Ist der Kalte Krieg zurückgekehrt?
Natürlich befinden wir uns wieder in einer antagonistischen Phase. Das bedeutet aber nicht automatisch, dass wir in die Zeit des Kalten Krieges zurückfallen. Die Natur des Konfliktes ist heute anders. Die Rollen, die vor 30 Jahren Nuklearwaffen oder Flugzeugträger gespielt haben, werden heute von Bezahlsystemen wie Visa oder Mastercard eingenommen. Russische Banken aus dem Finanzsystem auszuschließen, ist heute ein viel wirksameres Mittel als Kriegsschiffe ins Schwarze Meer zu entsenden. Der Konflikt wird also ganz anders ausgetragen. Aber die generelle Stimmung, vor allem zwischen Russland und den USA, ist bedauerlicherweise der Atmosphäre des Kalten Krieges sehr ähnlich.
Die generelle Stimmung, vor allem zwischen Russland und den USA, ist bedauerlicherweise der Atmosphäre des Kalten Krieges sehr ähnlich.
Die Ukraine-Krise und die überwältigende Euphorie in Russland über die Wiederaneignung der Krim ist das Ergebnis eines Gefühls, das viele Russen – nicht nur Putin – nach 1991 hatten. Diese Periode wurde als Phase eines dauerhaften politischen Rückzugs empfunden, in der sich der Westen eine Trophäe nach der anderen nahm. Als Russland, zunächst 2008 in Georgien und nun auf der Krim, dagegen hielt, wurde das als Ende einer Ära wahrgenommen, in der Russland als unterlegenes Land behandelt wurde und sich auch selbst so wahrnahm. Deshalb wurde in der Ukraine aus einer lokalen eine globale Krise.
Die Politik westlicher Organisationen, sowohl der USA als auch der EU, verwandelte die Ukraine-Frage zu einem hochumstrittenen Thema. Viele im Westen verstanden zwar, dass Russland über eine mögliche NATO-Mitgliedschaft der Ukraine nicht besonders glücklich sein würde. Man ging aber davon aus, dass Moskau dies – wie bereits im Fall von Polen und Litauen – knurrend akzeptieren würde. Ich habe versucht, meinen amerikanischen und europäischen Kollegen klar zu machen, dass im Fall der Ukraine eine komplett andere Sachlage besteht. Die Ukraine hat für Russland historisch einen ganz anderen Stellenwert. Mittlerweile verstehen die meisten Leute im Westen das etwas besser. Damals jedoch dachte man, die Westanbindung der Ukraine wäre nur ein weiterer logischer Schritt der Ostexpansion westlicher Institutionen.
Strebt Wladimir Putin nach einer anderen Weltordnung mit einem Machtzentrum in Russland wie zu Zeiten der Sowjetunion?
Sicherlich nicht. Die Sowjetunion war damals eine von zwei existierenden Weltmächten. Diesen Status wiederzuerlangen ist unmöglich, nicht nur weil Russland heute viel geringere Fähigkeiten besitzt, sondern auch weil die Welt eine andere ist. Die bipolare Konfrontation ist Geschichte. Putins Ziel ist es, Russland zu einem Machtzentrum von mehreren zu machen. Mit einer Sphäre vitaler Interessen, die von anderen akzeptiert wird. Es geht nicht um die Wiedererrichtung der Sowjetunion, aber es ist ein Versuch Territorien abzustecken, in denen keine andere Macht so tun kann, als ob Russland nicht existiere.
Es geht nicht um die Wiedererrichtung der Sowjetunion, aber es ist ein Versuch Territorien abzustecken, in denen keine andere Macht so tun kann, als ob Russland nicht existiere.
Leider wurde die Ukraine zu einem Feld, auf dem dieser Kampf ausgetragen wird. Da die Ukraine innenpolitisch extrem verwundbar und heterogen ist, entwickelte sich diese Auseinandersetzung zu einer Tragödie. Natürlich haben außenstehende Kräfte den Konflikt angeheizt, aber die Streitigkeiten und Gegensätze waren bereits vorhanden. Letztlich hat es die ukrainische politische Klasse nicht geschafft, eine funktionierende nationale Identität zu kreieren.
