Als der junge georgische Ministerpräsident Irakli Garibaschwili bei seinem ersten Besuch in den USA Ende Februar mit Vizepräsident Joe Biden im Weißen Haus zum Gespräch saß, öffnete sich plötzlich die Tür und der Präsident persönlich kam herein. Mit zwanzig Minuten Zeit im Gepäck demonstrierte Obama medienwirksam den Schulterschluss mit dem kleinen Land auf dem Kaukasus. Kurz darauf kündigte das US-Außenministerium an, John Kerry werde im Frühjahr nach Georgien reisen.

Die Sorge ist groß, dass Russland versuchen wird, die Unterzeichnung des Assoziierungsabkommens zu torpedieren oder zumindest mit hohen Kosten für Georgien zu verbinden.

Diese Aufmerksamkeit kommt nicht von ungefähr. Georgien ist neben Moldau eines der beiden Länder, das als nächstes ein Assoziierungsabkommen mit der EU unterzeichnen soll. Das gleiche Abkommen, dessen Aussetzung durch Janukowitsch zu Protesten in Kiew, zum Umsturz der Regierung und letztendlich zur russischen Besetzung der Krim geführt hat.

EU-Abkommen mit Georgien im August

Spätestens im August dieses Jahres soll es unterschrieben werden. Der Termin wurde vorverlegt, um den Prozess angesichts der Geschehnisse in Kiew zu beschleunigen. Explizit wies Bundeskanzlerin Merkel in ihrer Regierungserklärung auf die Notwendigkeit hin, Länder wie Georgien und Moldau zu unterstützen. Die Sorge ist groß, dass Russland versuchen wird, die Unterzeichnung des Assoziierungsabkommens zu torpedieren oder zumindest mit hohen Kosten für Georgien zu verbinden, um nicht noch ein weiteres Land in seiner Nachbarschaft an die EU zu „verlieren“.

Georgien ist ein besonderer Fall. Denn dort schwelt als Resultat des georgisch-russischen Krieges in 2008 schon heute ein so genannter frozen conflict, wie er in der Krim möglicherweise gerade im Entstehen begriffen ist. Das damals von Präsident Sarkozy verhandelte Friedensabkommen sah einen Rückzug russischer Truppen aus den abtrünnigen Gebieten Abchasien und Südossetien vor. Das jedoch ist nie geschehen. Im Gegenteil: Beide Gebiete erklärten ihre Unabhängigkeit und luden die russischen Einheiten zum Bleiben ein.

Tausende von russischen Truppen sind immer noch in Abchasien und Südossetien stationiert. Das gibt Russland die Möglichkeit, den Konflikt nach Belieben wieder anzufachen, um Druck auf Tiflis auszuüben. Seit kurzem beobachtet zum Beispiel die EU Monitoring Mission an der Grenzlinie zu Südossetien wieder verstärkte Aktivität bei der Errichtung von Stacheldraht und Zäunen.

Mit russischen Provokationen wird gerechnet

Die georgische Regierung bemüht sich in ihren Äußerungen zur Ukraine und zu möglichen russischen Maßnahmen gegen die Unterzeichnung des Abkommens um Zurückhaltung. Zum einen, um Russland nicht unnötig zu provozieren, und zum anderen, um die Bevölkerung nicht in Panik zu versetzen.

Die Bilder von der Krim wecken bei vielen unangenehme Erinnerungen an russische Panzer, die 2008 nur 45 Kilometer vor Tiflis standen. Premierminister Garibaschwili betont, dass „bisher kein Druck“ von Moskau ausgeübt worden ist, aber Außenministerin Maja Panjikidze gibt offen zu, dass mit Provokationen Russlands im Vorfeld der Unterzeichnung gerechnet werden kann. Auch EU-Diplomaten vor Ort gehen davon aus, dass Russland versuchen wird, die Unterzeichnung zu torpedieren. Ein besorgniserregendes Anzeichen ist, dass seit Ausbruch der Ukraine-Krise bereits zum zweiten Mal das regelmäßige stattfindende Treffen des russischen und georgischen Sonderbeauftragten verschoben worden ist. Offiziell wurden keine Gründe dafür genannt, aber es liegt nahe, dass die Absage von russischer Seite aus erfolgt ist.

