Die Eskalation des jemenitischen Aufstandes, der das saudische Königreich zu einer militärischen Intervention motiviert hat, kam selbst für Kenner überraschend. Mittlerweile warnen Beobachter fast einhellig vor einem „Flächenbrand in der Region“ – völlig zu Recht. Doch weitgehend unbeachtet ist bislang geblieben, dass die Jemen-Eskalation auch in Afghanistan und Pakistan zu aufgeregten Echos geführt hat. Dort hat man schnell begriffen, dass Riads Kriegsgetöse gegen die aufständischen Houthis auch die Lage vor Ort zum Kochen bringen könnten. Denn was sich an Jemens Küste abspielt, könnte sich leicht auch in den Straßen Kabuls oder Quettas wiederholen.       

Den Ernst der Lage erkannte Anfang des Monats auch Afghanistans zweiter Mann, der Chief Executive Officer, Abdullah Abdullah. Laut Medienberichten soll er wutentbrannt eine Sitzung des Nationalen Sicherheitsrates verlassen haben. Der Anlass: Präsident Ashraf Ghani hatte verkündet, dass Kabul Saudi Arabien im Jemen beistehen werde. Die Absurdität einer solchen Ankündigung  beiseite lassend, schließlich befindet sich Afghanistan selbst im unaufhörlichen Kriegszustand, war Abdullahs Reaktion nur allzu verständlich. Denn jedes islamische Land, das gleichermaßen Heimat von Sunniten und Schiiten ist, muss das Schlimmste befürchten, wenn Riads Strategiespiele  in der Region aufgehen sollten.

So blicken außer dem Irak, Syrien und auch der Libanon mit ihren schiitischen Minderheiten, auch Afghanistan und Pakistan besorgt nach Aden. Beide Staaten teilen sich eine Grenze mit dem Iran und leben mit diesem in schwieriger Nachbarschaft. In beiden Staaten sind geschätzt rund 20 Prozent der Bevölkerung schiitischen Glaubens. In beiden Staaten wurden und werden Schiiten Opfer extremistischer Sunniten und Glaubenseiferer. Und wie im Jemen vermengen sich in beiden Staaten Konflikte um politische Teilhabe und staatliche Ausgrenzung mit religiösen Diskrepanzen und historischen Rivalitäten.

Jedes islamische Land, das gleichermaßen Heimat von Sunniten und Schiiten ist, muss das Schlimmste befürchten, wenn Riads Strategiespiele  in der Region aufgehen sollten.

Unterdessen nimmt die Gewalt im Jemen dramatisch zu, seitdem die bewaffnete Fraktion der Houthi Teile des Landes unter ihre Kontrolle brachte und den umstrittenen Präsidenten Abd-Rabbu Mansour Hadi dazu zwang, sich nach Saudi Arabien abzusetzen. Den Houthis, die als Schiiten traditionell gemeinsam mit den jemenitischen Sunniten in denselben Moscheen beteten, wird nun nachgesagt, die Macht im Jemen im Auftrag und mit der Unterstützung des Iran erobern zu wollen. Houthis, die Mitglieder der Zaidi-Sekte sind, gelten bei vielen Schiiten anderer Länder nicht wirklich als Glaubensbrüder. Doch indem Saudi Arabien, in Reaktion auf die Krise im Jemen, emsig an einer Sunniten-Liga gegen den Rivalen Iran schmiedet, gelang es dem Wüstenstaat, den Konflikt erfolgreich zu internationalisieren.

Riads Rufe nach sunnitischer Solidarität lösten am Hindukusch und in Islamabad prompt Emotionen und Ängste aus. Während in Kabul Präsident Ashraf Ghani eilig die Unterstützung seiner Regierung „für die heiligen Städte Mekka und Medina“ verkünden ließ, als gelte es diese zu schützen,  schürte er den schwelenden ethnischen Konflikt in der eigenen Regierung. Offenbar hatte er, ein paschtunischer Sunnit, übersehen, dass das Lager seines tadschikischen Mitregenten und Rivalen, Abdullah, den Wahlerfolg zu einem erheblichen Teil der geschlossenen Unterstützung der schiitischen Hazaras verdankt.

Dabei hatte Präsident Ghani mit seiner Äußerung wohl eigentlich so etwas wie Friedensdiplomatie im Sinn. Ghani erhofft sich massive Unterstützung der Saudis beim lang ersehnten Zustandekommen von Friedensgesprächen mit den Taliban. Seit seiner Amtsübernahme im September 2014 hat er bereits zweimal Saudi Arabien besucht und ist dort vor wenigen Wochen persönlich von König Salman empfangen worden.

