„Ich werde die Aufhebung der Sanktionen gegen Syrien anordnen, um ihnen eine Chance auf Größe zu geben.“ Diesen jetzt schon historischen Satz sprach der US-Präsident nur wenige Stunden nach seiner Landung im saudischen Riad. Der Rest ging in Jubel unter. Der saudische Kronprinz und die anwesenden Gäste spendeten Trump Standing Ovations. Noch in der Nacht kam es in Damaskus und anderen syrischen Städten zu spontanen Autokorsos und Jubelfeiern. Das Ende der einst gegen das Assad-Regime verhängten amerikanischen Sanktionen ist gewiss das bedeutendste Ereignis seit dem Sturz des blutrünstigen Diktators. Für über 20 Millionen Syrer bedeutet es vor allem Hoffnung auf eine bessere Zukunft. Erst mit der Aufhebung der Sanktionen wird ein tatsächlicher Wiederaufbau des Landes und ein wirtschaftlicher Aufschwung möglich – und damit eine Perspektive für die verarmte und vom Krieg gezeichnete Bevölkerung.

Es ist ein Gamechanger so ganz im Sinne Donald Trumps. Erwartet wurde dieser Schritt nicht; erst unmittelbar zuvor kursierten erste Gerüchte. Die weitgehend im sogenannten Caesar Act gebündelten US-Sanktionen galten als die wohl umfassendsten und erdrückendsten Maßnahmen, die jemals gegen ein Land verhängt wurden. Politisch wirksam waren sie lange Zeit kaum. Dass das Assad-Regime im Dezember vergangenen Jahres schließlich stürzte, lag weniger an den wirtschaftlichen Sanktionen als vielmehr an der militärischen Chuzpe der islamistischen HTS-Rebellen und der ideologischen Auszehrung innerhalb des Systems. Kaum ein Soldat gab noch einen Schuss auf die rasch vorrückenden Kämpfer ab – wie ein Soufflé sackte die Diktatur in sich zusammen. Ein Volksaufstand war es jedoch nicht, der das Regime zu Fall brachte. Der Niedergang war keine direkte Folge der wirtschaftlichen Not, unter der die Bevölkerung wegen der Sanktionen gelitten hatte.

Seit Dezember waren es vor allem die Europäer – allen voran Deutschland –, die auf ein Ende der Sanktionen drängten.

Seit Dezember waren es vor allem die Europäer – allen voran Deutschland –, die auf ein Ende der Sanktionen drängten. Zunächst allerdings mit wenig Hoffnung, dass die Amerikaner nachziehen würden. Mehrere Faktoren sprachen dagegen. An erster Stelle stand die Unklarheit darüber, welche Syrienpolitik die USA überhaupt verfolgten. Die meisten für Syrien zuständigen Verantwortlichen und Experten waren im Zuge der „Säuberungen“ gegen tatsächliche und vermeintliche Biden-Beamte vor die Tür gesetzt worden. Hinzu kam: Die in MAGA-Amerika kursierenden Narrative standen dem neuen syrischen Regime maximal feindlich gegenüber.

Einer Regierung, die in Teilen aus vermeintlichen Dschihadisten bestand, würde sich ein Amerika, das sich selbst in einem ideologischen Krieg mit dem Islam wähnt, wohl kaum annähern. Erschwerend kamen im März die Attacken auf die alawitische Minderheit an der syrischen Küste hinzu. In MAGA-Kreisen wurden daraus rasch angebliche Massaker an Christen konstruiert. Am schwersten aber dürfte die israelische Propaganda gewogen haben, die Übergangspräsident Ahmad Al-Sharaa als unverbesserlichen Glaubenskrieger darstellte, der die konfessionellen Minderheiten vernichten wolle – während sich der jüdische Staat selbst als deren Beschützer inszenierte.

Die Regierung Netanjahu ist nun der größte Verlierer der trumpschen Umwälzung. Israel hatte das Ziel, das neue Syrien kleinzuhalten. Massive Bombardierungen, die völkerrechtswidrige Besatzung von Teilen Südsyriens, die gezielte Aufstachelung konfessioneller Gegensätze – all das gehörte zum Instrumentenkasten einer Politik, die auf die Destabilisierung des Nachbarlandes abzielte.

Und das, obwohl die neuen Machthaber in Damaskus unübersehbar den Olivenzweig reichten. Schon früh war zu hören, dass Damaskus keinerlei Interesse an einem Konflikt mit Tel Aviv habe. Trotz andauernder israelischer Luftangriffe hielt Präsident Sharaa still. Selbst rhetorisch blieb die neue Regierung betont zurückhaltend – auch in jenen Momenten, in denen der Volkszorn im Süden des Landes über die unbotmäßigen Aggressoren bereits kochte. Über amerikanische Vermittler wurden noch weitergehende Zugeständnisse angeboten – bis hin zu einer faktischen Anerkennung der israelischen Kontrolle über die Golanhöhen. Doch all das stieß in Israel auf taube Ohren.