Truppenpräsenz ist jedoch nicht das einzige Instrument, das Russland zur Verfügung steht, um die Unterzeichnung des Assoziierungsabkommens zu torpedieren. Seit dem Machtwechsel 2012 bemüht sich die neue georgische Regierung – in Abgrenzung zum vorherigen Kurs von Mikhail Saakaschwili – um eine Verbesserung der Beziehungen zu Russland. Erste Erfolge, wie die Aufhebung des Importverbots von georgischem Wasser, Wein und Früchten konnten bereits erzielt werden. Die Annäherung ist jedoch ein zweischneidiges Schwert, da sie Russland wieder mehr Hebel zur Verfügung stellt, Tiflis unter Druck zu setzen. Ökonomisch ist Georgien zwar deutlich unabhängiger von Russland als noch vor dem Krieg in 2008, aber die Verflechtung nimmt wieder zu. So gingen zum Beispiel im Februar 68 Prozent der wichtigen georgischen Weinexporte nach Russland. Sollte Russland abermals einen Boykott in Betracht ziehen, wäre das ein erneuter Schlag für diesen wichtigen Exportsektor der georgischen Wirtschaft.

Viele georgische Entscheidungsträger befürchten, dass Georgien sehr viel stärkeres Interesse an Frieden mit Russland hat, als dies umgekehrt der Fall ist.

Viele georgische Entscheidungsträger wie etwa der Vorsitzende des georgischen Auswärtigen Ausschusses Tedo Japaridze befürchten, dass Georgien sehr viel stärkeres Interesse an Frieden mit Russland hat, als dies umgekehrt der Fall ist. Von der instabilen Situation in Abchasien und Südossetien profitiert in der Tat nur Russland. Auch der erhoffte positive Impuls der Olympischen Spiele auf die georgisch-russischen Beziehungen blieb aus. Die einzige (möglicherweise trügerische) Hoffnung ist dabei, dass Georgien für Russland möglicherweise nicht so entscheidend ist wie die Ukraine und dass sich Moskau bereits dort ausreichend internationalen Einfluss gesichert haben könnte. Dieser könnte jedoch bald nicht mehr ausreichen. Denn das rote Tuch für Moskau, nämlich eine NATO-Mitgliedschaft, wird genau jetzt wieder diskutiert.

Georgien als NATO-Mitglied?

Insbesondere in den USA und unter den Republikanern mehren sich Stimmen, die einen so genannten „Membership Action Plan“ (MAP) – eine Roadmap zur NATO-Mitgliedschaft – für Georgien fordern, am besten noch während des nächsten NATO-Gipfels in Cardiff im September. Während seiner Reise in die USA hat der georgische Premierminister intensiv in Washington dafür geworden. Zuvor war der MAP für Georgien beim NATO-Gipfel in Bukarest 2008 durch  Widerstand aus Deutschland verhindert worden. Die russische Zeitung Kommersant berichtete, dass es de facto beschlossene Sache sei, Georgien den MAP anzubieten, sollte Russland die Krim annektieren. Das wurde jedoch kurz darauf vom stellvertretenden NATO-Generalsekretär dementiert.

Die Krim-Krise hat gezeigt, dass das russische außenpolitische Verhalten zurzeit unberechenbar und unvorhersehbar ist. Die Europäische Union sollte sich bereits jetzt Gedanken machen, was sie tun wird, wenn auch Georgien unter russischen Druck gerät.

Die Diskussion über einen MAP für Georgien soll ein Signal in Moskaus Richtung sein, dass das russische Verhalten auf der Krim nicht hingenommen wird, auch wenn die Ukraine kein NATO-Mitglied ist. Sie soll dabei aber auch Ländern wie Georgien versichern, dass sie vom Westen nicht allein gelassen werden. Die Frage bleibt jedoch offen, ob dieser Schritt Russland nicht erst Recht provozieren würde – und ob eine solche symbolische Geste ausreicht. Sollte Georgien den MAP erhalten und Russland tatsächlich in irgendeiner Form militärisch auf georgischem Territorium intervenieren, wäre die Glaubwürdigkeit der NATO in Frage gestellt, wenn keinerlei Gegenmaßnahmen ergriffen werden. Zumindest in der Ukraine ist dies von allen Seiten kategorisch ausgeschlossen worden.

Die Krim-Krise hat gezeigt, dass das russische außenpolitische Verhalten zurzeit unberechenbar und unvorhersehbar ist. Gerade deswegen sollte die Europäische Union sich bereits jetzt Gedanken machen, was sie tun wird, wenn auch Georgien unter russischen Druck gerät. Das gilt in ähnlicher Weise, wenn nicht noch drastischer, für Moldau. Die Zeichen sprechen dafür, dass eine solche Entwicklung nicht unwahrscheinlich ist. Warum sollte Russland Georgien erlauben, was es in der Ukraine nicht akzeptieren konnte?