Die Besetzung palästinensischer Gebiete ist für die Israelis ein sehr einträgliches Geschäft. Israel beutet Wasser, Land, Steinbrüche, Tourismus, Landwirtschaft und andere natürliche Ressourcen des Westjordanlandes aus. Die wichtigsten Werkzeuge für die Ausbeutung palästinensischer Ressourcen sind israelische Siedlungen und Industriegebiete, mit denen auf Kosten des besetzten palästinensischen Volkes schneller Profit gemacht wird. Israelische Siedler, die von der Besetzung profitieren, sind mittlerweile das Haupthindernis für sämtliche Bemühungen, zu einer politischen Beilegung des israelisch-palästinensischen Konfliktes zu gelangen, die israelische Besetzung zu beenden und die Schaffung eines existenzfähigen souveränen Palästinenserstaates zu ermöglichen.
In nicht einmal zwei Jahren wird Israel den 50. Geburtstag der Besetzung von 1967 »feiern«. Mit jedem Jahr, das vergeht, werden die Siedlungen und die Siedler stärker, die Aussichten auf eine politische Einigung schlechter. Beide Seiten befinden sich theoretisch auf dem Weg zu einer Einstaatenlösung, praktisch sind sie auf dem besten Weg in ein Apartheid-Regime.
Die Stärkung der Siedlungen senkt selbstverständlich die Chancen auf Frieden und bringt mehr Gewalt und Extremismus in eine Region, die dafür ohnehin schon sehr empfänglich ist und mehr als genug davon hat. Diese Entwicklung ist nicht im Interesse der Europäischen Union, die als Nachbar des Nahen Ostens bereits jetzt darunter leidet.
Die EU bekräftigt ihre traditionelle Position, die israelische Besatzung der 1967 eroberten Palästinensergebiete rechtlich nicht anzuerkennen.
Die Entscheidung der Europäischen Kommission, des Exekutivorgans der EU, eine Herkunftskennzeichnung für Produkte aus den jüdischen Siedlungen einzuführen, ist ein Schritt in die richtige Richtung. Wird die Regelung umgesetzt, so werden damit die Siedlungen finanziell geschwächt, und die EU bekräftigt ihre traditionelle Position, die israelische Besatzung der 1967 eroberten Palästinensergebiete rechtlich nicht anzuerkennen.
Israel genießt im Handel mit der EU Privilegien. Das Volumen der israelischen Exporte in die EU beträgt jährlich mehr als 13 Milliarden Dollar. Für diese Exporte fällt entweder kein oder nur ein symbolischer Zoll an. Darin enthalten sind auch Produkte aus den Siedlungen, unter anderem Obst, Gemüse, Wein, Honig, Olivenöl, Eier, Geflügel und Kosmetikartikel. In den besetzten palästinensischen Gebieten gibt es über 1000 israelische Firmen in mehr als zwölf Industriezonen und über 9000 Hektar landwirtschaftlicher Fläche. Diese Ländereien, die einst Arabern gehörten, wurden fälschlich als Sicherheitszonen oder Staatseigentum ausgewiesen und enteignet, werden heute jedoch von jüdischen Siedlern bewirtschaftet.
Wenn die EU die Vermarktung israelischer Produkte aus den Siedlungen in Europa zulässt, widerspricht sie indirekt ihrer offiziellen Position und Politik und tut so, als erkenne sie de facto die besetzten Gebiete als Teil Israels an.
Die jüngste EU-Entscheidung, Erzeugnisse aus den jüdischen Siedlungen zu kennzeichnen, scheint zu diesem Zeitpunkt eher symbolischer Art zu sein und dürfte sich nicht konkret auf die israelische Wirtschaft auswirken. Ihre Bedeutung liegt darin, dass sie die Haltung der EU noch einmal unterstreicht: Besetzte Gebiete sind besetztes Gebiet, und Israel ist eine Besatzungsmacht, die sich an internationales Recht zu halten hat. Die Entscheidung der EU ist somit in erster Linie eine politische.
Allerdings sollte niemand überrascht sein, wenn einige Palästinenser mit dieser Entscheidung nicht zufrieden sind und sie als zu schwach bezeichnen, weil nicht alle EU-Mitgliedstaaten zur Umsetzung verpflichtet sind. Obwohl die Importeure und die Einzelhändler Produkte aus den Siedlungen kennzeichnen müssen, wird kein Boykott dieser Erzeugnisse durch die Verbraucherinnen und Verbraucher erzwungen.
