jedoch von der palästinensischen Minderheit in Israel. Trump setzte sich mit der Anerkennung über jahrzehntelange Prinzipien der amerikanischen Außenpolitik hinweg, welche die Klärung der Statusfrage Jerusalems abhängig machte von den Ergebnissen eines erfolgreichen Friedensprozesses zwischen Israel und den Palästinensern. Er setzte sich damit auch über internationales Recht hinweg, weil im UN-Teilungsplan für Palästina 1947 der Status von Jerusalem als Stadt unter internationaler Kontrolle und offen für alle Religionen festgelegt worden war.

Angesichts der Realitäten in Jerusalem ist die Anerkennung als Hauptstadt nur eine symbolische Handlung. In der Realität funktioniert Jerusalem seit langem als Hauptstadt, alle wichtigen Regierungsinstitutionen sind dort angesiedelt und auch die Knesset, das israelische Parlament. Allerdings können auch symbolische Handlungen beabsichtigte und unbeabsichtigte Wirkungen hervorrufen. Auch wenn die Motivationen des amerikanischen Präsidenten nicht völlig klar sind, warum er gerade jetzt diese Ankündigung vorgenommen hat, kann man doch vermuten, dass es sowohl für ihn als auch für die Regierung Netanyahu primär um innenpolitische Wirkungen ging. Trump hat damit sein Wahlversprechen eingelöst und dafür besonders den Beifall der Evangelikalen bekommen. Netanyahu steht innenpolitisch massiv unter Druck wegen mehrerer polizeilicher Untersuchungen gegen ihn wegen Korruption. Das hat seine Koalition geschwächt und er brauchte dringend ein Erfolgserlebnis.

Unbeabsichtigte Wirkungen könnten sein, dass die USA und Israel ihre mühsam aufgebauten Beziehungen zu den sunnitischen Staaten damit gefährden und Iran in der Region stärken. Es könnte auch dazu führen, dass die Beziehungen der USA und Israels zu Europa und den UN noch schwieriger werden. Und es ist nicht auszuschließen, dass damit der Nahostkonflikt wieder einen höheren Stellenwert in der internationalen Politik bekommt, nachdem es seit Jahren keinen Friedensprozess und keine friedenspolitische Initiative mehr gibt.

Ist die Kritik an Trumps Entscheidung überzogen? Schließlich lässt er offen, ob er Gesamt-Jerusalem als Hauptstadt anerkennen will und schließt auch die Zwei-Staaten-Lösung nicht aus.

Trumps Anerkennung wurde in Israel mit gemischten Gefühlen aufgenommen. Bei der jüdischen Bevölkerung war die vorherrschende Stimmung Genugtuung über diesen Schritt, aber gepaart mit der Befürchtung, dass damit nichts gelöst wird, sondern nur noch mehr Probleme geschaffen werden. Die Menschen fürchten den erneuten Ausbruch von Gewalt und sind besorgt über den Preis, den sie für diesen symbolischen Akt eventuell zahlen müssen. Ihre Sorgen richten sich nicht nur auf die Folgen von Gewalt, sondern auch auf die negativen Auswirkungen für die auswärtigen Beziehungen Israels und mögliche weitgehende Zugeständnisse, die Trump ihnen für seine Anerkennung Jerusalems im nächsten Schritt abverlangen könnte. Deswegen kam es auch nicht zu offenen Freudenausbrüchen auf den Straßen und auch die Demonstrationen gegen Netanyahu gehen weiter. Trump hat in seiner sehr sorgfältig ausgearbeiteten Rede nicht vom ungeteilten Jerusalem gesprochen, sondern eine mögliche Teilung als Ergebnis von Friedensverhandlungen nicht ausgeschlossen. Ebenso bekannte er sich das erste Mal öffentlich zu einer Zwei-Staaten-Lösung. Beides beunruhigt viele Menschen in Israel, obwohl die Netanyahu-nahe Tageszeitung Israel Hayom mit der Schlagzeile aufwartete: Trump hat die grüne Linie ausradiert.

