Ein Lithium-Bergbauprojekt ist das derzeit alles beherrschende Thema in der serbischen Politik. Seit Wochen kommt es deswegen zu zahlreichen Protesten. Schätzungen zufolge beteiligten sich daran bis zu 120 000 Menschen allein in Belgrad. Bei einer Protestaktion allein gingen kürzlich rund 40 000 Bürgerinnen und Bürger in der Hauptstadt auf die Straße. Sie blockierten eine Autobahn sowie die beiden großen Bahnhöfe der Stadt bis zum Morgengrauen, als die Bereitschaftspolizei einschritt und mehrere Aktivistinnen und Aktivisten verhaftete. Dies wiederum löste weitere Proteste aus, bei denen die Freilassung der Inhaftierten gefordert wurde. Die Proteste brachten Umwelt- und zivilgesellschaftliche Organisationen sowie Oppositionsparteien mit unterschiedlichen ideologischen Hintergründen zusammen, die alle ein gemeinsames Ziel verfolgen: Es gilt, das umstrittene Lithium-Bergbauprojekt im westserbischen Jadar-Tal zu stoppen. Die Opposition will daraus Profit schlagen und tatsächlich könnte das Projekt eine gewaltige Herausforderung für die Regierung von Aleksandar Vučić werden.
Kritisiert wird ebenfalls, dass die EU das umstrittene Bergbauvorhaben offen unterstützt. Am 19. Juli besuchten Bundeskanzler Olaf Scholz und EU-KommissionsvizepräsidentMaroš Šefčovič Belgrad anlässlich einer Konferenz zum Thema Rohstoffe. Das wichtigste Ergebnis war dabei die Unterzeichnung eines sogenannten Memorandum of Understanding (MoU). Darin wird eine „strategische Partnerschaft zu nachhaltigen Rohstoffen, Batterie-Wertschöpfungsketten und Elektrofahrzeugen“ zwischen der Europäischen Union und Serbien bekräftigt. Darüber hinaus wurden weitere Absichtserklärungen zwischen Serbien und diversen Unternehmen, darunter dem deutschen Autobauer Mercedes-Benz, unterzeichnet. Das MoU zwischen der EU und Serbien steht ganz klar im Zusammenhang mit der geplanten Lithium-Mine im Jadar-Tal, die vom internationalen Bergbaukonzern Rio Tinto erschlossen werden soll. Serbiens Präsident Vučić begrüßte das Projekt als eine große wirtschaftliche Chance für das Land. Scholz bezeichnete die Mine ebenfalls als ein „gutes Projekt für Serbien“ sowie „ein wichtiges europäisches Projekt und einen Beitrag zur Souveränität Europas“.
Hinter dem rosigen Werben für eine serbisch-europäische oder serbisch-deutsche Partnerschaft verbergen sich mehrere unschöne Entwicklungen.
Es ist nicht sonderlich überraschend, dass deutsche Politikerinnen und Politiker und EU-Beamte ein solches Projekt unterstützen. Schließlich würde damit sichergestellt, dass die wichtige Ressource Lithium, die für den grünen Wandel in der EU unerlässlich ist, in unmittelbarer Nähe der Union abgebaut wird. Allerdings verbergen sich hinter dem rosigen Werben für eine serbisch-europäische oder serbisch-deutsche Partnerschaft mehrere unschöne Entwicklungen und berechtigte Bedenken, sowohl im Umwelt- als auch im politischen Sinne.
Befürworterinnen des Bergbauprojekts, darunter Vučić selbst, betonen, die Gefahr von Umweltschäden könne minimiert werden. Kritiker hingegen sind der Ansicht, die Mine werde zweifellos enorme Schäden verursachen, die durch vergleichsweise bescheidene wirtschaftliche Gewinne nicht zu rechtfertigen seien. Tatsächlich sind die potenziellen Umweltauswirkungen des Lithiumabbaus im Jadar-Tal noch nicht komplett absehbar. Dennoch befürchten viele in Serbien, dass die Mine vor allem die Flüsse Drina, Sava und Donau irreparabel schädigen und verschmutzen könnte. Die Auswirkungen wären in großen Teilen des Landes zu spüren. Gegnerinnen und Gegner des Projekts monieren auch, eine solche Mine werde gerade in Serbien und nicht in Deutschland oder anderen EU-Mitgliedstaaten angestrebt, weil die Umweltstandards und Auflagen in dem Balkanland niedriger sind. Man fürchtet, Serbien könnte zu einer umweltverschmutzenden „Bergbau-Kolonie“ der EU werden.
Aufgrund dieser Bedenken wird der Lithiumabbau in Serbien kontrovers diskutiert. In Umfragen spricht sich die Mehrheit gegen die Mine im Jadar-Tal aus: 55 Prozent der serbischen Bevölkerung sind demnach dagegen, lediglich 25 Prozent dafür. Dabei ist anzumerken, dass der Widerstand trotz der klaren Unterstützung der Regierung für das Projekt besteht – und das in einem Umfeld, in dem die politische Führung die öffentliche Meinung üblicherweise nach ihren eigenen Vorstellungen formen kann, da sie die große Mehrheit der Mainstream-Medien kontrolliert. Somit könnte das Bergbauprojekt tatsächlich zum Problem für die Regierung werden. Frühere Proteste gegen den Lithiumabbau in den Jahren 2021 und 2022 hatten sich bereits zu den bisher erfolgreichsten Protestaktionen während der Regierungszeit von Vučić entwickelt. Die Demonstrationen waren damals von Gesetzesänderungen ausgelöst worden, von denen Gegner des Lithiumabbaus annahmen, dass sie mit dem geplanten Projekt in Jadar zusammenhängen. Letztendlich sah sich die Regierung gezwungen, die Änderungen rückgängig zu machen und das Vorhaben vorerst auf Eis zu legen.
