Ägypten
Die jüngsten Äußerungen von Donald Trump hinsichtlich der Zukunft des Gazastreifens haben Kairos Ängste weiter befeuert. Die Verdrängung der palästinensischen Bevölkerung nach Ägypten, vor allem auf die Halbinsel Sinai ist für Ägypten die letzte große rote Linie – die Überschreitung würde sowohl für die Bevölkerung als auch für das Regime das Fass zum Überlaufen bringen. Die Regierung äußerte sich wiederholt deutlich: Ägypten akzeptiere weder eine Zwangsvertreibung in den Sinai noch Angriffe auf seine territoriale und politische Sicherheit – insbesondere aus Sorge vor massiven öffentlichen und internen Reaktionen. Selbst Präsident Al-Sisi erklärte auf einer Pressekonferenz, dass, wenn er die ägyptische Bevölkerung nach ihrer Meinung zu Trumps Plänen fragen würde, die Antwort „nein“ lauten würde. Einerseits ist die Palästinenser-Frage ein sensibles Thema für die ägyptische Regierung, andererseits kann sie auch der Mobilisierung dienen. Denn die Meinung der Bevölkerung ist eindeutig: Die Ungerechtigkeit gegenüber den Palästinensern darf nicht unterstützt werden. Ende Januar zogen tausende Menschen in einer organisierten Demonstration nach Rafah, um gegen die Vertreibung der palästinensischen Bevölkerung zu demonstrieren. Die öffentliche Zurückweisung von Trumps Plänen und die Demonstrationen könnten einen Moment nationaler Einheit kreieren.
Für Ägypten stellt Trumps Plan eine ernsthafte Gefahr dar. Infolge des Friedensvertrags von 1979 waren die bilateralen Beziehungen zwischen Ägypten und Israel weitgehend stabil, geprägt von wachsendem Handel und Sicherheitskooperation. Seit dem 7. Oktober reagiert Ägypten mit Besorgnis und Frustration auf Israels Vergeltungsmaßnahmen. Israel hat mehrfach von Kairo klar definierte rote Linien überschritten – insbesondere durch die militärische Übernahme des Philadelphi-Korridors und des Grenzübergangs Rafah im Mai 2024. Diese Maßnahmen beeinträchtigen Ägyptens territoriale Integrität und verletzen bestehende bilaterale Abkommen. Dies sorgt sowohl in der Regierung als auch in der Bevölkerung für Frust. Vor diesem Hintergrund wird es für Ägypten zunehmend schwieriger, die Balance zwischen regionalen und internationalen Deeskalationsbemühungen einerseits und dem wachsenden innenpolitischen Druck andererseits zu wahren.
Seit Trumps Ankündigung haben Präsident Al-Sisi und Außenminister Abdelatty gemeinsam mit internationalen Verbündeten ihre klare Ablehnung bekräftigt. Kairo hat zudem seine Militärpräsenz im Sinai und an den Grenzübergängen zur Halbinsel deutlich verstärkt – ein Signal, dass diese Ablehnung notfalls auch militärisch untermauert werden könnte. Ob dies lediglich der Abschreckung dient oder eine tatsächliche Handlungsbereitschaft signalisiert, bleibt jedoch unklar.
Wie weit sind die USA und Israel bereit zu gehen?
Ägypten steht vor einem Dilemma: Das Land befindet sich in einer tiefen Wirtschaftskrise und ist stark von externen Finanzströmen abhängig. Trump könnte dies auszunutzen versuchen und Druck auf Ägypten ausüben. Dahingehend betonte Premierminister Madbouly die sicherheitspolitischen Risiken des Plans und bekräftigte, dass Ägypten als zentraler Vermittler keine Destabilisierung der Region zulassen werde und dass es hinter der territorialen Integrität der Palästinenser stehe. Ägypten organisiert zudem relativ kurzfristig einen Notfallgipfel zu dem Thema und wird versuchen, eine internationale Allianz zu schaffen. Doch zentrale Fragen bleiben: Wie weit sind die USA und Israel bereit zu gehen – und gibt es eine rote Linie, die sie nicht überschreiten?
