Kommt die weltweite Wirtschaftselite in Davos zusammen, so schwingen die versammelten CEOs, Hedgefondsmanager und sonstigen Wirtschaftstitanen große Reden zu diversen Themen. Zu einem Thema jedoch schweigen sie: dem Ausmaß, in dem sie inzwischen Befugnisse ausüben, die einst Regierungen vorbehalten waren. Die Fähigkeit der Regierungen, die Bedürfnisse ihrer Bürger zu erfüllen, nimmt ab. Gleichzeitig wächst der politische Einfluss der Konzerne, und zwar teilweise – etwa im Falle großer Technologieunternehmen wie Facebook und Google – dramatisch.

Die Nationalstaaten scheinen angesichts der drängendsten Herausforderungen unserer Tage wie der Cyber-Sicherheit, dem Klimawandel, den geopolitischen Turbulenzen und der Migration nicht imstande, den Willen und die Mittel für eine angemessene Reaktion aufzubringen. Sind die Großkonzerne die Lösung, oder sind sie Teil des Problems?

Man betrachte die Frage der Sicherheit von Wahlen. In Reaktion auf die zunehmende Bedrohung durch ausländische Einflussnahme hat Google jüngst einen Plan vorgelegt, um bei den kommenden Wahlen zum Europaparlament Online-Manipulationen zu verhindern. Um das Fehlen eines EU-Rahmenwerks zur Regelung des Verfahrens zu kompensieren, sei das Unternehmen dabei, selbst „eine europaweite Richtlinie zu erstellen“. In ähnlicher Weise haben Facebook und Twitter die Zwischenwahlen vom vergangenen November in den USA genutzt, um neue Technologien zur Ermittlung und Löschung von Fake News und Falschinformationen auf ihren Plattformen zu testen.

In jedem dieser Fälle reagierten die Technologie-Giganten auf Forderungen der Öffentlichkeit. Innerhalb der Grenzen ihrer zunehmend einflussreichen Plattformen wird von führenden Social-Media-Unternehmen inzwischen erwartet, dass sie Aufgaben aller drei staatlichen Gewalten übernehmen. Sie stellen nicht nur eigene Richtlinien für das Verhalten online auf, sondern überwachen zugleich die Durchsetzung dieser Regeln und verhängen Urteile – etwa vorübergehende Sperrungen oder dauerhafte Nutzungsverbote – gegenüber Nutzern, die der Verstöße gegen die Regeln überführt wurden.

Während sich die multinationalen Konzerne zu einer globalen politischen Kraft eigenen Rechts entwickelt haben, ist der Autoritätsverlust unter den Nationalstaaten erheblich. 

Dies sind durchaus nicht die einzigen Beispiele dafür, wie multinationale Konzerne ihre eigene öffentliche Politik entwerfen und durchsetzen. Microsoft hat jüngst erklärt, es würde 500 Millionen Dollar ausgeben, um die Verfügbarkeit bezahlbaren Wohnraums in Seattle zu erhöhen. Dies wäre eigentlich Aufgabe des US-Ministeriums für Wohnungsbau und Stadtentwicklung und anderer Staats- und Bundesbehörden. Und auf dem Pariser Friedensforum im vergangenen November unterzeichneten Microsoft, Google, Facebook und andere Technologie-Giganten gemeinsam mit 50 Regierungen ein neues multilaterales Abkommen zur Cyber-Sicherheit. Die Regierungen der USA, Russlands und Chinas glänzten durch Abwesenheit.

Während sich die multinationalen Konzerne – insbesondere die US-Technologieunternehmen – zu einer globalen politischen Kraft eigenen Rechts entwickelt haben, ist der Autoritätsverlust unter den Nationalstaaten durch eine Kombination unterschiedlicher Faktoren bedingt. Hierzu gehören ein stockendes BIP-Wachstum, eine Staatsverschuldung in Rekordhöhe, die zunehmend polarisierte politische Landschaft und die gesetzgeberische Paralyse. In einer Gallup-Umfrage des Jahres 2018 äußerten lediglich 5 Prozent der teilnehmenden Amerikanerinnen und Amerikaner, sie hätten „eine Menge“ Vertrauen in den Kongress, während 46 Prozent „sehr wenig“ Vertrauen hatten. Bedenkt man, wie viele drängende Probleme heute über nationale Grenzen hinausreichen, überrascht das nicht. Die multinationalen Konzerne sind daher aufgrund ihrer Beschaffenheit in der Lage, ihren Einfluss auf die Politik auf globaler Ebene zu festigen.

