Egal wie es am Ende ausgeht, eines steht fest: die diesjährige Wahl zur Besetzung des Chefpostens der Vereinten Nationen ab Januar 2017 wird die transparenteste, inklusivste und meist diskutierte Wahl in der 70-jährigen Geschichte der Weltorganisation sein.

Es ist auch die erste Wahl, bei der es eine informelle Vorstellungsrunde in der Generalversammlung gibt. Das mag wenig sensationell klingen, ist es aber. Denn bisher wurden alle acht Generalsekretäre hinter verschlossenen Türen vom Sicherheitstrat ausgekungelt. Die Generalversammlung kann den Kandidaten nur ernennen, ihn weder ablehnen noch andere Kandidaten vorschlagen.

Die Besetzung eines der wichtigsten Posten, den die internationale Politik zu vergeben hat, wird also letztlich von den fünf ständigen Mitgliedern des Sicherheitsrats (P5, „permanent five“) entschieden. China, Frankreich, Großbritannien, Russland und die USA haben auch bei dieser Frage ein Vetorecht. Hinzu kommt, dass die Namen der Kandidaten nicht genannt werden und die Wahl im Geheimen stattfindet; nur das Ergebnis wird der Generalversammlung und damit der Weltöffentlichkeit präsentiert.

Die Unzufriedenheit mit dem undemokratischen und intransparenten Auswahlprozess nahm über die Jahre zu.

 

Die Unzufriedenheit mit dem undemokratischen und intransparenten Auswahlprozess nahm über die Jahre zu. <link rubriken aussen-und-sicherheitspolitik artikel ban-ki-moon-nachfolge-629>Ende 2014 formierte sich eine Kampagne „1 for 7 Billion“, die deutliche Verbesserungen forderte. In der Tat kann es eigentlich nicht sein, dass es für einen der wichtigsten, einflussreichsten und prestigeträchtigsten Posten der Welt keinen ernsthaften Auswahlprozess mit Vorstellung der Kandidaten und einer Auswahl aus mehreren Kandidaten gibt. Auch gab es bisher nur drei Frauen, die jemals in die engere Wahl kamen.

Dabei ist das Auswahlprozedere nicht in Stein gemeißelt. Die Details sind nicht in der Charta festgelegt, die sich kaum ändern lässt, sondern in Resolutionen der Generalversammlung, die jederzeit neu verabschiedet werden können. Die wichtigste davon ist Resolution 11/1 aus dem Jahr 1946. Sie besagt, dass nur ein Kandidat zur Abstimmung gestellt werden soll (wohl um eine unrühmliche Debatte bei mehreren Kandidaten zu vermeiden). Sowohl der Auswahlprozess im Sicherheitsrat als auch die Ernennung durch die Generalversammlung sollen geheim stattfinden. Ferner soll die Amtszeit des Generalsekretärs fünf Jahre sein, mit der einmaligen Möglichkeit der Wiederwahl für weitere fünf Jahre.

Seit 1981 werden im Sicherheitsrat informelle Probeabstimmungen („straw polls“) durchgeführt. Bei den Wahlen von Boutros Boutros-Ghali, Kofi Annan und Ban Ki-moon wurden dafür in den letzten Runden farbig markierte Wahlzettel benutzt, um ständige Mitglieder (rot) von nichtständigen Mitgliedern (weiß) zu unterscheiden. So war ein Veto leicht zu erkennen. Da diese Probeabstimmungen informell stattfanden, mussten die Ergebnisse nicht veröffentlicht werden. Bei den meisten Wahlen sickerten die Kandidatennamen zwar durch, doch die Stimmergebnisse und welche Kandidaten wie viele Stimmen erhielten, wurde nicht bekannt gemacht.

Nicht alle UN-Generalsekretäre waren die Bestqualifizierten.

Nicht alle UN-Generalsekretäre waren die Bestqualifizierten – von Ausnahmen wie Dag Hammarskjöld und Kofi Annan abgesehen. Dies zeigt, dass die Besetzung nicht in erster Linie nach Qualitätskriterien, wie ausgewiesene Managementqualitäten, Integrität, Personalführung, Mediationserfahrung, Sprachkenntnisse, strategisches Denken usw. erfolgt, sondern nach politischer Opportunität. Immer war das entscheidende Kriterium, dass die Person nicht allzu eigenmächtig und unabhängig sein sollte. Man wünschte sich einen Generalsekretär, der mehr Sekretär war und weniger General, der den Mitgliedstaaten zu Diensten ist – allen voran den P5.

Das wird auch dieses Mal so sein. Es ist die Conditio sine qua non. Das Vetorecht macht es unmöglich, gegen den Willen eines P5 einen Kandidaten durchzusetzen. Aus praktischer Sicht wäre es auch nicht ratsam, jemanden auf den Posten zu hieven, der von einem der P5 nicht akzeptiert wird.

Was sind also die Optionen für eine demokratischere und transparentere Wahl? Die Kampagne „1 for 7 Billion“ schlägt zehn Reformmaßnahmen vor, die im Wesentlichen auf Erfahrungen mit Wahlprozessen von UN-Sonderorganisationen beruhen. Die wichtigsten davon sind: eine weltweite Kandidatensuche und Vorschläge für Nominierungen durch Staaten, Parlamente und die Zivilgesellschaft mit einer Bewerbungsfrist; am Ende der Bewerbungsfrist soll die Liste der Nominierten mit Lebenslauf veröffentlicht werden; jede/r Nominierte soll ein Statement abgeben, wie er oder sie die Organisation zu führen gedenkt; in einer Reihe von Anhörungen soll den Mitgliedstaaten ermöglicht werden, die Kandidaten kennenzulernen und zu befragen; der Sicherheitsrat soll der Generalversammlung mindestens zwei Kandidaten zur Wahl stellen; und es soll nur noch eine Amtszeit von sieben Jahren geben.