Dennoch sollte man die Tragweite der Entscheidung nicht unterschätzen. Sie ist ein wichtiger Schritt und legt die Basis für künftige Maßnahmen. Notwendig sind weitere Bemühungen, den Boykott auf sämtliche Produkte aus israelischen Siedlungen auszudehnen, auf alle israelischen Banken, die Zweigstellen in den Siedlungen betreiben oder in dortige Bauprojekte investieren, auf israelische Unternehmen oder Ketten, die Zweigstellen in den Siedlungen haben, und auf internationale Firmen, die direkt oder indirekt Geschäfte mit den Siedlungen machen oder mit israelischen Firmen, die wiederum in die Siedlungen investieren.
Zum gegenwärtigen Zeitpunkt geht es um einen Boykott israelischer Siedlungen in den besetzten Gebieten. Er soll Israel unter Druck setzen, damit es die schleichende Annektierung der besetzten Gebiete einstellt und die Tür für eine künftige politische Beilegung des Konflikts auf der Basis einer Zweistaatenlösung offen hält. Doch wenn das keine Wirkung hätte, bliebe nichts anderes übrig, als den Boykott auf ganz Israel auszudehnen. Das hatte beim Apartheid-Regime in Südafrika Erfolg, und es gibt keinen Grund, warum es bei Israel nicht funktionieren sollte.
Doch es muss völlig klar sein, dass es nicht Ziel des Boykotts ist, Israel seine Legitimation zu entziehen.
Natürlich wird die rechtsgerichtete Staatsführung Israels ihre traditionelle Politik fortsetzen und Europa mit dem Hinweis auf den Holocaust erpressen: Sie wird die Kennzeichnung von Produkten aus den Siedlungen mit der Ächtung der Juden durch den NS-Staat vergleichen oder alle Kritiker der israelischen Politik als Antisemiten und Judenfeinde brandmarken. Israel wird seine Unterstützer in Europa und den USA mobilisieren, damit sie Boykottmaßnahmen gegen die Siedlungen oder Israel selbst verhindern. Doch es muss völlig klar sein, dass es nicht Ziel des Boykotts ist, Israel seine Legitimation zu entziehen. Vielmehr soll der Besatzung und der Entwicklung eines Apartheid-Regimes die Legitimation entzogen werden, eines Regimes, in dem Gewalt und Extremismus eskalieren, die gesamte Region gefährden und auch nach Europa schwappen.
Der Boykott von Produkten aus den Siedlungen ist ein notwendiger Schritt, um die Entstehung eines Apartheid-Staates zu unterbinden. Zudem soll eine Entwicklung eingeleitet werden, die eine Beendigung der israelischen Besatzung und eine politische Einigung auf der Basis der Arabischen Friedensinitiative und der Zweistaatenlösung zum Ziel hat.
Lesen Sie hier den Beitrag "Unmoralisch und kontraproduktiv" von Eytan Schwartz, der die Kennzeichnung der Siedlungsprodukte ablehnt.
3 Leserbriefe
Es ist bezeichnend, dass der Autor am Ende sogar direkt zum Boykott von Waren aus ganz Israels aufruft, also: "Kauft nicht bei Juden". Dass die FES so etwas veröffentlicht, finde ich als SPD Mitglied äußerst beschähmend!!
Ist das Westjordanland (und Ostjerusalem, Golan, Gaza) von Israel völkerrechtswidrig besetzt oder nicht? Ist es dem Frieden im Nahen Osten förderlich, wenn der Staat Israel UN-Resolutionen permanent ignoriert? Haben Menschen oder Völker, denen Unrecht widerfahren ist, das Recht, anderen (schuldlosen) Völkern Unrecht zu tun? Haben Sie sich schon einmal ernsthaft mit dem Schicksal der Palästinenser befasst? Ich empfehle Ihnen z.B. das kleine Herder-Taschenbuch "Der Palästinakonflikt" von Alexander Flores, Dozent in Bremen.
es gibt tatsächlich auch Gutachten, die zum Schluß kommen, dass Judäa und Samaria (a.k.a. "Westbank") nicht als besetzte Gebiete nach Genfer Konvention zu betrachten sind.
Das nur am Rande.
Entscheidend ist aber, dass in viel krasseren Fällen keine Kennzeichnungspflicht festgelegt wird, sondern die Besatzung sogar von EU & Co. finanziell subventioniert (z.B. West-Sahara) und legal zementiert wird (z.B. Ablehnung Rückkehrrecht vertriebener Nord-Zyprioten).
Hier wird mal wieder Israel herausgenommen und einer Sonderbehandlung (sorry lti) unterzogen.
Alles Gute,
Charles-E. Page