Doch genießen multinationale Konzerne zugleich noch mehrere andere Vorteile, nicht zuletzt ihre großen finanziellen Ressourcen. Wäre Apple ein Land, so wäre sein BIP 2017 (bei Erlösen von 229 Milliarden Dollar) größer gewesen als das von Portugal; in ähnlicher Weise lagen Walmarts Einnahmen nur ganz knapp unter denen von Belgien. Und mit 237 Milliarden Dollar an Barreserven könnte Apple theoretisch ein Investitionsprogramm auflegen, das fast doppelt so groß wäre wie der Marshallplan (in heutigen Dollars).

Multinationale Konzerne sind in einzigartiger Weise in der Lage, neue Märkte im Bereich der technologischen Innovation anzuzapfen.

Die multinationalen Unternehmen sind zudem gut aufgestellt, um Unterschiede zwischen Regulierungs- und Steuersystemen auszunutzen. Laut einem aktuellen Aufsatz der Ökonomen Gabriel Zucman, Thomas R. Tørsløv und Ludvig S. Wier „werden weltweit jährlich fast 40% der Gewinne multinationaler Unternehmen in Steueroasen verschoben“. Und die multinationalen Konzerne sind in einzigartiger Weise in der Lage, neue und sich ständig wandelnde Märkte insbesondere im Bereich der technologischen Innovation (künstliche Intelligenz, Biotechnik usw.) anzuzapfen, in denen die Regierungen mit dem Fortschritt nicht schritthalten können.

Angesichts dieser Lage überrascht es nicht, dass die großen „Mondlandungsprojekte“ des frühen 21. Jahrhunderts eher von privaten Unternehmen als von Regierungen ausgehen dürften. So führt das vom PayPal-Mitgründer und Tesla-Gründer Elon Musk gegründete SpaceX die Bemühungen zur Kolonialisierung des Mars an. In ähnlicher Weise hat Facebook die Möglichkeit sondiert, über solarbetriebene Drohnen einen universellen Internetzugang zu ermöglichen. Alphabet (die Muttergesellschaft von Google) hat dasselbe getan, aber mit Heißluftballons.

Und anders als in den 1960er Jahren, als nur die NASA geeignete Mitarbeiter und sonstige Ressourcen zusammenbringen konnte, um die erste Mondlandung zu organisieren, überlegt die Behörde inzwischen, einen Teil ihrer eigenen Erforschung und Konstruktion von Raketen an private Konzerne zu vergeben. Allgemein hängt die NASA bei ehrgeizigen langfristigen Projekten – wie einer neuen Mondlandung oder Erkundungsflügen zum Mars – mehrere Jahre hinter dem privaten Sektor zurück.

Sind freiheitliche Demokratien überhaupt mit einer politischen Ökonomie kompatibel, in der einige hochprofitable Unternehmen in der Lage sind, ihre eigene öffentliche Politik zu verfolgen?

Diese Entwicklungen entsprechen dem, was Susan Strange von der London School of Economics als „Rückzug des Staates“ bezeichnet hat – ein Phänomen, das Implikationen von grundlegender Bedeutung für die Politik, Wirtschaft, internationale Steuerung und Sicherheit bereithält. Die jüngste Gegenreaktion auf die großen Technologieunternehmen wirft die Frage auf, ob die freiheitlichen Demokratien überhaupt mit einer politischen Ökonomie kompatibel sind, in der einige wenige ausgewählte, hochprofitable Unternehmen in der Lage sind, mit wenig oder ganz ohne Beaufsichtigung ihre eigene öffentliche Politik zu verfolgen. Wie also sollten Nationalstaaten und internationale Organisationen auf diese Herausforderung reagieren?

Die Geschichte hält hier einige Anhaltspunkte parat. Zunächst einmal sollte man sich in Erinnerung rufen, dass die heutigen Technologie-Giganten in einem Raum – nämlich dem Internet – agieren, der ursprünglich von den Regierungen erschaffen wurde. Und wie Mariana Mazzucato vom University College London festgestellt hat, profitierten die meisten dieser Unternehmen in zentralen Phasen ihrer Entwicklung von umfassender öffentlicher Unterstützung. Dasselbe galt vor 400 Jahren, als Unternehmen wie die East India Company auf den Plan traten, um die sich durch die Entdeckung der „Neuen Welt“ bietenden Möglichkeiten auszunutzen. Im Laufe der Zeit erlangten diese Unternehmen beherrschenden Einfluss auf die Wirtschaftsbeziehungen und die Außenpolitik ihrer jeweiligen Staaten.

