Das Regime von Baschar al-Assad konnte in seiner Offensive vom Februar 2016 bedeutende militärische Erfolge erzielen, unterstützt durch russische Luftangriffe, iranische Kommandeure, schiitische Milizen aus dem Irak und die libanesische Hisbollah. Im Windschatten dieser Offensive sind die Volksverteidigungseinheiten (YPG) der syrischen Kurden in bisher von Rebellen gehaltene Städte und Ortschaften im Nordwesten Syriens vorgestoßen. Damit geraten die Kurden nicht nur in die bis dato gefährlichste Konfrontation mit den syrischen Rebellen, sondern haben damit auch eine von der Türkei erklärte rote Linie überschritten: Ankara will ein territorial vereinigtes „Syrisch-Kurdistan“ um jeden Preis verhindern und hat begonnen, die YPG mit Artillerie ins Visier zu nehmen. Der Vorstoß der YPG findet mit Unterstützung der USA statt. Seit Oktober 2015 haben die Vereinigten Staaten ihre Waffenlieferungen an die YPG erhöht und geraten damit in Konflikt mit den Interessen der Türkei. Denn die Türkei betrachtet die YPG als eine Terrorgruppe.

Durch sein Unabhängigkeitsstreben zieht Barzani nicht nur den Unmut der Regierung in Bagdad auf sich, sondern auch der arabischen Bevölkerung Iraks und der Türkei.

Im Irak hat der Präsident der Autonomen Region Kurdistan, Masud Barzani, Anfang Februar erneut ein Unabhängigkeitsreferendum angekündigt. Barzani versucht mit diesem außenpolitisch wirksamen Vorstoß, die politischen Kräfte der Autonomen Region hinter sich zu versammeln, die in letzter Zeit gegen die Herrschaft seiner Demokratischen Partei Kurdistans (DPK) aufbegehrten. Durch sein Unabhängigkeitsstreben zieht Barzani nicht nur den Unmut der Regierung in Bagdad auf sich, sondern auch der arabischen Bevölkerung Iraks und der Türkei, die alle der Idee einer kurdischen Unabhängigkeit ablehnend gegenüberstehen. In der Türkei ist die Gewalt zwischen dem türkischen Staat und der Arbeiterpartei Kurdistans (PKK) wieder aufgeflammt. Die Kurden stehen aber nicht nur mit ihren Nachbarn im Widerstreit. Auch in ihren eigenen Reihen gibt es Auseinandersetzungen, die eskalieren könnten. Von Homogenität kann also weder im Fall der syrischen noch der irakischen Kurden gesprochen werden. Dennoch erhalten die Peschmerga der Autonomen Region Kurdistan im Nordirak und die Partei der Demokratischen Union (PYD) in Syrien, samt ihrem bewaffneten Arm, der YPG, umfangreiche Unterstützung.

 

Tiefe Gräben

Nachdem der „Islamische Staat“ (IS) im Sommer 2014 in einer Blitzoffensive weite Teile des Iraks eroberte, begann Deutschland mit der Bereitstellung von Waffen, Ausrüstung und Ausbildern für die bewaffneten Einheiten der Autonomen Region Kurdistan. Die Peschmerga werden zwar als Streitkräfte der Autonomen Region bezeichnet, unterstehen jedoch im Wesentlichen zwei Parteien: der Kurdisch-Demokratischen Partei (KDP) Barzanis und der Patriotischen Union Kurdistans (PUK) unter Jalal Talabani. Beide Parteien verbindet eine jahrzehntelange Geschichte wechselnder Allianzen und Kriege. Zwischen den den Parteien zugehörigen Peschmerga-Gruppen herrscht Rivalität, die sich auch territorial ausdrückt. Während der Norden der Region vornehmlich unter Einfluss der Kurdischen Demokraten steht, herrscht die Patriotische Union im Süden. Zwar haben Barzani und Talabani einen verhältnismäßig stabilen Ausgleich erreicht, welcher der gesamten Region — nicht zuletzt dank Einnahmen durch den Ölverkauf — zu mehr Wohlstand und Sicherheit verholfen hat. Das Bündnis ist jedoch nach wie vor brüchig. Es wird begleitet von Konflikten innerhalb der Peschmerga sowie politischen Auseinandersetzungen, die im Oktober 2015 selbst in Erbil, der traditionellen Hochburg der Kurdischen Demokraten, zu Protesten führten.

