Die Fragen stellte Nikolaos Gavalakis.
In Myanmar hat das Militär nach einem Putsch die Führung übernommen und die De-facto-Regierungschefin Aung San Suu Kyi und ihre Administration entmachtet. Was ist genau passiert und wie ist die Lage vor Ort?
Der Putsch hatte sich schon seit einigen Tagen angekündigt, wurde jedoch von den meisten Beobachtern als unwahrscheinlich betrachtet. Nachdem Verhandlungen zwischen dem Militär und der Regierung gescheitert waren, bei denen es darum ging, das Ergebnis der Novemberwahlen auf Wahlbetrug zu untersuchen, hatte die Militärführung ein Ultimatum bis Sonntag gestellt. Die Regierung ist darauf nicht eingegangen. In verschiedenen Städten wurden dann als Machtdemonstration auf den zentralen Plätzen Panzerfahrzeuge aufgestellt. Montag früh blockierte das Militär das Parlament und verhaftete hochrangige Regierungsmitglieder, so auch Aung San Suu Kyi. In den Morgenstunden waren alle digitalen und analogen Kommunikationsmittel ausgeschaltet, sodass viele in der Bevölkerung erst spät von den Vorkommnissen erfuhren. Generell ist die Lage in der größten Stadt Yangon ruhig. Die meisten Menschen gehen ihrem täglichen Leben unter Corona-Bedingungen nach.
Was sind die Gründe für den Staatsstreich und warum haben die Militärs gerade jetzt gehandelt?
Der Zeitpunkt war durch das von dem Militär gestellte Ultimatum bedingt, dass direkt vor der konstituierenden Sitzung der Parlamente angesetzt war. Die Forderung war, die Resultate und Verfahren der Novemberwahlen offenzulegen. Schon vor den Wahlen wurden in lokalen Medien Stimmen laut, die die mangelnde Transparenz der Union Election Commission beklagten. Insbesondere die Zusammensetzung der Wählerlisten warf Fragen auf. Die militärnahe Partei USDP hatte bei der Wahl ungewöhnlich schlecht abgeschnitten. Über die Gründe für die starke Reaktion lässt sich nur spekulieren. Fakt ist, dass zwischen Regierung und Armee kaum Beziehungen existieren. Es fehlt komplett an Kommunikation und Kooperation bei kritischen Themen. Aus diesem Zustand ist dann ein Machtkampf resultiert, bei dem das Militär jetzt seine Version des Status quo wiederhergestellt hat.
Der Putsch hatte sich schon seit einigen Tagen angekündigt, wurde jedoch von den meisten Beobachtern als unwahrscheinlich betrachtet.
Aung San Suu Kyi hat laut Berichten aus ihrem Arrest bereits zu Protesten gegen den Militärputsch aufgerufen. Die Parlamentswahlen im November hatten die Freiheitsikone und ihre Partei NLD haushoch gewonnen – über 80 Prozent der freien Sitze im Unter- und Oberhaus gingen an sie. Ist nun mit Massendemonstrationen im Land zu rechnen?
Die Berichte über solche Aufrufe sind mit Vorsicht zu genießen. Bisher gibt es keine Belege, dass Aung San Suu Kyi solche Aufrufe verfasst hat. Vielmehr wird vermutet, dass sie zu Zurückhaltung und passivem Widerstand rät. In den sozialen Medien kursieren zurzeit viele Gerüchte und Falschmeldungen. Es wäre tragisch, wenn solche Meldungen zu Unruhen führten. Das Militär hat sich zumindest in seinen öffentlichen Bekanntgaben zu keinen rigorosen Maßnahmen bekannt, sofern es nicht zu Unruhen kommt. Die für Putsche üblichen Restriktionen wie Ausgangssperren sind aufgrund der Corona-Beschränkungen bereits in Kraft und wurden zeitlich ausgeweitet.
Das Militär hat zunächst angekündigt, für ein Jahr die Regierungsgeschäfte zu übernehmen. Nach der Prüfung der Wahl sollen dann Neuwahlen stattfinden. Aufgrund der verschiedenen Machtzentren im Land – basierend auf alten Eliten und Konzernen, die zum Teil den sogenannten Cronies zuzuschreiben sind – gibt es inzwischen starke Interessen, das öffentliche Leben und Myanmars internationale Einbindung nicht zu riskieren. Daher wird die Regierungsnahme wohl vorerst nach den in der Verfassung von 2008 detailliert vorgeschriebenen Vorgaben durchgeführt werden. Dort steht, dass das Militär das Recht hat, den Ausnahmezustand auszurufen, wenn Aktivitäten auftreten, die die Einheit des Landes gefährden. Zu den in der Verfassung skizzierten Verfahren gehören die Abgabe der Regierungsgeschäfte an den Oberbefehlshaber der Armee sowie die Auflösung des Parlaments. Selbstverständlich lässt sich trefflich darüber streiten, was ein legitimer Anlass ist.
Unter der jahrzehntelangen Militärregierung war Myanmar international geächtet. Die Vereinten Nationen, die EU, die USA und andere Länder haben die Machtübernahme der Militärs und die Aufhebung der Gewaltenteilung bereits verurteilt. Steht nach den zaghaften Demokratisierungs- und Reformprozessen der letzten zehn Jahre eine erneute Isolation des Landes bevor?
Das ist nicht zu hoffen. Es wurden stets große Hoffnungen in das Land und in Einzelpersonen gesetzt, die angesichts der Situation und des Zeitraumes nicht realisierbar waren. Inzwischen haben sich einige Akteurskonstellationen verändert und die Trennlinien sind oft nicht mehr so scharf, wie es noch vor fünf Jahren der Fall war. Eine erneute internationale Ächtung würde in erster Linie die Bevölkerung treffen, die durch die Geschwindigkeit des wirtschaftlichen Wandels und der damit verbundenen Ungewissheiten bereits stark unter Druck steht. Zurzeit sind gut durchdachte Strategien notwendig, um das Militär zu einem raschen Handeln innerhalb seiner eigenen Vorgaben zu bewegen. Eine Ausgrenzung Myanmars, das unter Corona-Bedingungen bereits unter den mangelnden Liefer- und Wertschöpfungsketten leidet, triff die Falschen, würde vielen die Hoffnung nehmen und den Nationalismus, den es inzwischen in beiden Lagern gibt, beflügeln.