Russland und der Iran scheinen außenpolitisch derzeit fest an einem Strang zu ziehen. „Die Ursache für das Leiden der Menschheit sind Unilateralität und eine ungerechte Weltordnung, was gerade im Gazastreifen wieder deutlich wird.“ Das waren die Worte des iranischen Präsidenten Ebrahim Raisi bei einem Treffen mit seinem russischen Amtskollegen Wladimir Putin am 7. Dezember 2023. Zusammen mit dem Hintergrund, in dem die Aussage gemacht wurde – einem iranisch-russischen Gipfeltreffen in Moskau –, fasst sie kurz und bündig zusammen, wie der Gaza-Krieg dazu geführt hat, dass der Iran in Russland einen festen Partner in seiner Haltung gegenüber Israel und dem Krieg sieht, was noch durch gemeinsame Standpunkte zu anderen wichtigen internationalen Themen untermauert wird. Auch wenn Putin Raisis Äußerung nicht ausdrücklich unterstützte, enttäuschte er seinen Besucher aber auch nicht, indem er als ein Thema der bilateralen Verhandlungen auf das gegenseitige Verständnis der beiden Staaten in regionalen Fragen hinwies, einschließlich des Gaza-Konflikts.
Das Treffen von Raisi und Putin war das wichtigste diplomatische Ereignis zwischen Iran und Russland in Bezug auf Gaza seit Kriegsbeginn, aber nicht das einzige. Schon gleich nach Ausbruch des Krieges in Gaza war das Thema immer wieder Gegenstand von Telefongesprächen und persönlichen Treffen zwischen Vertretern beider Länder. Über den bilateralen Rahmen hinaus wurde und wird diese gemeinsame Haltung in der Gaza-Frage auch auf multilateralen Plattformen angesprochen, an denen sowohl der Iran als auch Russland beteiligt sind.
Besonders hervorzuheben ist hier das trilaterale Treffen zwischen dem Iran, Russland und der Türkei im Rahmen des „Astana-Formats“. Obwohl es in diesem Forum in erster Linie um Syrien geht, betonten die drei Staaten in ihrer Abschlusserklärung, dass es wichtig sei, eine Ausweitung des bewaffneten Konflikts über den Gazastreifen hinaus und das Eingreifen anderer Staaten aus der Region in den Konflikt zu verhindern. Sie brachten auch ihre „tiefe Besorgnis über die humanitäre Katastrophe im Gazastreifen“ zum Ausdruck und betonten die Notwendigkeit, die „brutalen Angriffe Israels auf die Palästinenser zu beenden und humanitäre Hilfe nach Gaza zu schicken“.
Die zunehmende Übereinstimmung zwischen dem Iran und Russland in der Gaza-Frage kommt auch in den offiziellen Statements zum Ausdruck.
Die zunehmende Übereinstimmung zwischen dem Iran und Russland in der Gaza-Frage kommt auch in den offiziellen Statements zum Ausdruck, die beide Staaten unabhängig voneinander veröffentlichen. Eine solche Übereinstimmung ist schon seit Beginn der russischen Invasion in der Ukraine und der iranischen Unterstützung für diese Invasion ersichtlich, da beide Staaten der Politik des Westens, vor allem der Vereinigten Staaten, die Schuld an den internationalen Problemen und Krisen zuschieben. Sowohl der Iran als auch Russland bezeichneten die Reaktion des Westens auf den Gaza-Konflikt als heuchlerisch und stellten sie den Reaktionen des Westens in anderen Konflikten in der Welt, insbesondere in der Ukraine, gegenüber. Dieses Narrativ zielt darauf ab, vermeintliche Widersprüche und verzerrte Sichtweisen in der westlichen Außenpolitik aufzudecken. Beide Regierungen plädieren auch dafür, regionale Probleme auf regionaler Ebene zu lösen, und sind gegen jegliche Einmischung des Westens in den Nahen und Mittleren Osten.