Die Unstimmigkeiten unter den Kurden im Irak finden ihre Entsprechung in Syrien.

Die Unstimmigkeiten unter den Kurden im Irak finden ihre Entsprechung in Syrien. Die wichtigsten Akteure sind der Barzani nahestehende Kurdische Nationalrat (KNC) und die Partei der Demokratischen Union (PYD). Barzani erreichte auch hier ein Arrangement. Letztlich übt die PYD dank ihres unangefochtenen bewaffneten Arms, der YPG, jedoch den größten Einfluss aus. Entsprechend stärkt die umfassende Unterstützung der YPG durch die USA deshalb den politischen Anspruch der PYD, die ihre eigene Agenda verfolgt. Beispielhaft für die ideologischen Gräben sind Auseinandersetzungen über die von der PYD neu herausgegebenen Schulbücher. Sie enthielten zahlreiche Bilder von Abdullah Öcalan, dem inhaftierten Führer der PKK. Die PYD sieht Öcalan als ideologischen Führer an. Auf vielen Uniformen der YPG finden sich Abzeichen mit Öcalans Konterfei.

 

Beschränkte Ambitionen — Begrenzte Legitimität

Die zutiefst gespaltenen kurdischen Akteure eint jedoch der lang gehegte Traum einer kurdischen Autonomie. Gerade deshalb reichen die Ambitionen der Kurden nicht über die von ihnen beanspruchten Gebiete hinaus. In diesen Gebieten haben sie maßgebliche Erfolge gegen den IS erzielen können: der symbolträchtige Sieg in Kobanê im Januar 2015, die Eroberung der Grenzstadt Tal Abyad im Juni, die erfolgreiche Offensive in Sinjar im November und die Vertreibung der Dschihadisten aus weiten Teilen Kirkuks im Laufe des Jahres 2015. Die größten Teile, die der IS erobert hat, befinden sich jedoch in sunnitisch dominierten Regionen außerhalb der kurdischen Einflusssphäre und anerkannten Legitimität. Die YPG wird genauso wenig auf Raqqa, die selbsternannte Hauptstadt des IS in Syrien, marschieren wie die Peschmerga auf Falludscha im Zentralirak. Sowohl der YPG als auch den Peschmerga werden Menschenrechtsverletzungen, Vertreibung und die Zerstörung arabisch bewohnter Ortschaften vorgeworfen — die Vorstellung einer demokratischen Befreiungsarmee ist eine Illusion.

Der IS wird sich nur in Zusammenarbeit mit den Sunniten Syriens und des Iraks effektiv bekämpfen lassen.

Der IS wird sich nur in Zusammenarbeit mit den Sunniten Syriens und des Iraks effektiv bekämpfen lassen. Wie das geht, hat die syrische Opposition bereits 2014 vorgemacht, als sie den IS aus mehreren Provinzen vertrieb. Angesichts des fortgesetzten Krieges mit dem Assad-Regime, der den Dschihadisten laufend neue Rekruten beschert, verfügt die syrische Opposition jedoch nicht über die Kapazitäten für eine umfassende Kampagne. Im Irak sehen sich die marginalisierten Sunniten einer schiitisch-iranisch dominierten Regierung ausgeliefert, deren Streitkräfte mittlerweile von für ihre Gräueltaten gegen Sunniten berüchtigten Milizen dominiert werden. Die sunnitischen Akteure erhalten keine Hilfe zur Selbsthilfe und unterwerfen sich, wohl oder übel, der Herrschaft des IS, der eine eigenwillige Form von Sicherheit gewährt.

Die Kurden sind zwar Teil des regionalen Gefüges, doch weder ihre Legitimität noch ihre Ambitionen reichen wesentlich über ihre Siedlungsgebiete hinaus. Unterstützung ist, wie so oft, ein Nullsummenspiel: Die erhöhten Waffenlieferungen an die YPG gingen mit einer Abwendung der USA von den syrischen Rebellen einher. Auch die Frage, ob und wen die deutsche Bundesregierung im Kampf gegen den IS unterstützen soll, ist seit der Präsenz von Ausbildern der Bundeswehr im Nordirak nicht weiter thematisiert worden. Unbeachtet bleibt das Schicksal der Sunniten beider Länder, die den IS überwiegend als Besatzungsmacht ihrer Siedlungsgebiete ablehnen und der Schlüssel zum Kampf gegen die Dschihadisten sind. Die Kurden können und wollen diese Aufgabe nicht übernehmen.