Italiens heißer Sommer endete mit einer kalten politischen Fusion – nun steht der Winter vor der Tür und es wird zusehends ungemütlich im Land: Venedig versinkt hilflos in gleichsam apokalyptischen Fluten, endlose Regenfälle setzen weite Landstriche unter Wasser, erneut bricht eine Autobahnbrücke zusammen (zum Glück ohne jene tragischen Opferzahlen wie vor einem Jahr in Genua), die Wirtschaft stagniert und die Politik macht das, was sie wohl am liebsten macht: sie beschäftigt sich mit sich selbst.

Verflogen scheint der Hauch von Aufbruchsstimmung, der das Land ergriff, als Salvini, der Führer der rechtspopulistischen Lega, vergeblich im August die „vollständige Macht“ für sich forderte - und scheiterte. Er hatte sich verzockt: statt die Regierung zu stürzen, Neuwahlen zu erzwingen und vom Innenministerium auf den Sessel des Regierungschefs zu wechseln, fand er sich auf der Oppositionsbank wieder.

Möglich wurde dieses Manöver durch eine atemberaubende politischen Kehrtwende: Die bis zum Sommer einander in erbittertster Feindschaft gegenüberstehende sozialdemokratische Partito Democratico (PD) und die populistische Fünfsternebewegung (Movimento 5 Stelle – M5S) schlossen eine neue Regierungskoalition. Das Bündnis war eine Zweckehe, eine kalte Fusion eben zweier politischer Gegner, primär getragen von dem Ziel, Neuwahlen zu verhindern und Salvini den Weg zu Macht zu versperren.

So mancher Parteigrande der M5S und an ihrer Spitze ihr Vorsitzender Luigi di Maio trauert insgeheim dem früheren Bündnis mit der Lega nach. So führt sich di Maio zusehends als Lordsiegelbewahrer von Salvinis Erbe auf.

Die neue Regierung legte zunächst einen ganz ordentlichen Start hin. An die Stelle von antieuropäischen „Italien zuerst“ Parolen trat eine nun sehr proeuropäische ausgerichtete Regierung. Wirtschaftliche Konsolidierung und europäische Zuverlässigkeit waren die beiden Grundaxiome der neuen Regierungspartner. Ein EU-regelkonformer Haushalt wurde auf den Weg gebracht, die Bekämpfung der endemischen Steuerhinterziehung (mal wieder) angegangen und erste Weichenstellungen für das bislang sehr vernachlässigte Politikfeld eines Green New Deals gelegt. Europa und die Wirtschaft schauten mit Wohlgefallen auf die neue Regierung. Zum einen war das Aufatmen über den Abtritt Salvinis in Brüssel und vielen europäischen Hauptstädten unüberhörbar, aber auch der Spread (also der Zinsaufschlag auf italienische Staatsanleihen im Vergleich zu deutschen) sank beachtlich und bescherte dem Finanzminister Minderausgaben in Milliardenhöhe.

Doch inzwischen schreitet die Erosion des Regierungsbündnisses schnell voran, maßgeblich verursacht auch durch die fortschreitenden Fragmentierungen sowohl bei PD als auch M5S. Kaum war die PD in die Regierung eingetreten, maßgeblich getrieben von ihrem vormaligen Vorsitzenden Matteo Renzi, vollzog dieser den Bruch und erklärte die Gründung einer eignen Partei, Italia Viva. Auf diese Weise wollte sich der machtbewusste ehemalige Regierungschef direkten Einfluss im Regierungsbündnis und am Kabinettstisch verschaffen, statt nur indirekt mühsam die Strippen ziehen zu können.

Aber auch der M5S steht vor starken inneren Zerwürfnissen. Zwar hatten die Mitglieder mit übergroßer Mehrheit per Internetvotum die Koalition mit PD befürwortet, doch so mancher Parteigrande und an deren Spitze ihr Vorsitzender Luigi di Maio trauert insgeheim dem früheren Bündnis mit der Lega nach. So führt sich di Maio zusehends als Lordsiegelbewahrer von Salvinis Erbe auf: Die rigiden Sicherheitsdekrete des vormaligen Innenministers, welche die Seenotrettung zu kriminalisieren suchten, werden für unantastbar erklärt, an dem wirtschafts- und sozialpolitischen Irrsinn der Quota 100 (einem höchst kostspieligen Frühverrentungsprogramm für Personen, deren Lebensalter plus Arbeitsjahre die Zahl 100 erreicht) wird festgehalten und eine Einbürgerungsmöglichkeit für die Kinder von Zugewanderten (ius culturae) brüsk abgewiesen.

Bei der PD wachsen zusehends die Zweifel, ob der Bund mit den Fünfsternen von langer Dauer sein wird. Man ist das erratische Agieren Di Maios leid.

Im Spätsommer sah es noch so aus, dass sich der M5S auf seine linken und ökologischen Wurzeln besinnen und zu einer konstruktiven Zusammenarbeit mit PD finden würde. Inzwischen wird dies zusehends fraglich. Das Wahlbündnis, das die beiden Parteien im Oktober für die Regionalwahl in Umbrien schlossen, hatte sich als nicht erfolgreich erwiesen. Die Fünfsterne wollen daher bei den kommenden Regionalpräsidentenwahlen mit eigenen Kandidaten antreten, was de facto die PD schwächen und die Chancen für einen Erfolg das geeinten rechten Lagers unter Salvini stärken wird.