Ronja Schiffer, FES Kairo
Palästinensische Gebiete
Die Palästinenser im Gazastreifen kehren in den völlig verwüsteten Landstreifen zurück und bauen wieder auf, wo und wie auch immer es geht. Bilder von Menschen, die Schutt aus ihren Häusern kehren, Tee kochen mit Blick auf Ruinen oder vor völliger Zerstörung stehen, zirkulieren in sozialen Netzwerken. Inmitten dieser Bilder aus den Trümmern, schlagen nun Trumps Äußerungen ein. Die Empörung, Ungläubigkeit, aber auch die Sorge ist groß. Die Vereinten Nationen sprechen von ethnischer Säuberung, sollte der absurde wie gefährliche Vorschlag umgesetzt werden.
Wenngleich der Vorschlag, mehr als zwei Millionen Menschen zu vertreiben, von vielen Palästinenserinnen und Palästinensern als unmöglich umsetzbar angesehen wird, wird er mit großer Sorge aufgefasst. Zum einen prägen die Erinnerung an frühere Vertreibungen – insbesondere 1948 und 1967 – die Lebensrealität der Palästinenser. Doch nicht nur Trumps Äußerung über eine erneute Vertreibung im Gazastreifen schüren Ängste. Auch die Politik der israelischen Regierung im Westjordanland mit dem illegalen Siedlungsbau, den allumfassenden Auswirkungen der Besatzung und den teilweise faktisch umgesetzten Plänen der Annexion, verstetigen Ängste. Zuletzt begann das israelische Militär im Norden des Westjordanlandes eine großangelegte Operation, die 40 000 Menschen vertrieb und dutzende Opfer zur Folge hatte. Diese Operation ist ein weiterer Schritt, die illegale Besatzung im Westjordanland zu festigen. Trumps Vorschläge zum Gazastreifen, reihen sich somit ein in umfassende Pläne der Vertreibung.
Weitere große Unsicherheitsfaktoren für die Palästinenser sind die arabischen Staaten und die internationale Gemeinschaft. Zwar lehnen die wichtigsten arabischen Staaten Trumps Plan sowie jede Form der Umsiedlung in ihre Gebiete bislang strikt ab, doch bleibt fraglich, ob sie bei dieser Haltung bleiben würden, sollten die USA und Israel politischen oder wirtschaftlichen Druck ausüben.
Zuletzt hat der Krieg in Gaza das Vertrauen massiv erschüttert.
Mit ähnlichen Befürchtungen wird auf die Haltung der internationalen Gemeinschaft geblickt. Zuletzt hat der Krieg in Gaza das Vertrauen massiv erschüttert. Humanitäres Völkerrecht wurde missachtet, internationale Institutionen oder Organisationen, wie zuletzt der UN-Menschenrechtsrat oder UNRWA, werden von den USA und Israel boykottiert, blockiert oder schlichtweg völkerrechtswidrig aus Israel verwiesen. Die Biden-Regierung mag diplomatischer in ihrer Nahostpolitik agiert haben, doch Trump verkörpert unverblümt das, was viele als Durchsetzung amerikanischer Interessen oder als Gleichgültigkeit gegenüber einem gerechten Frieden betrachten. Einige europäische Länder, darunter Deutschland und Frankreich, haben zwar die neusten Trump-Pläne verurteilt, jedoch bleibt abzuwarten, welche tatsächlichen Konsequenzen seine Äußerungen haben.
Eine weitere Quelle der Sorge ist die palästinensische Führung selbst. Zwar haben die Palästinensische Autonomiebehörde und weite Teile der palästinensischen Politik den Vorschlag aufs Schärfste verurteilt. Jedoch untergräbt die anhaltende Spaltung zwischen den palästinensischen Fraktionen die Bemühungen um eine einheitliche Reaktion. Auch gibt es nach wie vor keine umfassende, einheitliche Vision für die Zukunft des Gazastreifens, was die Situation zusätzlich erschwert.
