Mit ihrer Erklärung vom 12. Mai 2025 verkündete die PKK ihre Bereitschaft zur Selbstauflösung – ein historischer Schritt im jahrzehntelangen Konflikt. Die türkische Regierung jedoch richtet ihren Fokus vor allem auf die technischen Aspekte der Entwaffnung und den Geltungsbereich der Erklärung. Eine politische Lösung des Kurden-Konflikts scheint nicht im Zentrum zu stehen. Dieser eingeschränkte Blick führt zu einer wachsenden Kluft zwischen Regierung und Opposition. Die kurdische DEM-Partei, die den Prozess weitgehend getragen hat, verbindet ihn mit Erwartungen an eine Demokratisierung. Die CHP als größte Oppositionspartei unterstützt viele der kurdischen Reformanliegen. Gleichzeitig ist sie misstrauisch, ob hinter dem Prozess nicht eigentlich Pläne für eine Verfassungsänderung stehen, die es Staatspräsident Erdoğan ermöglichen würden, noch einmal zu kandidieren.

Der Friedensprozess, der offiziell keiner ist, wurde im Oktober vom MHP-Vorsitzenden Devlet Bahçeli begonnen. Seitens der Regierung wurde er stets als einseitige und „bedingungslose Kapitulation“ der PKK dargestellt, die sich nach einem Aufruf von Abdullah Öcalan selbst auflösen sollte. Dabei versuchte die Regierung stets den Eindruck zu erwecken, dass keine Verhandlungen mit der PKK geführt werden und alle rechtlichen Fragen erst nach der Auflösung auf die Tagesordnung kommen sollen. Dementsprechend ist die offizielle Bezeichnung auch nicht „Friedensprozess“, sondern „terrorfreie Türkei“ – ein Ausdruck, der den Versuch der Entpolitisierung des Konflikts widerspiegelt.

In einem ersten Schritt wurde die Isolation von Abdullah Öcalan gelockert. Eine Delegation der DEM-Partei durfte ihn besuchen und mit ihm sprechen. Am 27. Februar veröffentlichte Öcalan daraufhin eine Erklärung, in der er die PKK als historisch überholt bezeichnete und zur Demokratisierung der Türkei aufrief. Im Anschluss führte die DEM-Delegation Gespräche mit den im Parlament vertretenen Parteien und reiste ins kurdische Autonomiegebiet im Nordirak sowie nach Syrien. Demgegenüber überließ Staatspräsident Erdoğan alle Vorbereitungen auf Regierungsseite dem MHP-Vorsitzenden Bahçeli und vermied es, sich auf konkrete Schritte festzulegen. Interessant ist, dass er auch nach der Erklärung der Selbstauflösung der PKK diese Haltung beibehielt. Er betont, dass er zunächst abwarten werde, wie die praktische Seite dieser Auflösung verläuft, und unterstreicht, dass diese die Gesamtorganisation umfassen müsse.

Genau an dieser Stelle liegt einer der empfindlichsten Punkte des gesamten Prozesses. Die PKK ist von einem Geflecht von Organisationen und Plattformen sowie Schwesterparteien umgeben. Sie ist nicht nur in der Türkei, sondern auch im Irak, in Syrien und dem Iran, aber auch in europäischen Ländern aktiv. Offensichtlich ist, dass die PYD und ihre bewaffnete Miliz YPG in Syrien beispielsweise nicht Teil der Selbstauflösung sind, obgleich sie von der türkischen Regierung als Teil der PKK betrachtet werden.

Grund für die zurückhaltende Haltung des Staatspräsidenten dürfte sein, dass Widerstände in der Bevölkerung absehbar sind.

Grund für die zurückhaltende Haltung des Staatspräsidenten dürfte sein, dass Widerstände in der Bevölkerung absehbar sind. Besonders empfindlich ist die Lage für die Angehörigen von Menschen, die durch Anschläge oder Kämpfe getötet oder verletzt wurden. Für viele von ihnen ist der Gedanke an eine mögliche Straffreiheit für PKK-Militante schwer hinzunehmen. Aber auch politisch sind Forderungen nach kommunaler Autonomie und der Zulassung anderer Identitäten jenseits der türkischen für große Teile der Bevölkerung nur schwer zu vermitteln. Dementsprechend wurden sie von offizieller Seite bisher nicht angesprochen.

