Trotz der Ausladung seines Landes aus den laufenden Genfer Syrien-Verhandlungen fand der iranische Präsident Hassan Rohani in der Schweiz ein internationales Publikum. In einer Rede auf dem Weltwirtschaftsforum in Davos unterstrich er den friedlichen Charakter des iranischen Atomprogramms und warb um Investoren. Rohani suchte damit dem vorsichtigen Optimismus weiter Auftrieb zu geben, der nach Inkrafttreten des vorläufigen Abkommens zwischen Iran und den UN-Vetomächten aufkeimt. Vereinbarungsgemäß hat Iran am 20. Januar die Urananreicherung eingeschränkt, im Gegenzug lockerten EU und USA einen Teil der Sanktionen. Nur einen Tag später kündigte Teheran indes die erstmalige Entsendung zweier Kriegsschiffe in den Atlantik an.

Die Entwicklung zeigt: Der Iran drängt selbstbewusst auf die internationale Bühne und agiert dabei keinesfalls immer so, als wäre er nach Jahren der Konfrontation endlich durch internationalen Druck auf eine konziliante Linie gebracht worden. Doch das Einlenken Teherans im Atomstreit und Rohanis anhaltende Charmeoffensive lassen sich nicht allein mit der Wirkung der Sanktionen erklären.

Der permanente Fokus auf das Nuklearprogramm und auf Irans außenpolitisches Auftreten blendet Entwicklungen im Innern aus, die für den zukünftigen Weg des Landes entscheidend sind.

Der permanente Fokus auf das Nuklearprogramm und auf Irans außenpolitisches Auftreten blendet Entwicklungen im Innern der Islamischen Republik aus, die für den zukünftigen Weg des Landes und seine Stellung in der internationalen Gemeinschaft mindestens ebenso entscheidend sind. Denn dass nunmehr Hassan Rohani die iranische Regierung führt, ist vor allem zwei Gründen geschuldet: dem Streben des Regimes nach Stabilität und dem Reformdruck aus der Gesellschaft.

Iran: Die Fähigkeit zur Kurskorrektur

In seiner 35-jährigen Geschichte hat das iranische Regime schon mehrfach Fähigkeit zur Kurskorrektur bewiesen. Das Konstrukt der Islamischen Republik gibt regelmäßigen Wahlen einen festen Platz, schränkt aber die Kandidaten durch Vorselektion ein. Dies erlaubt einen begrenzten Wettbewerb innerhalb einer prinzipiell systemtreuen Elite, über den das Regime flexibel auf innere und äußere Herausforderungen reagiert. Dieses System kann höchst unterschiedliches Führungspersonal hervorbringen, wie ein Vergleich der zwei Ex-Präsidenten Mohammad Khatami und Mahmud Ahmadinejad zeigt: der eine moderater Reformkleriker, der andere angriffslustiger Populist.

Rohani steht für das Lager der Pragmatiker und Technokraten. Deren Vertreter wollen die Stabilität des Regimes über wirtschaftliche Entwicklung und konstruktive Außenbeziehungen sichern. In seiner Zeit als Leiter eines führenden Teheraner Think Tanks prognostizierte Rohani der Islamischen Republik eine existenzgefährdende Krise, sollte es nicht gelingen, die Leistungsfähigkeit des Staatsapparats zu verbessern. „Die Legitimation unseres Regimes hängt davon ab, als wie effizient es in der Öffentlichkeit und vor allem von der jungen Bevölkerung wahrgenommen wird“, schrieb er damals.  Gemäß der 2005 in Kraft getretenen „20-Jahre-Perspektive“, an der Rohani mitgearbeitet hat, soll Iran zu einem der höchstentwickelten Länder im Mittleren Osten und Südostasien aufsteigen. In der Beilegung des Atomkonflikts sieht er nur den Schlüssel für diese ambitionierte Agenda.

Rohanis Kandidatur wurde von einem breiten politischen Spektrum getragen – angefangen von den Reformern über die traditionelle Geistlichkeit bis hinein ins konservative Lager.  