 

Pakistan und der saudische Machtpoker

Das echte Pfund im saudischen Machtpoker ist jedoch Pakistan, wo die größte schiitische Gemeinde außerhalb des Irans zu Hause ist. Saudi Arabien und Pakistan sind langjährige Verbündete und damit ein Symbol für saudischen Einfluss jenseits der arabischen Welt. Auch persönlich pflegt Pakistans punjabische Führungselite Freundschaften zu den arabischen Scheichs. Pakistan unterhält seit den 1980er Jahren Truppen im saudischen Königreich, heute sollen es nur noch wenige Hundert sein. Doch Pakistans Status als Nuklearstaat, macht es im Risikospiel Saudi Arabiens gegen den Iran so wertvoll. Man könne Pakistan auch „Saudi Arabiens Atombombe außerhalb Saudi Arabiens bezeichnen,“ schrieb kürzlich der langjährige Nahostbeobachter Robert Fisk. Fisk wirft der saudischen Monarchie vor, einen Flächenbrand bewusst in Kauf zu nehmen. Indem Saudi Arabien „Pakistan in den Jemen-Konflikt einbindet, schüttet es nicht Öl ins Feuer. Sondern es legt Feuer an das Öl.“

Doch vielleicht hat Riad hier die Rechnung ohne den Wirt gemacht. Riads kürzliche Anfrage nach Truppen, Kampfjets und Kriegsschiffen für die 10-Länder-Sunni-Koalition gegen die Houthis provozierte eine politische Krise in Islamabad. Die ansonsten zerstrittenen Oppositionsparteien reagierten aufgebracht und vereint auf die bloße Ankündigung von Premier Nawaz Sharif, man werde den saudischen Antrag beraten. Sharif muss in der Tat bedenken, dass das mächtige pakistanische Militär massive finanzielle Unterstützung der Scheichs erhält. Sharif selbst fand nach seiner ersten, gescheiterten Amtszeit als Premier Unterschlupf in Saudi Arabien. Sein Sohn betreibt in Jeddah erfolgreich ein großes Stahlwerk.

Das echte Pfund im saudischen Machtpoker ist jedoch Pakistan, wo die größte schiitische Gemeinde außerhalb des Irans zu Hause ist.

Die Stimmung drohte zu kippen und den durch innenpolitische Krisen angeschlagenen pakistanischen Premier weiter zu lädieren, als saudische Medien zeitgleich meldeten, Sharif habe bereits Zustimmung signalisiert. Anti-schiitische bewaffnete Gruppen marschierten nach dem Freitagsgebet aufgebracht durch Pakistans Straßen und forderten Unterstützung für die Saudis und den Kampf gegen iranischen Einfluss. 

Politiker aller Oppositionsparteien, darunter sogar Vertreter der sunnitischen, nationalistisch-pashtunischen  Awami National Party wie Ghulam Ahmed Bilour empörten sich über das Risiko neuer sektiererischer Gewalt im Land. „Unsere Armee ist doch keine Miet-Armee,“ schimpfte Bilour, die sich die Saudis mal eben ausleihen könnten um ihre territorialen Interessen durchzusetzen.

Der Protest war so heftig, dass die Sharif-Regierung, ebenso wie die Kabuler Regierung, schließlich zunächst eine diplomatische Lösung für den Jemen forderte. Beide gaben an, sich an keinem Konflikt beteiligen zu wollen, der die sektiererischen Konflikte in der muslimischen Welt verschärfen könnte.     

Dass diese Konflikte lange schon durch beide, Saudi Arabien und dem Iran, in ihrem strategischen Ringen um die Vormachtstellung im Nahen Osten geschürt wurden, darüber sind sich Analysten in Afghanistan und Pakistan nur allzu bewusst. Vor allem in Kabul sind die Erinnerungen noch lebendig, als in den 1990er ein anderer Stellvertreterkrieg Saudi Arabiens und des Irans das Land verwüstete. Nachdem beide zunächst die afghanischen Mujaheddin in ihrem Kampf gegen die sowjetischen Truppen unterstützten, verlegten sie sich alsbald auf die Finanzierung und Ausstattung der rivalisierenden Warlords und im Falle Saudi Arabiens schließlich auf die Förderung der Taliban. Sie sollten als Bollwerk gegen eine mögliche revolutionäre schiitische Doktrin in der Region agieren. Eine ähnliche Strategie verfolgte Saudi Arabien in Pakistan. 

Umso berechtigter sind Sorgen, dass Saudi Arabiens machiavellistische Strategie sowohl Afghanistan, als auch Pakistan vor eine Zerreißprobe stellen könnten. Beide Staaten, von Terror, Armut und Isolation geplagt, haben längst erkannt, dass sie aus einer Vielfalt an geostrategischen, logistischen und ökonomischen Gründen heraus ihr Verhältnis zum Iran ausbalancieren und es sogar verbessern müssen, wenn sie selbst jemals in Frieden leben wollen.