Aufgrund des russischen Angriffskriegs in der Ukraine leidet – wie der Rest Europas und der Welt – auch Italien massiv unter steigenden Energiepreisen. Wie viele andere Länder steht auch Italien vor einem lang anhaltenden wirtschaftlichen Schock und enormen Belastungen der Haushalte. An diesem Wochenende wird dort gewählt, und mit der Aussicht auf eine neue rechte Regierungskoalition und einer drohenden politischen Konfrontation zwischen Brüssel und Rom deutet alles auf eine Rezession hin, die noch viel schlimmer werden könnte als die aktuelle Krise.

Vor dem Krieg (2021) belief sich der Anteil der italienischen Exporte, die nach Russland gingen, auf 1,5 Prozent, während die Importe aus Russland bei etwa 3,8 Prozent der italienischen Gesamtimporte lagen. Also verzeichnete Italien im letzten Jahr gegenüber Russland ein Handelsdefizit. Dies wird sich 2022 wohl noch verstärken, da zwar weniger Gas importiert wurde, aber die Gas- und Ölpreise gestiegen sind. Außerdem sind die Exporte nach Russland wegen der Sanktionen eingeschränkt. In Deutschland war der Anteil der Exporte nach Russland im letzten Jahr mit 2 Prozent etwas höher. Auch der Importanteil lag bei 2 Prozent, und der Handelsüberschuss gegenüber Russland betrug 5 Milliarden. Außerdem machten die Importe fossiler Brennstoffe nur 9 Prozent der deutschen Gesamtimporte aus, und Preisdaten deuten darauf hin, dass deutsche Unternehmen im Juni 2022 ihr Gas (abzüglich Steuern und Abgaben) etwa 65 Prozent günstiger bekommen konnten als andere in der Eurozone (einschließlich Italien) – wahrscheinlich aufgrund besserer Langfristverträge.

Das Vertrauen in die kurz- bis mittelfristigen Perspektiven der energieintensiven italienischen Wirtschaftssektoren ist ziemlich gering.

Laut Daten von Gas Infrastructure Europe waren die Erdgasspeicher in der Europäischen Union am 31. August 2022 zu 80,35 Prozent gefüllt, in Italien 82,6 Prozent. Am 1. Oktober wurde das europaweite Ziel bis dahin bereits übertroffen, und der Wert von 90 Prozent für den kommenden Winter scheint erreichbar zu sein. Wird der Inlandsverbrauch klug rationiert (was vielleicht durch die globale Erwärmung erleichtert wird), sollten die gespeicherten Gasmengen und die neuen Bezugsquellen aus Norwegen, Algerien, Aserbaidschan und den Vereinigten Staaten (LNG) ausreichen, um die Energienachfrage bis zum nächsten Frühjahr zu decken. Allerdings ist das Vertrauen in die kurz- bis mittelfristigen Perspektiven der energieintensiven (italienischen) Wirtschaftssektoren ziemlich gering, da der Energiepreisschock noch länger andauern dürfte, was die Kosten und die relativen Preise der betroffenen Unternehmen dauerhaft beeinträchtigen würde. 

Die Inflation ist in Italien so hoch wie seit 36 Jahren nicht mehr: Im August lag sie bei 8,9 Prozent (verglichen mit durchschnittlich 9,1 Prozent in der Eurozone). Bis jetzt ist sie hauptsächlich eine kostengetriebene, importierte Inflation. Die längerfristigen Inflationserwartungen sind in Italien immer noch niedriger als im EU-Durchschnitt, und bis jetzt ist keine Preis-Lohn-Spirale erkennbar. Die Reallöhne sinken sogar: Auf seinem Höhepunkt nach der Finanzkrise, im ersten Quartal 2020, lag der entsprechende Index bei 104, und bis zum zweiten Quartal 2022 ist er auf 98 gesunken. Bei einem prognostizierten Anstieg der italienischen Nominallöhne zwischen 2021 und 2022 um 3,7 Prozent (fast genau der Wert wie im Durchschnitt in den EU27) wird erwartet, dass die Dividenden um 72 Prozent steigen (gegenüber 28,7 Prozent in der EU).