Während es wohl niemanden gibt, der das Ziel einer „terrorfreien Türkei“ ablehnen würde, wäre es für die Opposition und insbesondere für die CHP einfach, die Vorbehalte in der Bevölkerung gegen Straffreiheit und Pluralismus zu mobilisieren. Dies hat die CHP jedoch vermieden und sich ausdrücklich hinter den eingeleiteten Prozess gestellt. Doch sie versteht dies nicht als Freifahrtschein. Bereits frühzeitig hatte der CHP-Vorsitzende Özgür Özel angemahnt, auch die Hinterbliebenen von Terroropfern einzubeziehen. Stets hat die CHP gefordert, dass das Parlament der zentrale Ort sein müsse, an dem die politischen Fragen des Lösungsprozesses offen ausgehandelt werden. Und sie weist auf ein Glaubwürdigkeitsproblem der Regierung hin, indem sie den Kontrast zwischen der Repression gegen die CHP und jede Art von Protesten auf der einen Seite und der Demokratisierungsrhetorik auf der anderen Seite herausstellt. Sie veranstaltete am 10. Mai in Van, einer DEM-Hochburg, eine öffentliche Kundgebung, bei der Özgür Özel insbesondere die Einsetzung von Zwangsverwaltern anstelle abgesetzter Bürgermeister kritisierte – eine Maßnahme, von der außer der DEM in jüngster Zeit vor allem die CHP betroffen war. Da für den 10./11. Mai die Auflösungserklärung der PKK erwartet wurde, kann das Treffen als eine unterstützende politische Geste seitens der CHP bewertet werden, mit der sie sich zugleich der kurdischen Bevölkerung demonstrativ als verlässlicherer Partner präsentierte – in Abgrenzung zur Regierungspartei.

Aus dem nationalistisch-konservativen Lager kommt hingegen deutliche Ablehnung: Sowohl die Iyi-Partei als auch die Zafer-Partei kritisieren den Prozess in scharfen Tönen. Die Iyi-Partei bezeichnete die Auflösungsdeklaration der PKK als „Verrat an der Nation“. Die Zafer-Partei sieht einen Versuch kommen, die territoriale Integrität der Türkei zu gefährden. Politisch dominiert wird der türkische Nationalismus jedoch nach wie vor von der MHP, die bisher geschlossen ihrem Vorsitzenden Devlet Bahçeli folgt.

Die Koordination zwischen Regierung und PKK erfolgte bisher vollständig informell und verdeckt. Die Regierung hat stets dementiert, dass sie tatsächlich Verhandlungen führe. Doch prominente AKP-Politiker erwecken durchaus den Eindruck, dass ein konkreter Fahrplan für den Prozess der PKK-Auflösung ausgearbeitet ist. Was Teil dieses Plans ist und welche Zieltermine gesetzt wurden, ist jedoch unbekannt. Dies führt zu großem Misstrauen bei den meisten Oppositionsparteien und weiten Teilen der Öffentlichkeit.

Misstrauen und nicht verheilte Wunden sind jedoch nur ein Teil der offenen Probleme.

Misstrauen und nicht verheilte Wunden sind jedoch nur ein Teil der offenen Probleme. Betrachtet man die Auflösungserklärung der PKK unter dem Gesichtspunkt des Kurden-Konflikts, stellt der Verzicht auf Gewalt als politisches Mittel zweifellos einen bedeutenden Fortschritt dar. Doch muss man sich vergegenwärtigen, dass die PKK nicht die einzige Partei in diesem vielschichtigen Konflikt ist. Inhaltlich geht es beim Kurden-Konflikt um die Anerkennung kultureller Rechte sowie einer kurdischen Identität, die insbesondere politische Implikationen hat und mit Selbstverwaltungsansprüchen verbunden ist. Demgegenüber steht eine über Jahrzehnte gewachsene Staatsdoktrin, die den Untergang des Osmanischen Reiches insbesondere auf spalterische Bestrebungen der nichtmuslimischen Minderheiten zurückführt und darum nationale Homogenität als Voraussetzung für die Bewahrung der staatlichen Integrität betrachtet und Selbstverwaltungsbestrebungen mit Misstrauen begegnet.

Vor diesem Hintergrund ist die Auflösung der PKK und ihre Entwaffnung noch der einfachste Schritt bei der Lösung des Kurden-Konflikts. Nach über drei Jahrzehnten bewaffneter Auseinandersetzungen und Tausenden von Todesopfern bedarf es einer tiefergehenden gesellschaftlichen Versöhnung. Zudem setzen die Anerkennung einer kurdischen Identität und die Ausgestaltung kultureller Rechte eine bedeutende Veränderung im Selbstverständnis der Türkischen Republik voraus. Auch wenn die Selbstauflösung der PKK ein wichtiger Meilenstein auf dem Weg zum inneren Frieden der Türkei darstellt, müssen zahlreiche weitere noch passiert werden.