Die Union und Deutschland fördern das in Serbien umstrittene Projekt.
Die Proteste waren unter anderem deshalb so erfolgreich, weil es selbst unter den Anhängerinnen und Anhängern der Regierungsparteien Anzeichen für Widerstand gegen die geplante Lithium-Mine gab. Auch damals nährten sich die Proteste sowohl aus Umweltbedenken als auch aus der nationalistischen Angst, vom Westen „kolonisiert“ oder durch die potenzielle Abhängigkeit gar existenziell bedroht zu werden. Ironischerweise warnen regierungsnahe Medien seit zwölf Jahren vor einer solchen „Kolonialisierung“ Serbiens durch den Westen. Nachdem das Rio-Tinto-Projekt 2022 also gestoppt worden war, konnte es im Juli 2024 wieder aufgenommen werden, nachdem das Verfassungsgericht die frühere Entscheidung der Regierung annulliert hatte. Dies spricht freilich Bände über den Zustand des Rechtsstaats in Serbien. Zeitgleich kam es darüber hinaus zum besagten Memorandum of Understanding mit der EU. Die Union und Deutschland fördern damit das in Serbien umstrittene Projekt.
Wie bereits erwähnt, ist die Unterstützung der EU und ihrer Mitgliedstaaten für das Bergbauprojekt verständlich, denn dadurch soll der „grüne Wandel“ ebenso wie die EU-Wirtschaft gestärkt werden. Es ist auch nachvollziehbar, dass Brüssel mit einer Stärkung der Partnerschaft zwischen der EU und Serbien sowie mit wirtschaftlichen Chancen für Serbien selbst wirbt – schließlich könnte der Mine eine ganze Wertschöpfungskette mit Lithiumverarbeitungsanlagen, Autobatteriefertigungen und E-Auto-Fabriken folgen.
Die EU kann es sich nicht erlauben, die Frage der Demokratie in Serbien um ihrer eigenen wirtschaftlichen Interessen willen zu ignorieren.
Dennoch muss die EU bei diesem Projekt vorsichtig vorgehen. Sie kann es sich nicht erlauben, die Frage der Demokratie in Serbien – und damit faktisch auch die Aussichten des Landes auf eine zukünftige EU-Mitgliedschaft – um ihrer eigenen wirtschaftlichen Interessen willen zu ignorieren. Besorgniserregend war dahingehend der Besuch von Scholz und Šefčovič am 19. Juli, der auf eine Periode schwerwiegender Rückschritte bei demokratischen Standards in Serbien folgte. Hinzu kommt die bisweilen heftige Anti-EU- und insbesondere Anti-Deutschland-Propaganda in Serbien. Während des Besuchs ging Scholz in keiner Weise auf diese Themen ein, während Šefčovič lediglich sagte, das Memorandum sei ein Beweis für den Wunsch der EU, Serbien so schnell wie möglich in die Union zu integrieren.
Dieser Ansatz spiegelt die viel kritisierte Politik einer Stabilitokratie wider – die Vorliebe der EU für Stabilität und die Verteidigung der eigenen Partikularinteressen auf dem Westbalkan, auch wenn dies auf Kosten von Demokratie und Rechtsstaatlichkeit vor Ort geht. Die Europäische Union verschließt damit effektiv die Augen vor den Demokratiedefiziten und lobt die (faktisch nicht vorhandenen) Fortschritte auf dem Weg zur EU-Mitgliedschaft. Sie erkauft sich in gewisser Weise Gefälligkeiten in der Region, ohne dass dies dem Fortschritt der jeweiligen Länder auf dem Weg zur EU-Mitgliedschaft tatsächlich zugutekommen würde.
In Serbien selbst dürfte Scholz’ und Šefčovičs Besuch dem ohnehin angeschlagenen Image der EU weiter geschadet haben. Denn nun dürften selbst Menschen mit einer pro-europäischen und pro-westlichen Einstellung enttäuscht sein: Sie beobachten gerade, wie hochrangige deutsche und EU-Politiker ein für die Umwelt potenziell katastrophales Projekt unterstützen und gleichzeitig die Augen vor den Demokratie- und Rechtsstaatsproblemen im Land zu verschließen scheinen.
Die serbische Regierung ihrerseits wird sicherlich wissen, wie sie das Beste aus der Situation machen kann: Indem sie eine vermeintlich EU-feindliche Opposition auf der Straße duldet und sich gleichzeitig mit dem Versprechen, die Mine zu öffnen, das Wohlwollen der EU-Spitzen erkauft, hofft sie, Kritik an den demokratischen Institutionen im Land zu entgehen. Paradoxerweise kann sie sich darüber hinaus als wichtige EU-Verbündete in der Region profilieren. Die Haltung ist kalkuliert: Denn Serbiens Führung signalisiert ansonsten immer wieder in Richtung Brüssel, dass man auch Alternativen habe und deswegen nicht allzu viel Druck auf Belgrad ausgeübt werden sollte. So wird die Stabilitokratie weiter gestärkt. Nichts weniger als die serbische Zukunft als EU-Mitglied steht so in akuter Gefahr.
Aus dem Englischen von Tim Steins