Die momentane italienische Inflation ist – zumindest in gewissem Maße – profitgetrieben. 

Man könnte also sagen, dass die momentane italienische Inflation – zumindest in gewissem Maße – profitgetrieben ist. Angesichts des großen Energieanteils am Warenkorb der Haushalte mit niedrigem und mittlerem Einkommen ist absehbar, dass die Kaufkraft der Ärmeren stark gelitten hat und weiter leiden wird. Wie üblich folgen die Lebenshaltungskosten „einem bekannten Weg enorm ungleicher Belastungen“. Deshalb hat das aus dem Amt scheidende Draghi-Kabinett einige Maßnahmen getroffen, um Haushalte mit niedrigem und mittlerem Einkommen für die massiv steigenden Energiepreise teilweise zu entschädigen. Allerdings scheint die Ungleichheit weiter zu steigen.

Es ist offensichtlich, dass die aktuelle europäische Regulierung der Gasmärkte (wenn man diese überhaupt als „Märkte“ bezeichnen kann) nicht mehr funktioniert, und dass die Energiepreise von den Gaspreisen abgekoppelt werden müssen – natürlich nicht nur, um die Italienerinnen und Italiener zu schützen. Angemessene angebotsseitige und regulatorische Maßnahmen der EU-Kommission und des Europäischen Rats, um ärmeren Familien sowie energieintensiven Unternehmen zu helfen, könnten dabei effektiver sein als Zinserhöhungen der EZB (die sowieso spät kommen und die kurzfristigen Realzinsen – mit minus 7,75 Prozent – auf einem wenig restriktiven Niveau belassen).

Die Staatsschulden scheinen für ziemlich lange Zeit nachhaltig zu sein – außer die neue Regierung verliert völlig die Kontrolle.

Wie so häufig muss man sich, was die italienische Wirtschaft betrifft, hauptsächlich um die Politik und die staatliche Verschuldung sorgen. Massive Inflation und hohes Realwachstums sorgen gemeinsam dafür, dass die Nachhaltigkeit der Staatsverschuldung (i-g<0) durchaus befriedigend ist (momentan liegen die Erträge der zehnjährigen Staatsanleihen bei 4 Prozent und die nominale Wachstumsrate bei 13 Prozent). Auch wenn die italienischen Langfristzinsen (und damit die durchschnittlichen Verschuldungskosten) wohl überproportional steigen dürften und eine Rezession im letzten Quartal 2022 zu erwarten ist, scheinen die Staatsschulden für ziemlich lange Zeit nachhaltig zu sein – außer die neue Regierung verliert völlig die Kontrolle über den Primärhaushalt und/oder das BIP stürzt ab. 

Das ziemlich außergewöhnliche BIP-Wachstum von 2021 (eine 6,6-prozentige Erholung nach dem 9-prozentigen Rückgang während der Pandemie 2020) und Anfang 2022 (plus 4,7 Prozent auf Jahresbasis) lag vor allem an Konsum und Investitionsausgaben. Private Investitionen wurden durch optimistische Erwartungen gestützt, die wiederum durch die rechtzeitige Planung und Umsetzung des National Recovery and Resilience Plan (NRRP) ausgelöst wurden, den die Europäische Kommission im Rahmen des europäischen Aufbauplans NextGenerationEU großzügig finanziert hat.

Die Rücktrittsankündigung von Ministerpräsident Mario Draghi Ende Juli hat allerdings das unternehmerische Vertrauen in eine Weiterführung des NRRP erschüttert. So hat Giorgia Meloni, Parteichefin der postfaschistischen Fratelli d’Italia und die wahrscheinliche Gewinnerin der Parlamentswahlen vom 25. September, bereits angekündigt, den NRRP (gegen den sie 2021 gestimmt hatte) zu überarbeiten. Dabei scheint ihr nicht bewusst zu sein, dass bereits der Versuch, die im NRRP festgelegten und von Rat und Kommission der EU genehmigten Ausgaben und Reformen neu zu verhandeln, die Finanzierung des Plans schnell blockieren und Italien inmitten steigender Inflation in eine neue Rezession stürzen würde. Dies wäre ein perfekter Sturm, für den die momentane Energiepreiskrise nur ein Vorläufer wäre.