Die iranischen Wähler wollten Veränderung, doch der Verlauf der Protestbewegung nach den Präsidentschaftswahlen von 2009 und auch das Beispiel Syriens hatten ihnen gezeigt, wohin die direkte Konfrontation eines gewaltbereiten Regimes führen konnte. Also stimmten sie für graduellen Wandel und zeigten damit eine in der Region kaum erreichte politische Reife.

Rohanis Wahl hat nun einen dringend benötigten Elitenkonsens hergestellt und den Einfluss ideologisch motivierter Hardliner vorerst eingedämmt. Revolutionsführer Ali Khamenei, der vor allem in der zweiten Amtszeit von Ahmadinejad wiederholt direkt ins politische Tagesgeschäft eingreifen musste und sich dabei gefährlich exponierte, tritt nun wieder in seiner bevorzugten Rolle auf: Er vermittelt zwischen den Fraktionen und kann so die eigene Stellung festigen.

Doch Rohanis Versprechen von mehr Freiheiten und Bürgerrechten blieb bislang weitgehend unerfüllt. Zwar sind in der Presse Tabus gefallen und sogar Regierungsmitglieder kommunizieren über die eigentlich zensierten sozialen Netzwerke im Internet. Auch veröffentlichte Rohani jüngst einen vielbeachteten Entwurf einer Charta der Bürgerrechte. Doch Justiz und Sicherheitsapparat tun alles, um den Eindruck von größerer Offenheit zu trüben. Trotz Freilassung einiger prominenter politischer Gefangener sitzen noch immer dutzende Aktivisten und Kritiker in Haft. Erneut wurden Zeitungen geschlossen und kürzlich warnte Generalstaatsanwalt Mohseni Ejei vor einer Wiedereröffnung der unabhängigen Journalistengewerkschaft. Die Zahl der Hinrichtungen ist alarmierend.

Fast scheint es, als etabliere sich wieder die alte Arbeitsteilung aus der Amtszeit von Präsident Khatami: Schritte der reformbereiten Regierung werden von konservativen Kräften in den Schlüsselbastionen des Regimes konterkariert. Doch führende Stimmen aus dem Reformlager, darunter der Vordenker Said Hadjarian und auch Khatami selbst, plädieren dafür, der neuen Regierung mehr Zeit zu geben. Unabhängige Dissidenten wie die im Oktober aus der Haft entlassene Menschenrechtsanwältin Nasrin Sotudeh setzen ihren Kampf ohnehin unerschrocken fort. Und die iranischen Bürgerrechtler werden auch weiterhin jeden Freiraum nutzen, um Veränderungen einzufordern. Dass Solidarität aus dem Ausland im Regime durchaus Wirkung zeigt, verdeutlichten die wütenden Reaktionen iranischer Ultrakonservativer, nachdem eine Delegation des europäischen Parlaments sich während des Besuchs in Teheran mit Sotudeh getroffen hatte.

Was wollen die iranischen Hardliner?

Die iranischen Hardliner favorisieren weiterhin eine offensive Herausforderung westlicher Interessen, um Einfluss und Macht des Landes in der Region auszudehnen. Diese Doktrin wird aktuell etwa mit der direkten Involvierung iranischer Revolutionsgarden in Syrien umgesetzt. Im Zuge der Konfrontation nach außen konnten die Hardliner unter Ahmadinejad im Land einen umfassenden Sicherheitsstaat aufbauen. Nach ihrer Niederlage ergreifen sie nun die Gelegenheit, die neue Regierung für ihre Verhandlungsführung zu attackieren. Ihrer Auffassung nach haben die Zugeständnisse in den Genfer Atomverhandlungen die Interessen des Landes verraten. Das Parlament will Regierungsvertreter zur Befragung vorladen, einige Abgeordnete streuten Gerüchte über die angebliche Unzufriedenheit des Revolutionsführers. Dieser hat der Regierung bislang den Rücken gestärkt, hält sich aber alle Türen offen, indem er immer wieder sein tiefes Misstrauen gegenüber dem Westen betont.

