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In der Natur ragt der Mensch wegen der Komplexität der von ihm entwickelten Werkzeuge, Technologien und Einrichtungen heraus. Laut dem Anthropologen Joseph Henrich verdanken wir diesen Erfolg unserer Fähigkeit, kulturelle Informationen über Generationen hinweg zu sammeln, weiterzugeben und anzupassen. Doch genau wie gegenseitige Verbindungen dazu führen, dass unsere „kollektiven Gehirne“ im Laufe der Zeit größer werden, können sie isolationsbedingt schrumpfen. Die Ökonomen sollten das zur Kenntnis nehmen.

Da Innovation und Sammeln soziokulturelle Prozesse sind, erstellen größere Bevölkerungen mit mehr Verbindungen mehr und zunehmend komplexere Werkzeuge. Die generationsübergreifende Erweiterung unserer kollektiven Gehirne hängt laut Henrich von der „Fähigkeit sozialer Normen, Einrichtungen und der von diesen geschaffenen Psychologien“ ab, Menschen zu ermutigen, ohne Hemmungen „neuartige Ideen, Vorstellungen, Erkenntnisse und Praktiken zu erstellen, weiterzugeben und neu zu kombinieren“.

Um zu sehen, wie die Isolation diesen Prozess stören und sogar umkehren kann, lohnt ein Blick auf Tasmanien. Vor rund 12 000 Jahren, als die Bass-Straße durch das Abschmelzen der Polkappen überflutet wurde, wurde Tasmanien vom australischen Festland abgeschnitten. Archäologische Überreste deuten darauf hin, dass die Bevölkerungen Tasmaniens und des Festlands vor dieser Trennung über dieselben Fähigkeiten, wie etwa das Feuermachen, und Technologien, darunter den Bumerang, den Speerwerfer und Werkzeuge aus poliertem Stein und Knochen, verfügten.

Doch als die Europäer Ende des 17. Jahrhunderts in Tasmanien ankommen, nutzten dessen Bewohner lediglich 24 der einfachsten Werkzeuge, die menschliche Bevölkerungen überhaupt entwickelt haben. Nicht nur waren sie nicht in der Lage gewesen, neue Fähigkeiten und Technologien zu entwickeln; sie hatten zugleich aufgehört, einige jener zu verwenden, die sie zuvor besessen hatten. Auf den Punkt gebracht hatte ihre geografische Isolation dazu geführt, dass sie im Laufe der Generationen ein erhebliches kulturelles Wissen verloren hatten.

Die Krise von 2008 hätte ein Augenöffner sein müssen, doch sie hat es nicht vermocht, Ökonomen und Politiker des Mainstream aus ihrer selbstgewählten geistigen Isolation aufzurütteln.

Die Tasmanier hatten ihre Isolation nicht selbst gewählt. Heute jedoch tun einige Gesellschaften und soziale Gruppen genau das. Und wie bei den Tasmaniern hat dies regressive Auswirkungen, darunter den Verlust sowohl bestehender Kenntnisse als auch einer gewissen Fähigkeit, neue Kenntnisse und Innovationen zu entwickeln. Dasselbe kann Berufsgruppen und wissenschaftlichen Disziplinen passieren. Die Ökonomen und Wirtschaftspolitiker des Mainstream sind ein Paradebeispiel dafür. Seit vier Jahrzehnten vertritt diese „Tribus“ ein bestimmtes Dogma, das eine eng begrenzte Reihe von Prinzipien und Mechanismen umfasst. Obwohl die Aufgabe der Tribus darin besteht, eine deutlich breiter angelegte Gesellschaft zu verstehen – und ihren Interessen zu dienen –, richtet sie den Blick zunehmend nach innen und widersetzt sich einer echten Interaktion mit anderen.