Die Übereinstimmung bei den Narrativen und Wahrnehmungen zwischen dem Iran und Russland geht tatsächlich über den unmittelbaren Zusammenhang des Gaza-Kriegs hinaus. Sie ist Teil einer umfassenderen Strategie, die auf eine Veränderung der Weltordnung abzielt – hin zu einem eher multipolaren Gefüge, in dem die westliche Dominanz angefochten wird und alternativen Machtzentren wie dem Iran und Russland eine gewichtigere Rolle zukommt. Gleichzeitig wird das erfolglose Bemühen der internationalen Institutionen, einschließlich der Vereinten Nationen, um eine Beendigung des Gaza-Kriegs auf den negativen Einfluss des Westens auf diese Institutionen zurückgeführt.
Gaza könnte nach Syrien und dem Südkaukasus zu einem weiteren Schauplatz für die trilaterale Zusammenarbeit von Teheran, Moskau und Ankara werden.
Dieser Aspekt scheint von größerer Tragweite zu sein. Die Gespräche im Astana-Format über Syrien machen deutlich, wie sehr sich neben dem Iran und Russland auch die Türkei, die ebenfalls Kritik an der Reaktion des Westens auf den Gaza-Krieg übte, für die Einrichtung alternativer Plattformen zur Konfliktlösung und für internationale Zusammenarbeit einsetzt. Der Fokus auf Gaza in der Abschlusserklärung des Astana-Treffens bedeutet im Grunde, dass der Iran, Russland und die Türkei beabsichtigen, ihre trilaterale Kooperation in Syrien, die in gewissem Umfang auch im Südkaukasus während des letzten Kriegs zwischen Aserbaidschan und Armenien stattfand (im sogenannten 3+3-Format), auf einen breiteren Kontext im Nahen und Mittleren Osten auszuweiten. Trotz zum Teil unterschiedlicher Positionen könnte Gaza nach Syrien und dem Südkaukasus zu einem weiteren Schauplatz für die trilaterale Zusammenarbeit von Teheran, Moskau und Ankara werden.
Auf jeden Fall hat Russland – wie von vielen beim Ausbruch des Gaza-Kriegs erwartet – den Konflikt als Gelegenheit genutzt, seine Beziehungen im Globalen Süden auszuweiten, insbesondere zu muslimischen Ländern, die Israels Vorgehen im Gazastreifen kritisieren. In diesem Zusammenhang spielten die russischen Beziehungen zur Islamischen Republik eine besonders einflussreiche Rolle. Zum einen ergreift der Iran als wesentlicher Unterstützer der Hamas und als Israels größter Gegner jede Gelegenheit, die internationale Unterstützung für seinen Verbündeten zu vergrößern und Israels Position zu schwächen. Zum anderen bestätigt die russische Haltung die Führung der Islamischen Republik darin, dass es eine kluge Entscheidung war, Moskau im Ukraine-Konflikt zu unterstützen.
Das Übergreifen des Gaza-Kriegs auf andere Gebiete des Nahen Ostens und das Eingreifen von Irans Stellvertretern und nicht-staatlichen Verbündeten in der „Achse des Widerstands“ – von den Huthis im Jemen bis hin zu den irakischen Milizen – haben der ohnehin schon komplexen Dynamik zwischen dem Iran und dem Westen eine weitere Ebene hinzugefügt. Die Westmächte, allen voran die Vereinigten Staaten und Großbritannien, schreiben die Verantwortung für die Huthi-Angriffe im Roten Meer und die Operationen der schiitischen Milizen im Irak und in Syrien immer häufiger dem Iran zu. Nach der Ausweitung des iranischen Atomprogramms, Teherans Unterstützung für Moskau im Ukraine-Krieg und der Unterdrückung der Massenproteste im Iran 2022 stellt der Gaza-Krieg in der Tat ein zusätzliches Problem in der iranisch-westlichen Beziehung dar. Diese Entwicklungen trüben auch die Aussichten auf eine Wiederbelebung des Atomabkommens mit dem Iran oder den Abschluss eines neuen Abkommens zwischen dem Iran und den USA. Aufgrund dessen ist zu erwarten, dass sich der Iran noch stärker seinen östlichen Partnern zuwendet, vor allem Russland und China.
