„Mowing the lawn“, den Rasen mähen, wie man im israelischen Sicherheitsapparat sagt, um die wiederkehrenden Militärschläge gegen die Hamas in Gaza zu bezeichnen, ist in den vergangenen Jahren immer schwieriger geworden. Die Schlagkraft der Hamas ist erheblich gewachsen und das israelische Leben hat die schlimmste Beeinträchtigung seit der zweiten Intifada erfahren. Deshalb wollen israelische Strategen sichergehen, dass diese Runde der Gewalt für lange Zeit die letzte bleibt.

Mit Hinweis auf Syrien, wo das Regime gezwungen wurde, seine Chemiewaffen zu beseitigen, und mit Hinweis auf 1988, als die PLO sich zum gewaltfreien Widerstand verpflichtete, machen bedeutende israelische Vertreter Vorschläge, wie man den Gazastreifen komplett entmilitarisieren könnte, inklusive der Raketen und militärisch genutzten Tunnel.

 

50 Milliarden Insvestitionspaket oder „civic disengagement“ ?

Der prominenteste Vorschlag kommt vom früheren Verteidigungsminister Shaul Mofaz. Er bietet Gaza wirtschaftliche Hilfen im Falle einer vollständigen Entmilitarisierung. Die Bevölkerung des Gazastreifens bekäme über fünf Jahre ein massives Investitionspaket in Höhe von 50 Milliarden US Dollar und Zugang zur See über einen international beaufsichtigten Hafen auf Zypern.

Der Likud-Minister Israel Katz hingegen schlägt im Gegenzug für eine Entmilitarisierung Gazas einen „civic disengagement“ Plan vor: Alle Verbindungen zwischen Israel und dem Gazastreifen, die das zivile Leben und infrastrukturelle Leistungen betreffen, würden gekappt, die Versorgung mit Elektrizität, Wasser und Brennstoff würde eingestellt, Gazas Abhängigkeit von Israel solle so beendet und eine Grenze zwischen Israel und Gaza errichtet werden. Zum Ausgleich bekäme Gaza durch einen unter internationaler Aufsicht stehenden Hafen auf einer künstlichen Insel Zugang zur See. In ähnlicher Weise wirbt der frühere Chef des israelischen Inlandsgeheimdienstes Juval Diskin dafür, die Hamas militärisch stärker unter Druck zu setzen. Sie solle gezwungen werden, einer weitreichenden Entmilitarisierung zuzustimmen. Dafür würde sich Israel für eine Verbesserung der Lebensbedingungen in Gaza einsetzen. Zahlreiche Minister, unter ihnen Justizministerin Tzipi Livni, haben diesen Ansatz bereits in ihre politischen Pläne und Reden einfließen lassen.

Wenn Israel die Hamas loswerden will, dann muss es Gaza militärisch einnehmen.

Doch die genannten Vorschläge sind mangelhaft.  Denn sie gehen davon aus, dass die Entmilitarisierungsfrage von der palästinensischen Eigenstaatlichkeit getrennt werden könne und dass verbesserte Lebensbedingungen in Gaza automatisch zu einem Bedeutungsverlust der Hamas führen würden. Damit wäre die Hamas vor die Wahl gestellt, entweder abzudanken oder sich von den Bürgern Gazas – die sich nach genau diesen verbesserten Lebensbedingungen sehnen – absetzen zu lassen.

Beide Szenarien sind unrealistisch. Hamas würde einer Entmilitarisierung niemals zustimmen. Auch Assad stimmte der Zerstörung seiner Chemiewaffen nur zu, weil man ihm noch genügend Mittel ließ, um den Kampf gegen seine Gegner fortzusetzen. Außerdem teilen die meisten Bewohner Gazas Hamas’ Credo, dass militärische Schlagkraft nötig ist, um die Einlösung von Israels Verpflichtungen gegenüber Gaza zu garantieren, und um wenigstens das Westjordanland und Ostjerusalem zu befreien. Zudem sind diejenigen Bewohner Gazas, die der Hamas feindlich gegenüber stehen, unorganisiert und der stark bewaffneten Hamas, die bereit ist, sich mit Gewalt zu verteidigen, weit unterlegen.

