Die Fragen stellte Nikolaos Gavalakis.
Die Nominierung von Kamala Harris als Präsidentschaftskandidatin hat die Partei energetisiert. Vergleiche mit Barack Obama machten bereits die Runde. Wie war die Stimmung auf dem Parteitag?
Die Atmosphäre auf dem Parteitag war großartig. Nicht nur für einen Beobachter wie mich, der ein solches Spektakel zum ersten Mal erlebte, sondern auch für diejenigen, die schon häufiger dabei gewesen waren. Es fand ein rhetorisches Feuerwerk der Superstars der demokratischen Partei statt. Die Clintons, die Obamas, auch Oprah Winfrey begeisterten das Publikum mit ihren Reden. Die demokratische Partei gab einen geschlossenen Eindruck ohne Flügelkämpfe: alle für Präsidentschaftskandidatin Kamala Harris und ihren Vize Tim Walz.
Die Leiterin der Delegiertengruppe aus Minnesota, also aus dem Staat, aus dem Gouverneur Tim Walz kommt, sagte mir, dass die Stimmung dieses Parteitages die vom ersten Obama-Wahlkampf 2008 noch übertreffe. Eine solche Energie soll sich auf die Wahlkampfbüros in den ganzen USA übertragen.
Gute Indikatoren sind die eingenommenen Wahlkampfspenden, die Anzahl der Volontäre und die Umfrageergebnisse. Harris hat seit dem Beginn ihrer Kampagne bemerkenswerte 204 MillionenUS-Dollar eingesammelt, ihr Gegner Donald Trump in dieser Zeit nur vergleichsweise bescheidende 48 Millionen. Die Anzahl der Volontäre hat deutlich zugenommen, so die Aussagen der Delegierten, mit denen ich sprechen konnte. Und zudem fallen die Umfragen deutlich positiver aus als in den letzten Wochen unter der Biden-Kandidatur. Harris hat nun mindestens aufgeschlossen zu ihrem Konkurrenten, einige Institute sehen sie sogar im leichten Vorteil.
Gleichwohl wurde Donald Trump deutlich als Gefahr für die Demokratie in den USA und für die Sicherheit international gezeichnet. Ihm werden nicht mehr in erster Linie einzelne Lügen vorgeworfen oder die Erniedrigungen der demokratischen Konkurrenz. Die Demokraten stellen ihn als schwachen, egoistischen und am Gemeinwohl uninteressierten Politiker dar. Dagegen setzen die Demokraten Kamala Harris als harte Generalstaatsanwältin mit dem Slogan „Für das Volk“ in Szene und Coach Walz als Gouverneur des Bundesstaates Minnesota und als bodenständigen Ex-Football-Trainer.
Welche Einblicke hat Harris in ihr Programm gegeben? Auf welche Themen setzt sie besonders?
Parteitage in den USA sind nicht programmatisch, sondern emotional. Es geht um die Beantwortung der wichtigsten Frage der Wählerinnen und Wähler: Wer kämpft für mich? Ist die Person glaubwürdig? Dabei ist der Lebensweg der Kandidatin oder des Kandidaten wichtig, die Glaubwürdigkeit und das bisher Geleistete. Diese positive Definierung vor allem von Kamala Harris, aber auch von Tim Walz, der in der Bevölkerung national recht unbekannt ist, war die Aufgabe des Parteitages. Auch, um einer negativen Charakterisierung von Seiten der Republikaner zuvorzukommen.
Es geht vielmehr um die Prägnanz und die Einprägsamkeit einzelner Aussagen, die dann in den sozialen Medien und von Influencern weitläufig verbreitet werden.
Aber natürlich fehlt die Programmatik nicht komplett. Die 2024 Democratic Party Plattform, geschrieben noch vor dem Rücktritt von Joe Biden als Präsidentschaftskandidat, ist eine Art von Parteiprogramm. Es listet neun Kapitel auf 92 Seiten auf. Aber bei den Reden wird auf sie nicht verwiesen. Es geht vielmehr um die Prägnanz und die Einprägsamkeit einzelner Aussagen, die dann in den sozialen Medien und von Influencern weitläufig verbreitet werden. Ein Abgeordneter bestätigte ganz offen, dass es auf zwei oder drei entscheidende Aussagen ankommt, die die thematische Grundlage darstellen und an die sich die Partei dann auch hält. Bei Harris sind es die Abtreibungspolitik – die Freiheit über den eigenen Körper – und die Wirtschaftspolitik für die arbeitende Bevölkerung, also nicht nur für die Arbeiterschaft, sondern auch die Mittelschicht.