In Washington hingegen scheint die kluge Diplomatie der syrischen Übergangsregierung einen Nerv getroffen zu haben. Möglicherweise ist dies Ausdruck einer grundsätzlichen Neuausrichtung der amerikanischen Nahostpolitik. Unter dem schwachen Biden stellte sich mitunter die Frage, wer in der Beziehung zwischen den USA und Israel eigentlich die Supermacht war. Nach Trumps Wiederwahl wurden Stimmen laut, die befürchteten, Washington habe seine Nahostpolitik endgültig nach Jerusalem ausgelagert – im Sinne von: Make the Middle East safe for Israel. Doch nun scheint es anders zu kommen. Denn bei aller Erratik dominiert unter Trump der Transaktionalismus über die reine Ideologie.

Im ideologischen Grabenkampf innerhalb des MAGA-Lagers geraten damit die extrem proisraelischen, neokonservativen Kreise zunehmend gegenüber den interventionsskeptischen Kräften ins Hintertreffen, die ein immer aggressiver auftretendes Israel mehr als sicherheitspolitische Belastung denn als strategischen Partner betrachten. Nicht zuletzt deshalb, weil Tel Aviv bereit ist, große Risiken einzugehen, jedoch nur im Vertrauen darauf, dass der große Bruder in Washington mit Flugzeugträgern und Tarnkappenbombern schon dafür sorgen werde, dass keine ernsthaften Konsequenzen drohen.

Der Waffenstillstand mit den Huthis, die Wiederaufnahme der Nuklearverhandlungen mit Teheran – und nun die Aufhebung der Sanktionen gegen Syrien: All das geschieht deutlich gegen den erklärten Willen Netanjahus. Die syrische Regierung allein hätte Donald Trump wohl nicht zu diesem Gamechanger bewegen können. Entscheidend waren vielmehr die stärksten Fürsprecher von Übergangspräsident Sharaa – allen voran der türkische Präsident Erdoğan, für den Assads Sturz zweifellos einen der größten außenpolitischen Erfolge seiner ohnehin geopolitisch ambitionierten Agenda darstellt.

Noch bedeutsamer aber war die Unterstützung durch den saudischen Kronprinzen Mohammed bin Salman, genannt MbS. Das ist umso bemerkenswerter, als Saudi-Arabien unter seiner Führung eigentlich einen strikt antiislamistischen Kurs verfolgt. Ein Erfolg eines islamistisch geprägten Regimes in Damaskus liegt weder im Interesse Riads noch jener Achse der sogenannten „moderaten Araber“ in Kairo, Amman und Abu Dhabi, die sich explizit gegen die Muslimbruderschaft positionieren.

Umso aufschlussreicher war daher Sharaas erste Auslandsreise Anfang Februar – nicht etwa in die Türkei, sondern direkt nach Riad. Offenbar mit Erfolg: Es gelang ihm, MbS davon zu überzeugen, dass von der neuen Regierung in Damaskus keine ideologische Gefahr ausgehe. Die Entideologisierung der Außenbeziehungen ist ganz im Sinne des saudischen Kronprinzen. Nach den gescheiterten Volksaufständen des Arabischen Frühlings war die arabische Welt von ideologischen Hegemonialkämpfen erschüttert worden – Konflikte, die ganze Länder, nicht zuletzt Syrien, ins Chaos stürzten. Damals rangen Saudi-Arabien, die Türkei und der Iran um regionale Vorherrschaft.

Schon vor den Ereignissen des 7. Oktober zeichnete sich im Nahen Osten eine Phase der Entspannung ab – gekrönt durch die Wiederannäherung zwischen Riad und Teheran.

Doch schon vor den Ereignissen des 7. Oktober zeichnete sich im Nahen Osten eine Phase der Entspannung ab – gekrönt durch die Wiederannäherung zwischen Riad und Teheran. Trotz aller Spannungen und Rückschläge wird dieser Dialog bis heute von beiden Seiten aufrechterhalten. Diese Entwicklung ist Ausdruck der Vision von MbS: nicht das Niederhalten der Rivalen, sondern gegenseitige Akzeptanz als neues regionales Paradigma. Nicht zuletzt, weil in Riad die Einsicht gewachsen ist, dass das Königreich im Falle eines Krieges gegen Iran zu den Hauptleidtragenden gehören würde.

Teheran wird von Riad daher eng umarmt. Nicht aus Naivität, sondern um die angeschlagene, aber keineswegs machtlose Islamische Republik auf den Pfad gutnachbarschaftlicher Beziehungen zu lenken. Gerade angesichts ihrer Schwäche könnte der Druck zur Kooperation besonders wirksam sein. Die intelligenteren Kräfte in Teheran erkennen durchaus den Charme eines solchen Kurses – als möglichen Ausweg aus der Sackgasse. Die traditionelle antisaudische Propaganda ist fast vollständig verstummt. Vielleicht gelingt Riad damit etwas, woran der Westen über Jahrzehnte gescheitert ist: die zumindest regionalpolitische Zivilisierung der iranischen Islamisten.