Die hieraus rührende geistige Isolation hat nicht nur dazu geführt, dass die Mitglieder der Tribus inzwischen unfähig sind, nicht der Orthodoxie entsprechende Ideen „weiterzugeben, zu entwickeln und neu zu kombinieren“. Sie hat sie zudem dazu gebracht, in der Vergangenheit weithin angewandte Werkzeuge zu verwerfen. Das bedeutsamste Beispiel hierfür ist die Fiskalpolitik, die bei Konjunkturabschwüngen wiederholt als Antwort auf eine stagnierende oder zurückgehende Nachfrage und sinkende private Investitionen abgelehnt wurde.

Diese Haltung ist seit der globalen Finanzkrise von 2008 überdeutlich geworden. Die Krise hätte ein Augenöffner sein müssen, doch sie hat es nicht vermocht, Ökonomen und Politiker des Mainstream aus ihrer selbstgewählten geistigen Isolation aufzurütteln. Infolgedessen konzentrierten sie sich fast ausschließlich auf die Geldpolitik und verwarfen die Fiskalpolitik ohne nachzudenken. Seit 2008 haben die Notenbanken der hochentwickelten Volkswirtschaften mehr als 20 Billionen Dollar gedruckt und die Zinsen steil gesenkt. Zudem hat eine Politik lockerer Kredite die globalen Schulden um rund 57 Billionen Dollar auf mehr als das Dreifache des weltweiten BIP ansteigen lassen.

Viele Regierungen weigern sich, die Fiskalpolitik einzusetzen. Sie entscheiden sich stattdessen für die Umsetzung von Steuersenkungen, die, was die Belebung des realen Wachstums angeht, weitgehend ineffektiv sind.

Natürlich spiegelte dieser Verlass auf die Geldpolitik – und die konkreten dabei eingesetzten Instrumente – statt eines Mangels an Wissen per se weitgehend die Lobbymacht des Finanzsektors wider. Doch sprechen sich heute selbst einige Finanzakteure für eine proaktivere Fiskalpolitik aus, und das aus gutem Grund: Die Erholung, die schon immer schwach war, läuft Gefahr, sich umzukehren. Angesichts noch immer extrem niedriger oder sogar negativer Zinssätze in vielen Ländern haben die Regierungen kaum noch geldpolitische Instrumente, mit denen sie auf einen Abschwung oder gar eine neuerliche Rezession reagieren könnten. Doch sie weigern sich stur, die Fiskalpolitik einzusetzen, und entscheiden sich stattdessen für die Umsetzung von Steuersenkungen, die, was die Belebung des realen Wachstums angeht, weitgehend ineffektiv sind.

In diesem Sinne sind die wirtschaftspolitischen Werkzeugkästen der Länder geschrumpft, und zwar ganz ähnlich den physischen Werkzeugkästen der Tasmanier. Dies spiegelt einen Verlust des Wissens über fiskalische Multiplikatoren wider, das in Zeiten des Abschwungs eine Richtschnur für die staatliche Ausgabepolitik bieten sollte und das historisch gesehen auch tat. Der über Jahrzehnte der Isolation verstärkte blinde Glaube an Haushaltsdisziplin und Konsolidierung bedroht nun die Stabilität dieser Volkswirtschaften selbst.

Die Tasmanier litten schrecklich, weil sie den Anschluss verloren hatten; die meisten von ihnen wurden von den technologisch viel fortschrittlicheren Europäern im 19. Jahrhundert abgeschlachtet. Falls die Tribus der Ökonomen und Wirtschaftspolitiker ihrem regressiven Kurs weiter folgt, werden die Ergebnisse auch hier katastrophal ausfallen, und zwar nicht nur für die Tribus selbst, sondern auch für die Gesellschaften, in denen sie agiert. Noch ist Zeit für diese Gesellschaften, sich zu retten und ihre kollektiven Gehirne zu nutzen, um die offensichtliche Regression dieser mächtigen Tribus zu überwinden. Ob sie das freilich tun bleibt abzuwarten.

Aus dem Englischen von Jan Doolan.

(c) Project Syndicate