Welche Fehler hat der Westen gemacht? Wäre es möglich gewesen, die Krise in einem regionalen Rahmen zu halten und den jetzigen Antagonismus zu vermeiden?
Der Konflikt wäre sicherlich vermeidbar gewesen. Der grundsätzliche Fehler aller Beteiligten lag darin, dass sich im vergangenen Jahr die Annahme durchsetzte, die Ukraine müsse sich zwischen der EU und dem Assoziationsabkommen einerseits und Russland und der Eurasischen Zollunion andererseits entscheiden.
Trotz aller Kritik an Putin und Moskau: Bis zum Sommer letzten Jahres hatte sich Russland nicht öffentlich gegen eine Annäherung der Ukraine an die EU ausgesprochen. Die russische Position war vielmehr die, einen gemeinsamen Raum zu schaffen, der auf koordinierten und für beide Seiten akzeptablen Regeln basiert. Der erste der meinte, die Ukraine könne nicht selbst entscheiden, war EU-Kommissionspräsident Barroso. Er sagte damals, die Ukraine könne nicht das Assoziationsabkommen unterzeichnen und gleichzeitig eine formale, privilegierte Beziehung mit der Eurasischen Zollunion eingehen. Das war für die Ukraine desaströs. Ein Land mit einer so komplexen ethnischen Zusammensetzung sollte sich schlichtweg nicht entscheiden müssen.
Wie kann eine Aussöhnung zwischen dem Westen und Russland mittelfristig gelingen?
Eine Beilegung der Krise ist prinzipiell möglich. Und ich hoffe, dass dies bald geschieht. Dafür muss die Ukraine jedoch ihr politisches System ändern – hin zu einer stärkeren Dezentralisierung. Die politische Macht muss breit gestreut sein. Interessensgruppen müssen daran gehindert werden, anderen ihre Entscheidungen aufzuzwingen. Sowohl Janukowitsch als auch seine Nachfolger haben diesen Fehler begangen. Sie haben versucht, das gesamte Land nach den Interessen einer kleinen Gruppe zu regieren.
Die USA und Russland befinden sich wieder in der Stimmung des Kalten Krieges. Diese Wahrnehmung wird sich nicht ändern - selbst wenn eine Lösung in der Ukraine gefunden werden kann.
Eine Aussöhnung zwischen dem Westen und Russland wird es kurzfristig nicht geben. Die USA und Russland befinden sich wieder in der Stimmung des Kalten Krieges. Das kommt in einer gegenseitigen Containment-Politik zum Ausdruck. Diese Wahrnehmung als Gegner wird sich nicht ändern - selbst wenn eine Lösung in der Ukrainefrage gefunden werden kann. Der Antagonismus wird daher für eine lange Zeit fortbestehen. Ob wir später einen neuen Weg des Zusammenlebens finden, kann man nur hoffen. Sicher ist dies jedoch nicht.
Kann Deutschland hier als Vermittler agieren?
Ich denke kaum. Aber Deutschland kann aktiver seine eigenen Interessen vertreten. Es liegt eindeutig in Deutschlands Interesse, besondere Beziehungen zu Russland zu unterhalten. Berlin wird zukünftig mit großen Herausforderungen konfrontiert werden, weniger durch die Ukrainekrise, als vielmehr durch die Transformation Europas, in dem Deutschland momentan leider das einzige Land ist, das aktiv gestalten kann. Weder Frankreich, noch Großbritannien oder ein anderer Staat sind dazu in der Lage. Die deutsche Politik ist zwar nicht gerade erpicht darauf - und auch nicht bereit - diese Last zu tragen, aber sie hat keine andere Wahl. In dieser Hinsicht sind gute Beziehungen zu Russland eine der Säulen, auf denen die deutsche Führungsrolle in Europa basieren sollte.
Das Gespräch führten Nikolaos Gavalakis und Cedric Koch.
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Einzelheiten
http://www.sueddeutsche.de/wirtschaft/putin-plaedoyer-fuer-wirtschaftsgemeinschaft-von-lissabon-bis-wladiwostok-1.1027908