Der größte Triumphator der trumpschen Kehrtwende ist freilich Ahmad Al-Sharaa selbst. Sein Erfolg ist das Ergebnis einer außergewöhnlich umsichtigen Außenpolitik. Einer Politik, die konsequent auf Verständigung in alle Richtungen setzt, im Falle Israels beinahe bis zur Selbstverleugnung. Ein bemerkenswertes diplomatisches Meisterstück, gerade angesichts der extrem verworrenen geopolitischen Lage und der Vielzahl mächtiger Gegner, die nicht nur in Tel Aviv und Teheran sitzen. Diese Umsicht ist ungewöhnlich. Revolutionäre Regime neigen erfahrungsgemäß eher zum ideologischen Überschwang. Sharaa hingegen verzichtet bislang auffällig auf jegliche Eskalationen.

Und doch bleibt die Frage, wie glaubwürdig seine ideologische Wende tatsächlich ist. Viele Syrer stellen sich diese Frage weiterhin. Steht hier wirklich ein Staatsmann, der alle Syrer im Land im Blick hat, gleich welcher Konfession und Weltanschauung? Oder verbirgt sich hinter der staatsmännischen Fassade lediglich ein ideologisch motivierter Dschihadist, der in Damaskus nichts weniger plant als eine islamistische Republik?

Natürlich sollte niemand erwarten, dass in Syrien eine Westminster-Demokratie entsteht.

Natürlich sollte niemand erwarten, dass in Syrien eine Westminster-Demokratie entsteht. Aber ein Regime, nicht unähnlich demjenigen in der Türkei, getragen von breiten Bevölkerungsschichten, mit einem gewissen Maß an politischer Pluralität und mit liberalen gesellschaftlichen Nischen, ist durchaus denkbar. Angesichts von Chaos, Bürgerkrieg und der Verwüstungen, die große Teile der arabischen Welt in den vergangenen Jahren erschüttert haben, wäre das, bei aller berechtigten Kritik, bereits ein nicht unbedeutender Fortschritt. Ob es dazu kommt, hängt jedoch nicht allein von Ahmad Al-Sharaa ab. Es hängt ebenso von all jenen Syrerinnen und Syrern ab, die eine solche Zukunft nicht nur erhoffen, sondern sie auch offensiv einfordern.

Mit dem Erlass der US-Sanktionen schafft sich Ahmad Al-Sharaa nun auch innenpolitische Legitimation. Seine Regierung wäre damit nicht länger nur die Kraft, die den Diktator gestürzt hat, sondern auch jene, die den Wiederaufbau eines geschundenen Landes einleitet. Milliardeninvestitionen aus dem Golf stehen bereit, türkische Bauunternehmen warten auf den Startschuss, selbst aus dem Westen gibt es vorsichtige Signale der Unterstützung. Bereits morgen könnte der wirtschaftliche Aufbruch beginnen. Und dieser ökonomische Sprung nach vorn könnte auch helfen, die zahlreichen offenen Fragen im Inneren des Landes erträglicher zu machen.

Dabei steht Sharaa nicht nur unter internationalem Druck. Er muss auch im Inneren seine eigene, zum Teil dschihadistisch geprägte Gefolgschaft unter Kontrolle halten. Mit sanfter, aber bestimmter Hand versucht er, ihnen sein eigenes „Damaskus-Erlebnis“ aufzuzwingen: ein Bruch mit ideologischer Gewalt, wie sie sich zuletzt in Übergriffen auf Alawiten und Drusen entlud. Dass dies gelingt, ist keineswegs garantiert. Es liegt in der Natur solcher Umbruchphasen, dass Rückfälle jederzeit möglich sind. Syrien ist noch lange nicht über den Berg. Doch der trumpsche Sanktionserlass markiert – bei allem Vorbehalt – eine notwendige, wenn auch keine hinreichende Voraussetzung für eine Stabilisierung des Landes.

Zu guter Letzt ist dies auch ein – zumindest indirekter – Erfolg Deutschlands. Angesichts des massiven Glaubwürdigkeitsverlusts, den die Bundesrepublik in der Region zuletzt durch ihre moralisch fragwürdige und politisch selbstschädigende Positionierung im Gazakrieg erlitten hat, ist das nicht unbedeutend. Diesmal steht Berlin auf der richtigen Seite der Geschichte. Anders als viele andere Staaten hatte Deutschland das blutrünstige Assad-Regime bis zuletzt nie normalisiert. Früher als fast alle anderen ist es nach Damaskus zurückgekehrt, hat in Brüssel für die Aufhebung der europäischen Sanktionen geworben – und sie letztlich auch durchgesetzt. Damit ist Berlin nun ideal positioniert für einen politischen und wirtschaftlichen Neuanfang in Syrien. Nicht zuletzt aufgrund der großen Zahl syrischstämmiger Deutscher und deutscher Syrer. Kein anderes europäisches Land hat ein größeres Interesse daran, dass Syrien zu einer Erfolgsstory wird.