Die Stimmung im Land schwingt von Sprachlosigkeit hin zu existenziellen Sorgen. Gerade weil die Verletzung von Rechten und Abkommen immer wieder von der internationalen Gemeinschaft hingenommen werden. Die Pflicht progressiver Partner ist es, sich dem entschlossen entgegenzustellen.
Maria Dellasega, FES Palästina
Israel
Als man sich in Israel die erste Verblüffung nach der Trump-Show in Washington mit Benjamin Netanjahu als Statisten aus den Augen gerieben hatte, ließen die Reaktionen der politischen Lager nicht lange auf sich warten: „Bibi“, der spontan eher zurückhaltend reagiert hatte, sprang schnell auf den Zug auf und nannte eine Umsiedlung der palästinensischen Bevölkerung auf Fox News „eine großartige Idee“, welche die Geschichte ändern könne.
Erwartungsgemäß jubelte auch die extreme Rechte. Innerhalb kürzester Zeit erschienen entlang von Straßen riesige Plakatwände, auf denen die Ideen des „großen politischen Führers“ gepriesen werden. Die Reaktionen in der politischen Mitte fielen vorsichtiger aus. Israels früherer Armeechef Benni Gantz erklärte, der Plan zeuge von Kreativität und sei interessant. Man müsse ihn sich genau ansehen. Ähnlich äußerte sich Oppositionsführer Yair Lapid. Er kündigte an, demnächst nach Washington reisen zu wollen, „um eine Vervollständigung des Plans zu präsentieren“. Dass Trumps Ideen von beiden nicht eindeutig zurückgewiesen wurden, traf in der israelischen Tageszeitung Haaretz auf scharfe Kritik. Der Plan sei „Unmöglich, Unlogisch, Illegal“, titelte die Zeitung am Tag danach. Allerdings blieben derart klare kritische Stimmen eher die Ausnahme. In den Mainstream-Medien dominierte Lob, teilweise auch mit dem Tenor, dass es schon ein Erfolg sei, dass Trump mit seinen Äußerungen derart viel Staub aufgewirbelt habe. Diese Reaktionen spiegeln eine in der israelischen Bevölkerung verbreitete Realitätsverweigerung: Man wünscht sich den Kernkonflikt und die palästinensische Bevölkerung einfach weg. Trumps Aussagen treffen somit auf einen Resonanzboden.
Gleichzeitig gibt es aber auch viele Stimmen, die Trumps Ideen als das charakterisieren, was sie sind: realitätsfern, widersprüchlich und völkerrechtswidrig. Yair Golan, Vorsitzender der im vergangenen Jahr aus Avoda und Meretz gebildeten sozialdemokratischen Partei Die Demokraten, distanzierte sich von Trump mit den Worten, der US-Präsident habe „keinen Plan vorgestellt“, sondern bloß „eine allgemeine Idee“. Gaza werde nicht verschwinden, so Golan. Man könne mit palästinensischen Kräften arbeiten und „eine Regierung mit talentierten Vertretern aus der palästinensischen Bevölkerung“ nach Gaza bringen. Trumps Plan sei „weder morgen noch übermorgen umsetzbar“.
Hinter verschlossenen Türen wird anders gesprochen.
Die öffentlichen Reaktionen israelischer Politiker müssen vor dem Hintergrund verstanden werden, dass es sich niemand mit Trump verscherzen will angesichts seiner völligen Unberechenbarkeit und der Bedeutung der USA für Israels Sicherheit. Hinter verschlossenen Türen wird anders gesprochen: Hier fallen Worte wie „Wahnsinn“, „völlig undurchführbar“ und „hochgefährlich“. Denn eines ist klar: Dass sich die Welt an Trump abarbeitet, der die Zukunft des Gazastreifens wie ein Immobilienprojekt angeht, reduziert erst einmal den Druck auf Netanjahu, mit eigenen Vorschlägen aufzuwarten. Zudem dürfte die veränderte Situation einen Erfolg der Verhandlungen über die Umsetzung der zweiten Phase des Abkommens zur Freilassung der israelischen Geiseln und zum vollständigen Abzug der israelischen Armee aus dem Gazastreifen gefährden. Zusätzlich erschwert wird vor allem auch ein regional eingebetteter politischer Prozess in Richtung palästinensischer Selbstbestimmung und einer Zweistaatenlösung. Ohne einen solchen Prozess jedoch wird es in der Region weder Stabilität noch eine Normalisierung der Beziehungen Israels mit Saudi-Arabien und anderen arabischen Staaten geben.