Letztlich bestimmen die Menschen in Jerusalem, Israelis und Palästinenser, wie sie die Zukunft ihrer Stadt gestalten wollen.

Letztlich wird der Status von Jerusalem auch nicht durch die einsame Entscheidung des amerikanischen Präsidenten bestimmt. Im Endeffekt bestimmen darüber die Menschen in Jerusalem, Israelis und Palästinenser, wie sie die Zukunft ihrer Stadt gestalten wollen. Und die Herausforderungen sind groß. Jerusalem ist mit fast 900 000 Einwohnern die größte Stadt Israels. Das Stadtbild wird geprägt von zwei Bevölkerungsgruppen: den Palästinensern, circa 40 Prozent der Bevölkerung, und den ultra-orthodoxen Juden, circa 35 Prozent der Bevölkerung. Die Ultra-Orthodoxen sind die am schnellsten wachsende Bevölkerungsgruppe und werden in einigen Jahren zahlreicher sein als die Palästinenser. Beide Bevölkerungsgruppen gehören zu den Ärmsten in Israel, Jerusalem ist deswegen die ärmste Großstadt im Land. Jerusalem ist auch eine Stadt, die jährlich trotz des hohen internen Bevölkerungswachstums jüdische Einwohner verliert. Diese ziehen entweder in die Siedlungen rund um Jerusalem oder in andere Teile des Landes. Um aus Jerusalem eine prosperierende und international anerkannte Stadt zu machen, wäre es notwendig, dass Israelis und Palästinenser gemeinsam Schritte ergreifen, um Jerusalem als ihre Stadt zu gestalten und eine gemeinsame Vision dafür zu entwickeln.

Die Palästinenser wollen die USA nun nicht mehr als Vermittler im Nahostkonflikt anerkennen. Wer könnte diese Rolle stattdessen übernehmen?

US-Präsident Trump hat sich mit seinen Äußerungen zu stark und einseitig auf die Seite Israels gestellt und damit die Neutralität der USA in Frage gestellt. Von palästinensischer Seite wurden zunächst die Beziehungen ausgesetzt, Vize-Präsident Pence wird bei seinem bevorstehenden Besuch in Israel nicht von Palästinenser-Präsident Abbas empfangen. Aus palästinensischer Sicht reiht sich die Festlegung Trumps ein in andere Aktionen der US-Administration gegen die Palästinenser. Pence wird auch in Ägypten nicht empfangen vom Repräsentanten der koptischen Kirche. Es ist also zunächst ein politisches Vakuum entstanden, denn es gibt niemanden, der die USA ersetzen kann. Die EU ist dazu nicht in der Lage, denn sie ist in dieser Frage gespalten und deswegen nicht handlungsfähig. Dadurch kann eine sehr gefährliche Situation entstehen, vor allen Dingen dann, wenn gewalttätige Aktionen in den palästinensischen Gebieten und den arabischen Staaten zunehmen. Die Stimmung der Bevölkerungen ist traditionell stärker anti-israelisch eingestellt und das kann die arabischen Regierungen dazu treiben, die Beziehungen zu Israel wieder runterzufahren.

Welche Auswirkungen wird die Entscheidung auf die Beziehungen von Israel in der Region haben?

Israel hat in den letzten Jahren große Anstrengungen unternommen, die Beziehungen zu den sogenannten „moderaten“ arabischen Staaten zu entwickeln und hatte auch mit der Türkei eine gewisse Normalisierung der Beziehungen erreicht. Dies wird durch die Entscheidung Trumps in Frage gestellt, die negativen Reaktionen gegenüber Israel waren sehr heftig. Es könnte damit wieder auf einen Status zurückgeworfen werden, der schon überwunden schien. Israel könnte eine negative Entwicklung der Beziehungen abwenden, wenn die Regierung das Heft in die Hand nehmen, konkrete Schritte und Vorschläge für die Aufnahme von Friedensverhandlungen machen und das Bekenntnis zur Zwei-Staaten-Lösung in konkrete Politik umsetzen würde. 

Die Fragen stellten Joanna Itzek und Hannes Alpen.