Derweil stagniert die Wirtschaft und die Arbeitslosigkeit will nicht sinken. Dafür nehmen Abwanderung und schlechte Nachrichten zu. Währenddessen wartet Salvini auf das Auseinanderbrechen der Regierung. Erfolgreich besetzt er ein Thema, das die Regierung ins Schwanken bringt und ausländische Beobachter ins Staunen: der ESM, also der Rettungs- und Stabilitätspakt der Eurozone. Vor dem Hintergrund der eigentlich dieser Tage anstehenden Neuunterzeichnung wurde von Salvini erfolgreich das Gespenst auf die politische Bühne gezaubert, der ESM gefährde die Finanzhoheit Italiens und könne dazu führen, dass italienische Bürger deutsche Banken retten müssten. Di Maio machte sich diese Position mehr oder weniger zu eignen, mit dem Kalkül, seinen Niedergang in der Wählergunst mit nationalistischen Tönen aufzuhalten. Er fordert vom sozialdemokratischen Finanzminister Gualtieri ultimativ Nachverhandlungen in Brüssel und setzt das Regierungsbündnis einer starken Belastung aus.

Bei der PD wachsen zusehends die Zweifel, ob der Bund mit den Fünfsternen von langer Dauer sein wird. Man ist das erratische Agieren Di Maios leid. Der Vorsitzende der PD Zingaretti tat gut daran, nicht Teil der Regierung zu werden. Er versucht sich als ruhiger Pol und Brückenbauer – bislang noch erfolgreich. Im November fand ein Programmparteitag in Bologna statt, der die Partei stärker einen und das linke und auch ökologische Profil der PD schärfen sowie Aufbruchsstimmung verbreiten sollte.

Die Abspaltung von Renzis Italia Viva konnte weitgehend wieder aufgefangen werden: nach jüngsten Erhebungen käme der PD auf 21 Prozent, Renzi hingegen nur auf vier Prozent. Die Fünfsternebewegung ist von 35 Prozent bei den letzten Parlamentswahlen 2018 auf 16 Prozent abgestürzt. Die Lega käme auf 31 Prozent, Forza Italia auf sieben Prozent sowie die Fratelli d‘Italia 11 Prozent. Das rechte Lager erfreut sich also durchaus großen Zuspruchs. Bei Neuwahlen würde es mit großer Wahrscheinlichkeit zu einer Regierungsübernahme Salvinis kommen.

Ob und wann es zu Neuwahlen kommt, ist unklar. Es ist fraglich, wie lange der zentrale Kitt der Regierung – die Verhinderung Salvinis – die beiden Parteien noch zusammenhält.

Ob und wann es zu Neuwahlen kommt, ist unklar. Es ist fraglich, wie lange der zentrale Kitt der Regierung – die Verhinderung Salvinis – die beiden Parteien noch zusammenhält, insbesondere da Di Maio eine gewisse Nostalgie für die gemeinsame Zeit mit Salvini pflegt. Die Wahl in der Emilia Romagna am 26. Januar 2020 ist ein zentraler Stolperstein. Sollte diese historisch traditionell rote Region an die Lega fallen, würde das sicherlich zum Ende der Regierung führen. Die Entscheidung der M5S, mit einem eigenen Kandidaten anzutreten, hat die Wahlerfolgsaussichten für PD deutlich schwieriger gemacht und das Regierungsbündnis geschwächt.

Also: Salvini ante portas? Ganz so ausgemacht ist das noch nicht, seit in der Emilia Sardinen die öffentlichen Plätze fluten. Diese neue Protestbewegung gegen Hass, Spaltung und Zwietracht ist unlängst in Bologna entstanden. Vier junge Menschen wollten nicht weiter zuschauen, wie Salvini den virtuellen wie öffentlichen Raum mit seinen Parolen erstickt. Sie riefen zu einer Protestkundgebung auf den zentralen Platz Bolognas; es kamen über 12 000 Protestierende. Sie standen so eng auf der Piazza Maggiore zusammen wie Sardinen, fröhlich, friedlich, ohne Fahnen und Parteisymbole.

Zwischenzeitlich haben die Sardinen in vielen Städten Italiens den öffentlichen Raum mit solchen Kundgebungen erobert. Es wird das Lied der Resistenza „Bella Ciao“, aber auch die Nationalhymne gesungen. Sie verstehen sich bislang nicht als politische, sondern zivilgesellschaftliche Bewegung für ein vielfältiges und offenes Italien. Menschen aller Altersschichten findet man bei den Kundgebungen, die Mehrheit ist zwischen 20 und 50 Jahre alt. Viele von ihnen sind Wähler von PD oder M5S oder weiterer linker Parteien, fast die Hälfte aber sind enttäuschte Nichtwähler.

Salvini reagiert recht unbeholfen auf diese Protestwelle mit einer Flut von Bildern, die ihn oder Katzen Sardinen essend zeigen – doch so einfach wird er diese Bewegung nicht los. Für den 14. Dezember ist eine Großkundgebung in Rom angekündigt, anschließend wird sich zeigen, wie es mit der Sardinenbewegung weitergeht. Mit dem Wortspiel „Italia non si lega“ – Italien bindet sich nicht (an die Partei Lega) - haben die Sardinen Salvini erst einmal aus dem Tritt gebracht und eindrucksvoll gezeigt, wie vital, vielfältig und offenen dieses Land ist.