Die europäischen Regierungen hatten diesen Unternehmen im Namen der Wirtschaftlichkeit in ihren ursprünglichen Gründungsurkunden beispiellose Privilegien gewährt – eine Regelung, die zu Gewinnen und politischer Macht von nie gekannten Ausmaßen führte. Die erfolgreichsten „Multis“ jener Zeit waren die britische East India Company (EIC) und die niederländische Vereenigde Oostindische Compagnie (VOC). Diese beiden vorherrschenden Firmen übertrafen im Laufe der Zeit die entsprechenden französischen, portugiesischen und dänischen Unternehmen und verdrängten sie letztlich komplett vom indischen Subkontinent. Einige Schätzungen beziffern den Nettowert der VOC auf dem Höhepunkt des Unternehmens auf rund 7,9 Billionen heutige Dollars; dies entspricht dem gemeinsamen BIP von Japan und dem Vereinigten Königreich, der dritt- und der fünftgrößten Volkswirtschaft der Welt.

In Ermangelung einer Regulierung hatten sich diese Unternehmen in private Imperien verwandelt. Die Parallelen zur heutigen Zeit sollten offensichtlich sein.

Neben ihren offiziellen Handelsmonopolen auf dem indischen Subkontinent genossen EIC und VOC das Recht, Verträge mit regionalen Mächten wie dem Mogulreich und dem Reich der Marathen zu schließen, Festungen zu errichten, Geld auszustellen, Verwaltungsfunktionen in der Region auszuführen und sogar Truppen aufzustellen. Dank ihrer innovativen Leitungsstruktur als Aktiengesellschaften wurden beide immer reicher und mächtiger und entsprechend gegenüber den Staaten, die ihre Gründung ursprünglich sanktioniert hatten, weniger rechenschaftspflichtig.

Tatsächlich kam es trotz der hohen Anschubinvestitionen der britischen und niederländischen Regierungen in ihre nationalen Champions letztlich so weit, dass EIC und VOC nur noch ihren Aktionären gegenüber verantwortlich waren. Das beständige Streben nach Profiten führte sie dazu, neue Territorien zu erobern, Steuern von den lokalen Bevölkerungen zu erheben und ihre militärischen Kapazitäten auszuweiten. Im Jahr 1803 verfügte die EIC über eine Streitmacht von 260.000 Soldaten; das war doppelt so groß wie die britische Armee. In Ermangelung einer Regulierung hatten sich diese Unternehmen in private Imperien verwandelt. Als die britische und die niederländische Regierung versuchten, die Kontrolle zurückzugewinnen, erkannten sie, dass EIC und VOC sich parlamentarischen Einfluss erkauften, um sich ihre Privilegien zu bewahren. Die Parallelen zur heutigen Zeit sollten offensichtlich sein.

Der letztliche Niedergang dieser Handelsgiganten ist ebenfalls aufschlussreich. Das Geschäftsmodell von EIC und VOC geriet ins Stocken, als der innerasiatische Handel – in erster Linie infolge regionaler Kriege – zurückging. In dem Versuch, ihre früheren Landnahmen zu konsolidieren, entwickelten sich sowohl EIC als auch VOC zu stärker traditionellen landwirtschaftlichen Unternehmen.

Bei den Cyber-Fähigkeiten bestehen zwischen staatlichen und privaten Akteuren nur geringe Unterschiede.

Diese Entscheidung freilich erwies sich in der zweiten Hälfte des 18. Jahrhunderts, als weit verbreitete Hungersnöte zu deutlichen Mindereinnahmen aus den Ländereien führten, als nachteilig. Der gegenseitige Wettbewerb von EIC und VOC schwächte ihre Bilanzen zusätzlich. Nicht überraschend hatte beider Rivalität beim Handel zudem starke Folgen auf ihre jeweiligen Länder. Handelsinteressen verstrickten Großbritannien und die Niederlande 1652-1654, 1665-1667 und erneut 1672-1674 in offene Kriege. Und insgesamt führten die Krisen, die die europäischen Indien-Gesellschaften trafen, zum Zusammenbruch von mehr als 30 Banken in ganz Europa.

Die von interner Korruption heimgesuchte VOC wurde letztlich 1799 aufgelöst. Ihre indonesischen Besitztümer wurden von der niederländischen Regierung beschlagnahmt und anschließend als nationale Kolonie verwaltet. Die EIC überlebte noch ein weiteres halbes Jahrhundert. Doch war sie nach 1773 nur noch ein Schatten ihrer selbst. Im ersten Mega-Bailout der Geschichte musste die britische Regierung eingreifen, um das Unternehmen zu retten. Dies gab dem Staat das Recht, den Giganten durch eine Regulierung zur Unterwerfung zu zwingen. Und die große Rebellion von 1857 in Indien – eine öffentliche Reaktion auf von der EIC begangenen Missbrauch – verschaffte der britischen Regierung endlich eine Ausrede, das Unternehmen und alle seine indischen Besitztümer zu verstaatlichen.