Wie genau das geschehen soll? In einer ersten programmatischen Rede als Kandidatin vor dem Parteitag hat sie einen ersten Einblick in ihre wirtschaftlichen Positionen gestattet. Dabei fixiert sie sich eher auf die Reduzierung von Preisen, während sich Bidens Wirtschaftspolitik auf den großen Rahmen, also Arbeitsplatzschaffung, konzentriert hat. Ökonomisch nicht klug, sagen Wirtschaftsexperten, weil das Versprechen kaum umzusetzen ist. Denn wie sollen hohe Preise für lebensnotwendige Preise gedeckelt werden in einer so freien Marktwirtschaft wie der der USA? Und dennoch sagen sie, dass die Aussagen politisch klug seien, weil es zeige, dass die Demokraten das Problem erkannt haben.
Mehr Lob erfährt sie für Ideen zum erschwinglichen Wohnungsbau, der ein weiteres großes Problem ist in einem Land, wo Menschen Wohnraum überwiegend kaufen, statt mieten. Dabei geht es um die Unterstützung von Unternehmen, die kleine Häuser preiswert anbieten können. Und zum anderen um günstige Kredite für Menschen, die zum ersten Mal ein Haus kaufen wollen. In ihrer starken Rede auf dem Parteitag sprach Kamala Harris über einen neuen Weg der USA in die Zukunft. Sie strebe eine Wirtschaft der Möglichkeiten an, um die Mittelschicht zu stärken.
Eine zentrale Herausforderung für Harris scheint es zu sein, sich wo nötig von Biden zu distanzieren – in etwa mit Blick auf die hohen Lebenshaltungskosten und die Inflation – und gleichzeitig von den Regierungserfolgen zu profitieren, also etwa von der niedrigen Arbeitslosenquote sowie den Investitionen in Infrastruktur, Chips-Herstellung und in saubere Energie. Ein unmöglicher Spagat?
Der Parteitag hatte genau dieses Ziel – auf der einen Seite Präsident Joe Biden zu danken und auf der anderen Seite ein neues Kapitel, das Harris-Kapitel aufzuschlagen. Aus diesem Grund trat Präsident Joe Biden schon am ersten Tag des Parteitages auf. Er wurde gefeiert, neben seinem Verdienst, gegen Donald Trump 2020 mit einem Rekordergebnis von etwa 81 Millionen Stimmen gewonnen zu haben, auch für seinen Rückzug von einer zweiten Amtszeit.
Egal ob Michelle und Barack Obama, Oprah Winfrey oder die Reden des Vizes und der Kandidatin: Sie wandten sich nicht explizit ab von der bisherigen Biden-Harris-Politik. Stattdessen konzentrierten sie sich auf die in der demokratischen Partei so wichtigen Themen wie Abtreibung und Wirtschaft. Gerade dort ist die Kritik des Volkes am größten aufgrund der hohen Kosten für notwendige Konsumgüter: Grundnahrungsmittel, Fastfood, Arzneimittel und Benzin.
Eine allein auf sich gerichtete Wirtschaftspolitik mit hohen Strafzöllen wird den USA mittel- und langfristig nicht helfen.
Eine mögliche Präsidentin Harris müsste zudem erreichen, dass die internationalen Wirtschaftsbeziehungen wieder stabiler werden. Eine allein auf sich gerichtete Wirtschaftspolitik mit hohen Strafzöllen wird den USA mittel- und langfristig nicht helfen. Deshalb sprechen Demokraten auch nicht mehr nur von De-Coupling, sondern auch von De-Risking, wenn es um die Wirtschaftsbeziehungen zu China geht.
Um Trump zu schlagen, muss Harris eine breite Wählerschaft von gebildeten Wählern in den Küstenstaaten bis hin zu Wählerinnen und Wählern ohne Hochschulabschluss – insbesondere in den Swing States – überzeugen. Wie kann ihr das gelingen?
Der Spagat, sowohl die gut als auch die weniger gut ausgebildeten Menschen mit einem Programm zu überzeugen, ist eine altbekannte und unausweichliche Dehnung. Neben der oben genannten Konzentration auf die konkreten Herausforderungen der Wirtschaft für die Bürgerinnen und Bürger der USA – die von Biden erarbeiteten Rahmenbedingungen sind von Fachleuten ja als insgesamt erfolgreich bezeichnet worden – geht es auch um die Definition des politischen Ziels der kommenden Jahre. Dabei streben die Demokraten nicht nur die Präsidentschaft an, sondern auch den Beginn einer langfristigen Politik. Es soll und muss fairer zugehen in den USA, wie die Linke Politikerin Alexandria Ocasio-Cortez in ihrer Rede forderte.