Zudem hat der Gaza-Krieg die Grenzen der iranischen Strategie einer asymmetrischen Kriegsführung mittels Stellvertretern und nicht-staatlichen Verbündeten offengelegt. Die US-amerikanischen Luftschläge im Jemen sowie im Irak und in Syrien haben zwar nicht die Abschreckung wiederhergestellt, was Washington sich erhofft hatte, aber doch deutlich gemacht, dass Irans Netzwerk aus nicht-staatlichen Verbündeten und Stellvertretern verwundbar ist. Die fortgesetzten militärischen Operationen Israels gegen die Hamas haben die militärischen Fähigkeiten der palästinensischen Miliz mittlerweile erheblich geschwächt. Einige Analysten vermuten, dass dies den Iran dazu bringen könnte, Atomwaffen als letztes Abschreckungsmittel zu entwickeln.
Als alternative oder zusätzliche Strategie könnte der Iran die Bildung eines militärischen Bündnisses mit befreundeten Mächten wie Russland und China in Erwägung ziehen. Der Besuch Ali Akbar Ahmadians, des Vorsitzenden des iranischen nationalen Sicherheitsrats, in Moskau und die erhöhte Fokussierung von beiden Seiten auf den Abschluss eines Abkommens über eine langfristige strategische Zusammenarbeit sollten vor diesem Hintergrund gesehen werden. Gleichzeitig sind Berichte aufgetaucht, aus denen hervorgeht, dass der Iran letztlich beschlossen hat, ballistische Raketen an Russland zu liefern. Zudem hat Russland ein neues Modell iranischer Drohnen gekauft, die Shahed 238. All das weist darauf hin, dass beide Seiten aufgrund ihrer praktischen Erfordernisse und langfristigen strategischen Perspektiven immer mehr dazu tendieren, eine stabile militärische Partnerschaft aufzubauen.
Auch wenn der Iran beschließen sollte, Atomwaffen zu entwickeln, wäre er auf die Unterstützung Russlands angewiesen.
Auch wenn der Iran beschließen sollte, Atomwaffen zu entwickeln, wäre er auf die Unterstützung Russlands angewiesen. Deshalb sind die Beziehungen zu Russland so wichtig für das Land. Derzeit gibt es keine konkreten Anhaltspunkte dafür, dass Russland einen atomar bewaffneten Iran gutheißen würde. Das ist jedoch nicht völlig ausgeschlossen, sondern hängt von den zukünftigen Beziehungen zwischen Russland und dem Westen ab.
Die genannten Faktoren haben das iranische Vertrauen in Russland als strategischen Partner gestärkt. Gleichzeitig scheint sich die russisch-israelische Beziehung einem Punkt zu nähern, von dem es kein Zurück mehr gibt. Tatsächlich ist es für Russland entscheidend, dass Israel nicht die Ukraine unterstützt. Aber angesichts des Gaza-Kriegs muss Israel zumindest kurzfristig seinen eigenen Sicherheitsbedürfnissen Vorrang einräumen und scheint nicht in der Lage, im Ausland wesentliche Unterstützung zu leisten. Zudem ist Russland jetzt ziemlich zuversichtlich in Bezug auf das Erreichen seiner Ziele in der Ukraine. Das heißt aber nicht, dass Russland seine Beziehungen zu Israel völlig anders handhaben will, sondern dass Moskau denkt, jetzt die Oberhand in dieser Beziehung zu haben.
Es gibt jedoch auch Faktoren, die es infrage stellen könnten, dass sich aus der iranisch-russischen Partnerschaft ein festes Bündnis entwickelt. Insbesondere das russische Ziel, die Beziehungen zu den arabischen Staaten am Persischen Golf zu pflegen, um Investitionen anzulocken und diese Beziehungen für diplomatische Manöver zu nutzen, ist für Moskau wichtig – so wichtig, dass Russland bereit war, die Position der Vereinigten Arabischen Emirate in Bezug auf drei Inseln im Persischen Golf zu unterstützen, um die sich die VAE und der Iran streiten. Das hat selbst in den höchsten politischen Kreisen des Irans eine nie dagewesene Kritik an Moskau ausgelöst.
Letztlich sah sich Russland gezwungen, erneut sein Engagement für die territoriale Integrität des Irans zu beteuern. Derzeit erleichtert die zum Teil durch den Gaza-Krieg bedingte Verbesserung der Beziehungen zwischen Teheran und den arabischen Hauptstädten Russlands Gratwanderung in seinen Beziehungen zu beiden Seiten des Persischen Golfs. Es ist jedoch keineswegs sicher, dass dies langfristig so bleibt.