Die Operation Protective Edge hat der Hamas geschadet. Doch mehr noch hat sie die Bevölkerung Gazas geschwächt. Es ist, wie es Netanjahus früherer Berater Yaacov Amidror seit Kriegsbeginn wiederholt erklärte: Wenn Israel die Hamas loswerden will, dann muss es Gaza militärisch einnehmen. Das würde enorme Kosten mit sich bringen, die zu tragen Israels Gesellschaft derzeit nicht bereit ist.

Es gibt einen dritten Weg. Aber der verlangt, dass Israel seine Politik überdenkt - und zwar nicht gegenüber Gaza, sondern gegenüber der Hamas. Das Ziel am Ende dieses Weges wäre die Hamas als politische Partei in einem unabhängigen palästinensischen Staat. Sie und andere bewaffnete Gruppen wären dann den Gesetzen dieses Staates über die Anwendung von Gewalt  unterworfen. Sie träge Mitverantwortung für sein Überleben. Nur, wenn es einen palästinensischen Staat gibt, muss sich die Hamas entscheiden: Ob sie die rechtlichen Verpflichtungen und die Souveränität dieses Staates akzeptiert, oder ob sie ihren Kampf nicht nur gegen Israel, sondern dann auch gegen das übrige Palästina fortführt.

 

Palästinensische Eigenstaatlichkeit für Entmilitarisierung unabdingbar

Ob es einem nun gefällt oder nicht: Die Entmilitarisierung der Hamas hängt an der palästinensischen Eigenstaatlichkeit. Nicht, weil staatliche Souveränität automatisch aller Gewalt gegen Israelis ein Ende setzen würde, denn sicherlich gäbe es weiterhin Palästinenser, die Israels Existenzrecht anfechten. Aber das Ziel sollte sein, deren Zahl zu minimieren. Ein palästinensischer Staat könnte der nachhaltigste Weg zu diesem Ziel sein. Per Definition würde er ein Gewaltmonopol anstreben und damit auch eine Entmilitarisierung von Hamas und anderen militanten Gruppen ermöglichen, und zwar nicht allein durch Zwang zur Entwaffnung, sondern auch, und das ist nicht minder bedeutsam, durch die Integration jener Hamas-Kämpfer, die bereit sind, sich an die internationalen Verpflichtungen ihres Staates zu halten und seiner politischen Führung zu folgen. Die Palästinenser im Allgemeinen und Hamas im Besonderen müssten sich dann entscheiden, ob sie sich für den Wohlstand ihres Staates engagieren oder den militärischen Kampf gegen ein weitaus mächtigeres Israel und seine arabischen Alliierten fortführen. Dieser Weg allein kann auch etwas an den palästinensischen Motiven für Angriffe auf Israelis verändern, und nicht nur an ihren militärischen Möglichkeiten dazu.

Ein Staat, dessen Gründung auf einer Einigung mit Israel basiert, sollte deshalb beispielsweise auch ein Bildungssystem besitzen, das die palästinensischen Vorurteile gegen Juden und Israel reduzieren kann – und umgekehrt.

Ob es einem nun gefällt oder nicht: Die Entmilitarisierung der Hamas hängt an der palästinensischen Eigenstaatlichkeit.

Es ist verständlich, wenn Minister Katz, der aus ideologischen Gründen gegen einen Palästinenserstaat ist, die Gaza-Frage unabhängig von der des Westjordanlands lösen will. Aber Mofaz, Livni, Diskin und andere, für die eine Zweistaatenlösung in Israels nationalem Interesse liegt, arbeiten gegen ihr eigenes Ziel, wenn sie argumentieren, Gazas Entmilitarisierung sei ohne palästinensische Eigenstaatlichkeit möglich. Der Waffenstillstand, der diese Woche erreicht wurde, verschafft diesen und anderen wichtigen Fragen einen Monat Aufschub und den israelischen Meinungsführern Zeit, um ihren Mitbürgern zu erklären, dass es nur beides zusammen geben kann.