Von diesen Reformvorschlägen wurden bisher zwei umgesetzt. In einem gemeinsamen Brief vom 15. Dezember 2015 baten der Präsident der Generalversammlung und die Präsidentin des Sicherheitsrats um Nominierungen. Die Nominierten sollen die Gelegenheit haben, mit Mitgliedern der beiden Gremien informelle Dialoge zu führen. Für diese Dialoge konnten sogar ebenfalls zum ersten Mal in der UN-Geschichte Bürgerinnen und Bürger bei den UN eine Frage einreichen – per Video, Twitter, Facebook, E-Mail oder Brief. Das Zeitfenster für diese Art „Primaries“ schließt Ende Juli 2016. Dann beginnt der offizielle, vermutlich dann wieder geheime, Auswahlprozess im Sicherheitsrat mit der abschließenden Wahl im Herbst.

Diese informellen Vorstellungsrunden finden nun zum ersten Mal in der Geschichte der UN statt.

Diese informellen Vorstellungsrunden finden nun zum ersten Mal in der Geschichte der UN statt: vom 12. bis 14. April in New York. Jeder Kandidatin und jedem Kandidaten werden zwei Stunden eingeräumt, um ihre oder seine Kandidatur vorzustellen und von den Mitgliedstaaten befragt zu werden. Ein „Vision Statement“ und der Lebenslauf sollen vorab veröffentlicht werden. Mogens Lykketoft, der Präsident der UN-Generalversammlung, meinte: „Wir betreten totales Neuland hier. Das Ganze könnte den gesamten Wahlprozess ändern.“ Ob das die einzige Vorstellungsrunde bleiben wird oder weitere folgen, ist offen.

Unter den sieben bislang offiziell vorgeschlagenen Kandidatinnen und Kandidaten sind drei Frauen: Irina Bokova aus Bulgarien, die amtierende Generaldirektorin der UNESCO, Natalia Gherman, ehemalige Außenministerin Moldaus, und die kroatische Außenministerin Vesna Pusić. Ferner wurden vier Männer vorgeschlagen: der ehemalige Präsident Sloweniens Danilo Türk, Igor Lukšić, Politiker aus Montenegro, Srgjan Kerim, ein mazedonischer Diplomat und ehemaliger Präsident der UN-Generalversammlung und António Guterres, ehemaliger portugiesischer Ministerpräsident und ehemaliger UN-Flüchtlingskommissar. Weitere Kandidatinnen, die möglicherweise später ins Rennen einsteigen, sind die ehemalige neuseeländische Premierministerin und derzeitige Leiterin des UN-Entwicklungsprogramms Helen Clark und Susanna Malcorra, Argentiniens Außenministerin und ehemalige UN-Bedienstete.

Das ungeschriebene Gesetz der regionalen Rotation überlässt für diese Wahl Osteuropa das Vorschlagsrecht. Dennoch wird dies kein entscheidendes Kriterium sein. Sollte es keine Kandidaten aus Osteuropa geben, die das Plazet der P5, vor allem Russlands und der USA, finden, werden Personen aus anderen Erdteilen in die engere Wahl kommen.

Der Wunsch, den Posten zum ersten Mal nach acht Männern und 70 Jahren mit einer Frau zu besetzen, ist in den letzten zwei Jahren vielfach und auch prominent artikuliert worden.

Es spricht einiges dafür, dass es dieses Mal wirklich eine Frau wird.

Es spricht einiges dafür, dass es dieses Mal wirklich eine Frau wird. Zum einen besetzen in den letzten Jahren immer mehr Frauen Führungsposten in internationalen Organisationen: etwa Christine Largarde als Exekutivdirektorin des Internationalen Währungsfonds oder Margaret Chan als Leiterin der WHO; und mit Irina Bokova und Helen Clark sind Frauen im Wettbewerb, die das Zeug dazu haben und kämpfen werden. Zum zweiten befindet sich mit Samantha Power immerhin eine Frau unter den entscheidenden UN-Botschaftern. Sie wird zwar nicht ohne Zustimmung des US-Präsidenten entscheiden, aber bei gleicher Qualifikation sicher für eine Frau votieren. Zum dritten gibt es (bislang) keine organisierte Opposition gegen eine Frau auf dem Posten.

Sollten am Ende zwei oder gar drei Personen der Versammlung zur Wahl gestellt, die Amtszeit auf eine von sieben Jahren verkürzt und eine Frau gewählt werden, hätten die UN einen gewaltigen Reformschritt getan.

Auf wen auch immer am Ende die Wahl fällt: Sicher ist, allein die große Aufmerksamkeit, die dem Prozess zuteilwurde, die vielen kritischen Stimmen auch aus der Mitgliedschaft und der Druck durch die Öffentlichkeit sind ein Gewinn für die Vereinten Nationen und ihre/n zukünftige/n CEO – ein dringend notwendiger Gewinn an Transparenz, Partizipation und Legitimation.