Ralf Melzer, FES Israel
Jordanien
In Jordanien haben die Äußerungen Trumps über die Vertreibung der Palästinenser aus dem Gaza-Streifen und eine amerikanischen Besetzung des Gebietes Entsetzen und Empörung, ja geradezu Wut ausgelöst. Dies lässt sich dadurch verstehen, dass weit über die Hälfte der jordanischen Bevölkerung aus den verschiedenen Wellen der Vertreibung aus dem Westjordanland stammen. Sie wissen, dass es historisch gesehen nie so etwas wie eine vorübergehende Umsiedlung aus Palästina gegeben hat.
Im jordanischen Königshaus dürften Trumps Äußerungen weitere Besorgnis ausgelöst haben. Bereits die Suspendierung aller ziviler Hilfszahlungen hatte große Unruhe ausgelöst, da die USA mit über zwei Milliarden US-Dollar – davon ein erheblicher Anteil als direkte Budgethilfe – der mit Abstand größte Geber des Landes sind und die Regierung erheblich unterstützen.
Die Vorstellung, dass nun hunderttausende vertriebene Palästinenser in Jordanien aufgenommen werden müssten, schürt die Befürchtung, dass der fragile Gesellschaftsvertrag des Landes endgültig zerbrechen könnte. Dieser basiert auf einem heiklen Gleichgewicht zwischen den jordanischen Stammesgemeinschaften – auf die sich das Königshaus stützt und die bislang nahezu exklusiv Verwaltung und Sicherheitsapparat kontrollieren – und der palästinensischstämmigen Bevölkerungsmehrheit.
Bereits in seiner ersten Amtszeit ließ Trump die besondere Rolle Jordaniens im regionalen Machtgefüge weitgehend außer Acht.
In den entsprechenden Kreisen wächst der Eindruck, dass Trump diese Befürchtungen völlig ignoriert. Die Enttäuschung darüber hält sich jedoch in Grenzen. Bereits in seiner ersten Amtszeit ließ Trump die besondere Rolle Jordaniens im regionalen Machtgefüge weitgehend außer Acht, und viele seiner Nahost-Initiativen gingen zulasten jordanischer Interessen. Die Beziehungen zwischen ihm und König Abdullah II waren sehr kühl. Während jordanische Monarchen traditionell enge Kontakte zu US-Präsidenten pflegen, traf Abdullah Trump während dessen erster Amtszeit lediglich ein einziges Mal.
Interessanterweise kamen Trumps Äußerungen zu Gaza just, als der deutsche Bundespräsident Frank Walter Steinmeier in Jordanien zu Besuch war. Seine klare Zurückweisung von Trumps Position in Gegenwart des Königs bot der deutschen Außenpolitik die Gelegenheit, etwas von dem politischen Kapital zurückzugewinnen, das sie seit dem 7. Oktober eingebüßt hatte. Für König Abdullah II wiederum war es eine Möglichkeit, seine beständige Suche nach Dialog mit Deutschland zu rechtfertigen.
Bemerkenswert ist, dass zwei Tage vor den Äußerungen von Trump beide Seiten angekündigt hatten, dass der König am 11. Februar zu Besuch im Weißen Haus sein werde. Nun hat dieses Treffen nochmals ein ganz anderes Gewicht erhalten und es bleibt abzuwarten, was dann aus dem Vorschlag einer zweiten, östlichen Riviera noch übrigbleibt.
Sven Schwersensky, FES Jordanien