Außenminister Zarif kritisierte jetzt in einem Interview mit CNN eine verfälschende Präsentation des Atomabkommens durch das Weiße Haus: Iranische Konzessionen würden übertrieben dargestellt, zudem sei von einem „Abbau“ des iranischen Nuklearprogramms die Rede. Tatsächlich können überspitzte Erwartungen an die Verhandlungen oder gar neuerliche Sanktionen die Position der iranischen Regierung im eigenen Land untergraben und Fortschritte schnell wieder zunichte machen. Die vorsichtige Annäherung an die USA kratzt an den ideologischen Grundfesten des Systems und jeder noch so kleine Schritt in diese Richtung wird auch weiterhin heftige Debatten auslösen.

Was ist für Rohani wichtig?

Genauso wie der gesellschaftliche Wunsch nach Öffnung und das Streben des Regimes nach Stabilität für Rohanis Wahl zum Präsidenten entscheidend waren, so werden sie auch seine weitere Amtszeit prägen. Die Regierung braucht Mitwirkung und Druck aus der Gesellschaft ebenso wie den Rückhalt in der Machtelite. Diese zwei Pole zeigen einen schmalen Korridor auf, an dessen Ende eine beachtliche Rationalisierung der Islamischen Republik stehen könnte, nach innen wie nach außen. Und genau hieraus erwächst die Bedeutung dieses internen Balanceakts für die internationale Politik.

Die Vernachlässigung innenpolitischer Dynamiken hat schon einmal eine Lösung des Atomstreits verzögert.

Die Vernachlässigung innenpolitischer Dynamiken hat schon einmal eine Lösung des Atomstreits verzögert. In Rohanis Zeit als Chefunterhändler beantworteten Europäer und Amerikaner die iranischen Zugeständnisse mit zusätzlichen Forderungen. Angesichts des anhaltenden Drucks setzte sich in Teheran die Überzeugung durch, bei den Verhandlungen gehe es nicht nur um Transparenz über das Atomprogramm. Die Hardliner um Ahmadinejad konnten den Atomstreit für ihre nationalistische Rhetorik instrumentalisieren und die anti-westliche Ideologie der Revolution wiederbeleben. Während der darauffolgenden Eiszeit baute Iran die Anreicherung weiter aus. Der „Widerstand“ gegen die Einmischung des Westens ging mit der Unterdrückung kritischer Stimmen im Inland einher.

Dabei verdeutlicht erst der Blick ins Innere das Ausmaß der Chance, die die Rückkehr kompetenter Realpolitiker eröffnet.

Dabei verdeutlicht erst der Blick ins Innere der Islamischen Republik das Ausmaß der Chance, die die Rückkehr einer um konstruktive Außen- und Wirtschaftsbeziehungen bemühten Riege kompetenter Realpolitiker eröffnet. Natürlich vertritt Rohani die Interessen des Regimes und handelt in Übereinstimmung mit dem Revolutionsführer. Doch in Anbetracht der Lage in den Nachbarländern sind Stabilität und Wachstum nicht die schlechtesten Ziele einer Regierung. Gerade in Afghanistan und Syrien sollte Teheran Gelegenheit erhalten, seine Rolle in der Region auszufüllen und mehr Verantwortung wahrzunehmen. Je mehr internationale Anerkennung Schritte zur Mäßigung erhalten, desto weniger Nährboden haben reaktionäre Rückfälle innerhalb des Regimes.

Der Blick nach innen zeigt aber auch, warum die Frage der Menschenrechte auf das Engste mit den Sicherheitsinteressen des Westens im Atomstreit verbunden ist. Allen Einschränkungen durch das Regime zum Trotz hat die iranische Gesellschaft auf beeindruckende Art und Weise ihren Partizipationswillen und Pragmatismus belegt. Die breite Bewegung für Reformen und Bürgerrechte benötigt jetzt mehr Freiraum, um korrigierend auf die Politik wirken zu können. Verschärfte Sanktionen und die Abschottung des Landes würden dieses Potenzial nur untergraben.