Natürlich gibt es trotz aller Ähnlichkeiten auch wichtige Unterschiede zwischen den europäischen Indien-Gesellschaften und den heutigen multinationalen Konzernen. Keiner der modernen Technologie-Giganten verfügt über eine Privatarmee, die dem US-Militär gewachsen wäre. Allerdings bestehen, was die Cyber-Fähigkeiten angeht, zwischen staatlichen und privaten Akteuren sehr viel geringere Unterschiede.

Das Versagen des Geschäftsmodells eines riesigen Unternehmens kann bedeutende Auswirkungen haben auf Nationalstaaten und deren Gesellschaften.

Bei aller Vorsicht legen diese Parallelen nahe, dass die Lehren aus der Vergangenheit unsere Herangehensweise an die Steuerung der Unternehmensmacht heute beeinflussen können und sollten. Wenn man es privaten Unternehmen erlaubt, im Auftrag von Staaten neuen, umfassenden wirtschaftlichen Chancen nachzujagen, können sie sich der Kontrolle ihrer jeweiligen Regierungen nur allzu leicht entledigen. Dies ist eine Lehre der Geschichte. Wenn das passiert, kann es äußerst schwierig sein, die staatliche Autorität wiederherzustellen.

Das Versagen des Geschäftsmodells eines riesigen Unternehmens kann bedeutende Auswirkungen haben auf Nationalstaaten und deren Gesellschaften. Man betrachte etwa den Cambridge-Analytica-Skandal, bei dem Facebook es politischen Akteuren gestattete, die Daten von mehr als 70 Millionen Nutzern abzugreifen und zielgerichtete Werbeanzeigen zu nutzen, um die US-Präsidentschaftswahl von 2016 zu beeinflussen (eine Wahl, die letztlich durch eine kleine Zahl von Wechselwählern entschieden wurde).

Es bleibt abzuwarten, ob die Nationalstaaten ihre Rolle als primäre Quelle der Regierungsführung und der Sicherheit, insbesondere in neuen, unregulierten Bereichen, erneut werden geltend machen können. Es gibt viele mögliche Ansätze für das Problem, von der Regulierung der Wirtschaftsaktivitäten der Technologiekonzerne bis hin zu ihrer Behandlung als öffentliche Versorger, durch welche ihre Fähigkeit zur Expansion begrenzt würde.

Das Machtgleichgewicht wird sich noch eine ganze Weile weiter in Richtung der Großkonzerne verlagern.

Die Europäische Union versucht derzeit, den großen Technologiekonzernen durch strikte Durchsetzung der EU-Kartellbestimmungen die Grenzen aufzuzeigen. In den letzten Jahren hat die EU hohe Geldbußen gegen Intel, Google, Qualcomm und Facebook verhängt oder überprüft diese noch. Sie zieht zudem eine neue digitale Steuer in Betracht, um die Fähigkeit der Konzerne zur Steuer-Arbitrage zu begrenzen, bei welcher diese ihre Gewinne von Ländern mit hohen Steuersätzen in solche mit niedrigen Steuersätzen verlagern.

In den USA dagegen haben die Regierung von Präsident Donald Trump und die Republikaner im Kongress hohe Steuersenkungen verabschiedet um sicherzustellen, dass die meisten multinationalen Konzerne mit Sitz in den USA in der territorialen und legislativen Reichweite des Landes verbleiben. Es ist schwer zu sagen, welcher dieser beiden Ansätze effektiver sein wird.

Höchstwahrscheinlich jedoch werden die zunehmenden Unterschiede bei der nationalen Politik die transatlantische Kluft vertiefen, ohne zum Kern des Problems vorzudringen. Letztlich erfordert die Rückeroberung der Souveränität von den multinationalen Konzernen internationale Zusammenarbeit. Um diese aber war es in den letzten Jahren herzlich schlecht bestellt. Infolgedessen wird sich das Machtgleichgewicht noch eine ganze Weile weiter in Richtung der Großkonzerne verlagern. Und wie wir in Davos gesehen haben, ist es den Eigentümern und Führungskräften dieser Unternehmen umso lieber, je weniger am darüber spricht.

Aus dem Englischen von Jan Doolan.

(c) Project Syndicate