Kamala Harris könnte diesen Neuanfang gut vermitteln, so die Hoffnung der Demokraten, weil zum ersten Mal seit 1981 – als George BushRunning Mate von Ronald Reagan war – kein Politiker oder keine Politikerin der Familien Bush, Clinton oder Trump zu Wahl stehen. Mit 59 Jahren ist Harris eine junge Kandidatin, insbesondere im Vergleich zum 78-jährigenDonald Trump. Man traut ihr zu, nicht nur innenpolitisch, sondern auch außenpolitisch starke politische Akzente zu setzen und damit eine Bewegung zu begründen, die die demokratische Partei für viele Jahre ins Weiße Haus tragen könnte.
Was kann Europa von einer Präsidentin Harris – insbesondere mit Blick auf den Krieg in der Ukraine – erwarten?
Bisher spielt Außenpolitik in der thematischen Aufstellung von Kamala Harris nur eine untergeordnete Rolle, wie übrigens bei allen Reden auf dem Parteitag. Eine außenpolitische Harris-Doktrin ist bisher nicht formuliert worden. Gleichwohl bemühten sich um den Parteitag herum Politikerinnen und Politiker sowie Expertinnen und Experten ein wenig Durchblick zu schaffen. Demnach wird die demokratische Partei auch in Zukunft auf internationale Organisationen wie die Vereinten Nationen setzen, allerdings mit dem Ansatz, diese für die neuen Herausforderungen zu reformieren.
In diesem Umfeld werden die USA als militärische Supermacht agieren, aber nicht allein, sondern nur mit Partnern.
Und diese sind mit den Akteuren China, an erster Stelle, aber auch Russland, Iran und Nordkorea deutlich größer geworden. In diesem Umfeld werden die USA als militärische Supermacht agieren, aber nicht allein, sondern nur mit Partnern. Der bisherige Sicherheitsberater von Harris, Philip Gordon, ist ein bekennender Transatlantiker, die Financial Times bezeichnet ihn als „außenpolitischen Pragmatiker“. Er hat bis dato keinen Zweifel an der Unterstützung der Ukraine gelassen. Was das Verhältnis zur EU betrifft, so befürwortet er eine größere Autonomie der EU und eine bessere Arbeitsgrundlage, was die Kostenverteilung bei der militärischen Zusammenarbeit mit den USA betrifft. Das wäre die zu erwartende außenpolitische Veränderung gegenüber der Biden-Präsidentschaft.
Der Parteitag wurde von propalästinensischen Demonstrationen gegen die Unterstützung Israels durch die Biden-Regierung begleitet. Welche Rolle spielt der Nahost-Konflikt im Wahlkampf?
Die Gelände um den Parteitag selbst, der in der United Arena stattfindet, in der sonst die berühmten Basketballer von den Chicago Bulls spielen, sowie um ausgewählte Hotels, in denen die Delegierten und die Parteigranden der Demokraten abgestiegen sind, war in allen vier Tagen des Parteitages weitläufig und mit viel Präsenz des Secret Service abgesichert. Zum einen aufgrund der Sicherheitslücken, die das Attentat auf Donald Trump erst ermöglichten, zum anderen aus Furcht vor großen Demonstrationen gegen den Krieg im Gaza-Streifen. Gerade Präsident Joe Biden wurde vorgeworfen, sich nicht energisch genug für einen Frieden zwischen Israelis und Palästinensern eingesetzt zu haben.
Der Konflikt steht jedoch nicht an erster Stelle der Wählerinnen und Wähler, dazu sind die Herausforderungen der Wirtschaft zu groß. Aber der Konflikt hat in der Tat auch innenpolitische Komponenten. Eine davon ist, dass der Bundesstaat Michigan eine große arabisch-amerikanische Bevölkerung hat. Biden konnte den Staat 2020 gewinnen. Ohne einen Sieg in Michigan wird es schwierig für die Demokraten, die nationalen Wahlen im November zu gewinnen.
Kamala Harris hat sich deutlicher zu dem Thema geäußert. Sie hat die Achtung der Menschenrechte in dem Konflikt eingefordert – und das gegenüber Israel. Vielleicht ein Grund, warum die Demonstrationen deutlich kleiner und friedlicher ausfielen. Gleichzeitig hat sie klar Israels Recht auf Verteidigung unterstrichen. Auf dem Parteitag forderte sie ein Geiselabkommen, einen Waffenstillstand und eine friedliche und sichere Zukunft für Palästina.